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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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über das Grab; kam auch noch etliche Male zum Beten herunter,
aber nicht allzuoft.

Dann saß Frau Hadwig allein auf der Burg Hohentwiel; es waren
ihr die Erbgüter des Hauses und mannigfalt Befugniß, im Land zu
schalten und walten verblieben, sowie die Schutzvoigtei über das Hoch-
stift Constanz und die Klöster um den See, und hatte ihr der Kaiser
gebrieft und gesiegelt zugesagt, daß sie als Reichsverweserin in Schwa-
ben gebieten solle, so lang der Wittwenstuhl unverrückt bleibe. Die
junge Wittib war von adeligem Gemüth und nicht gewöhnlicher
Schönheit. Aber die Nase brach unvermerkt kurz und stumpflich im
Antlitz ab, und der holdselige Mund war ein weniges aufgeworfen,
und das Kinn sprang mit kühner Form vor, also, daß das anmuthige
Grüblein, so den Frauen so minnig ansteht, bei ihr nicht zu finden
war. Und wessen Antlitz also geschaffen, der trägt bei scharfem Geist
ein rauhes Herz im Busen und sein Wesen neigt zur Strenge. Darum
flößte auch die Herzogin Manchem ihres Landes trotz der lichten
Röthe ihrer Wangen einen sonderbaren Schreck ein.3)

An jenem nebligen Tag stand Frau Hadwig im Closet ihrer Burg
und schaute in die Ferne hinaus. Sie trug ein stahlgrau Unterkleid,
das in leichten Wellen über die gestickten Sandalen wallte, drüber
schmiegte sich eine bis zum Knie reichende schwarze Tunica; im Gür-
tel, der die Hüften umschloß, glänzte ein kostbarer Beryll. Ein gold-
fadengestricktes Netz hielt das kastanienbraune Haar umfangen, doch
unverwehrt umspielten sorgsam gewundene Locken die lichte Stirn.

Auf dem Marmortischlein am Fenster stund ein phantastisch ge-
formtes dunkelgrün gebeiztes Metallgefäß, drin brannte ein fremdlän-
disch Räucherwerk, und wirbelte seine duftig weißen Wölklein zur Decke
des Gemachs. Die Wände waren mit buntfarbigen gewirkten Tep-
pichen umhangen.

Es gibt Tage, wo der Mensch mit Jeglichem unzufrieden ist, und
wenn er in Mittelpunkt des Paradiesgartens gesetzt würde, es wär'
ihm auch nicht recht. Da fliegen die Gedanken mißmuthig von dem
zu jenem, und wissen nicht wo sie anhalten sollen, -- aus jedem
Winkel grinst ein Fratzengesicht herfür, und wenn Einer ein fein Gehör
hat, so mag er auch der Kobolde Gelächter vernehmen. Man sagt dort-
lands, der schiefe Verlauf solcher Tage rühre gewöhnlich davon her,

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über das Grab; kam auch noch etliche Male zum Beten herunter,
aber nicht allzuoft.

Dann ſaß Frau Hadwig allein auf der Burg Hohentwiel; es waren
ihr die Erbgüter des Hauſes und mannigfalt Befugniß, im Land zu
ſchalten und walten verblieben, ſowie die Schutzvoigtei über das Hoch-
ſtift Conſtanz und die Klöſter um den See, und hatte ihr der Kaiſer
gebrieft und geſiegelt zugeſagt, daß ſie als Reichsverweſerin in Schwa-
ben gebieten ſolle, ſo lang der Wittwenſtuhl unverrückt bleibe. Die
junge Wittib war von adeligem Gemüth und nicht gewöhnlicher
Schönheit. Aber die Naſe brach unvermerkt kurz und ſtumpflich im
Antlitz ab, und der holdſelige Mund war ein weniges aufgeworfen,
und das Kinn ſprang mit kühner Form vor, alſo, daß das anmuthige
Grüblein, ſo den Frauen ſo minnig anſteht, bei ihr nicht zu finden
war. Und weſſen Antlitz alſo geſchaffen, der trägt bei ſcharfem Geiſt
ein rauhes Herz im Buſen und ſein Weſen neigt zur Strenge. Darum
flößte auch die Herzogin Manchem ihres Landes trotz der lichten
Röthe ihrer Wangen einen ſonderbaren Schreck ein.3)

An jenem nebligen Tag ſtand Frau Hadwig im Cloſet ihrer Burg
und ſchaute in die Ferne hinaus. Sie trug ein ſtahlgrau Unterkleid,
das in leichten Wellen über die geſtickten Sandalen wallte, drüber
ſchmiegte ſich eine bis zum Knie reichende ſchwarze Tunica; im Gür-
tel, der die Hüften umſchloß, glänzte ein koſtbarer Beryll. Ein gold-
fadengeſtricktes Netz hielt das kaſtanienbraune Haar umfangen, doch
unverwehrt umſpielten ſorgſam gewundene Locken die lichte Stirn.

Auf dem Marmortiſchlein am Fenſter ſtund ein phantaſtiſch ge-
formtes dunkelgrün gebeiztes Metallgefäß, drin brannte ein fremdlän-
diſch Räucherwerk, und wirbelte ſeine duftig weißen Wölklein zur Decke
des Gemachs. Die Wände waren mit buntfarbigen gewirkten Tep-
pichen umhangen.

Es gibt Tage, wo der Menſch mit Jeglichem unzufrieden iſt, und
wenn er in Mittelpunkt des Paradiesgartens geſetzt würde, es wär'
ihm auch nicht recht. Da fliegen die Gedanken mißmuthig von dem
zu jenem, und wiſſen nicht wo ſie anhalten ſollen, — aus jedem
Winkel grinst ein Fratzengeſicht herfür, und wenn Einer ein fein Gehör
hat, ſo mag er auch der Kobolde Gelächter vernehmen. Man ſagt dort-
lands, der ſchiefe Verlauf ſolcher Tage rühre gewöhnlich davon her,

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[3/0025] über das Grab; kam auch noch etliche Male zum Beten herunter, aber nicht allzuoft. Dann ſaß Frau Hadwig allein auf der Burg Hohentwiel; es waren ihr die Erbgüter des Hauſes und mannigfalt Befugniß, im Land zu ſchalten und walten verblieben, ſowie die Schutzvoigtei über das Hoch- ſtift Conſtanz und die Klöſter um den See, und hatte ihr der Kaiſer gebrieft und geſiegelt zugeſagt, daß ſie als Reichsverweſerin in Schwa- ben gebieten ſolle, ſo lang der Wittwenſtuhl unverrückt bleibe. Die junge Wittib war von adeligem Gemüth und nicht gewöhnlicher Schönheit. Aber die Naſe brach unvermerkt kurz und ſtumpflich im Antlitz ab, und der holdſelige Mund war ein weniges aufgeworfen, und das Kinn ſprang mit kühner Form vor, alſo, daß das anmuthige Grüblein, ſo den Frauen ſo minnig anſteht, bei ihr nicht zu finden war. Und weſſen Antlitz alſo geſchaffen, der trägt bei ſcharfem Geiſt ein rauhes Herz im Buſen und ſein Weſen neigt zur Strenge. Darum flößte auch die Herzogin Manchem ihres Landes trotz der lichten Röthe ihrer Wangen einen ſonderbaren Schreck ein. ³⁾ An jenem nebligen Tag ſtand Frau Hadwig im Cloſet ihrer Burg und ſchaute in die Ferne hinaus. Sie trug ein ſtahlgrau Unterkleid, das in leichten Wellen über die geſtickten Sandalen wallte, drüber ſchmiegte ſich eine bis zum Knie reichende ſchwarze Tunica; im Gür- tel, der die Hüften umſchloß, glänzte ein koſtbarer Beryll. Ein gold- fadengeſtricktes Netz hielt das kaſtanienbraune Haar umfangen, doch unverwehrt umſpielten ſorgſam gewundene Locken die lichte Stirn. Auf dem Marmortiſchlein am Fenſter ſtund ein phantaſtiſch ge- formtes dunkelgrün gebeiztes Metallgefäß, drin brannte ein fremdlän- diſch Räucherwerk, und wirbelte ſeine duftig weißen Wölklein zur Decke des Gemachs. Die Wände waren mit buntfarbigen gewirkten Tep- pichen umhangen. Es gibt Tage, wo der Menſch mit Jeglichem unzufrieden iſt, und wenn er in Mittelpunkt des Paradiesgartens geſetzt würde, es wär' ihm auch nicht recht. Da fliegen die Gedanken mißmuthig von dem zu jenem, und wiſſen nicht wo ſie anhalten ſollen, — aus jedem Winkel grinst ein Fratzengeſicht herfür, und wenn Einer ein fein Gehör hat, ſo mag er auch der Kobolde Gelächter vernehmen. Man ſagt dort- lands, der ſchiefe Verlauf ſolcher Tage rühre gewöhnlich davon her, 1*

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/25>, abgerufen am 29.03.2024.