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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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So kam es auch hier. Aus den naiven lateinischen Zeilen
jener Klostergeschichten hob und baute es sich empor, wie Thurm
und Mauern des Gotteshauses Sanct Gallen, viel altersgraue
ehrwürdige Häupter wandelten in den Kreuzgängen auf und ab
hinter den alten Handschriften saßen die, die sie einst geschrieben,
die Klosterschüler tummelten sich im Hofe, Horasang ertönte aus
dem Chor und des Wächters Hornruf vom Thurme. Vor allen
Anderen aber trat leuchtend hervor jene hohe gestrenge Frau,
die sich den jugendschönen Lehrer aus des heiligen Gallus Kloster-
frieden entführte, um auf ihrem Basaltfelsen am Bodensee classi-
schen Dichtern eine Stätte sinniger Pflege zu bereiten; die schlichte
Erzählung der Klosterchronik von jenem dem Virgil gewidmeten
Stillleben, ist selbst wieder ein Stück Poesie, so schön und ächt,
als sie irgend unter Menschen zu finden.

Wer aber von solchen Erscheinungen heimgesucht wird, dem
bleibt nichts übrig, als sie zu beschwören und zu bannen. Und
in den alten Geschichten hatte ich nicht umsonst gelesen, auf
welche Art Notker der Stammler einst ähnlichen Visionen zu
Leibe ging: er griff einen knorrigen Haselstock und hieb tapfer auf
die Dämonen ein, bis sie ihm die schönsten Lieder offenbarten. *)

Darum griff auch ich zu meinem Handgewaffen, der Stahl-
feder, und sagte eines Morgens den Folianten, den Quellen der
Gestaltenseherei, Valet, und zog hinaus auf den Boden, den einst
die Herzogin Hadwig und ihre Zeitgenossen beschritten; und saß
in der ehrwürdigen Bücherei des heiligen Gallus und fuhr in

*) Ekkehardi IV. casus S. Galli cap. 3 bei Pertz Mon. II. 98.

So kam es auch hier. Aus den naiven lateiniſchen Zeilen
jener Kloſtergeſchichten hob und baute es ſich empor, wie Thurm
und Mauern des Gotteshauſes Sanct Gallen, viel altersgraue
ehrwürdige Häupter wandelten in den Kreuzgängen auf und ab
hinter den alten Handſchriften ſaßen die, die ſie einſt geſchrieben,
die Kloſterſchüler tummelten ſich im Hofe, Horaſang ertönte aus
dem Chor und des Wächters Hornruf vom Thurme. Vor allen
Anderen aber trat leuchtend hervor jene hohe geſtrenge Frau,
die ſich den jugendſchönen Lehrer aus des heiligen Gallus Kloſter-
frieden entführte, um auf ihrem Baſaltfelſen am Bodenſee claſſi-
ſchen Dichtern eine Stätte ſinniger Pflege zu bereiten; die ſchlichte
Erzählung der Kloſterchronik von jenem dem Virgil gewidmeten
Stillleben, iſt ſelbſt wieder ein Stück Poeſie, ſo ſchön und ächt,
als ſie irgend unter Menſchen zu finden.

Wer aber von ſolchen Erſcheinungen heimgeſucht wird, dem
bleibt nichts übrig, als ſie zu beſchwören und zu bannen. Und
in den alten Geſchichten hatte ich nicht umſonſt geleſen, auf
welche Art Notker der Stammler einſt ähnlichen Viſionen zu
Leibe ging: er griff einen knorrigen Haſelſtock und hieb tapfer auf
die Dämonen ein, bis ſie ihm die ſchönſten Lieder offenbarten. *)

Darum griff auch ich zu meinem Handgewaffen, der Stahl-
feder, und ſagte eines Morgens den Folianten, den Quellen der
Geſtaltenſeherei, Valet, und zog hinaus auf den Boden, den einſt
die Herzogin Hadwig und ihre Zeitgenoſſen beſchritten; und ſaß
in der ehrwürdigen Bücherei des heiligen Gallus und fuhr in

*) Ekkehardi IV. casus S. Galli cap. 3 bei Pertz Mon. II. 98.
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[VIII/0018] So kam es auch hier. Aus den naiven lateiniſchen Zeilen jener Kloſtergeſchichten hob und baute es ſich empor, wie Thurm und Mauern des Gotteshauſes Sanct Gallen, viel altersgraue ehrwürdige Häupter wandelten in den Kreuzgängen auf und ab hinter den alten Handſchriften ſaßen die, die ſie einſt geſchrieben, die Kloſterſchüler tummelten ſich im Hofe, Horaſang ertönte aus dem Chor und des Wächters Hornruf vom Thurme. Vor allen Anderen aber trat leuchtend hervor jene hohe geſtrenge Frau, die ſich den jugendſchönen Lehrer aus des heiligen Gallus Kloſter- frieden entführte, um auf ihrem Baſaltfelſen am Bodenſee claſſi- ſchen Dichtern eine Stätte ſinniger Pflege zu bereiten; die ſchlichte Erzählung der Kloſterchronik von jenem dem Virgil gewidmeten Stillleben, iſt ſelbſt wieder ein Stück Poeſie, ſo ſchön und ächt, als ſie irgend unter Menſchen zu finden. Wer aber von ſolchen Erſcheinungen heimgeſucht wird, dem bleibt nichts übrig, als ſie zu beſchwören und zu bannen. Und in den alten Geſchichten hatte ich nicht umſonſt geleſen, auf welche Art Notker der Stammler einſt ähnlichen Viſionen zu Leibe ging: er griff einen knorrigen Haſelſtock und hieb tapfer auf die Dämonen ein, bis ſie ihm die ſchönſten Lieder offenbarten. *) Darum griff auch ich zu meinem Handgewaffen, der Stahl- feder, und ſagte eines Morgens den Folianten, den Quellen der Geſtaltenſeherei, Valet, und zog hinaus auf den Boden, den einſt die Herzogin Hadwig und ihre Zeitgenoſſen beſchritten; und ſaß in der ehrwürdigen Bücherei des heiligen Gallus und fuhr in *) Ekkehardi IV. casus S. Galli cap. 3 bei Pertz Mon. II. 98.

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/18>, abgerufen am 24.04.2024.