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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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genheit zur Verwilderung eine dem Studium der Alten mit
Begeisterung zugewandte Wissenschaft, die in den zahlreich
besuchten Klosterschulen eifrige Jünger fand und in ihren
humanen Strebungen an die besten Zeiten des sechszehnten
Jahrhunderts erinnert, leises Emporblühen der bildenden Künste,
vereinzeltes Aufblitzen bedeutender Geister, vom Wust der
Gelehrsamkeit unerstickte Freude an der Dichtung, fröhliche
Pflege nationaler Stoffe, wenn auch meist in fremdländischem
Gewand.

Kein Wunder, daß es dem Verfasser dieses Buches, als er
bei Gelegenheit anderer Studien über die Anfänge des Mittel-
alters mit dieser Epoche vertraut wurde, erging wie einem
Manne, der nach langer Wanderung durch unwirthsames Land
auf eine Herberge stößt, die wohnsam und gut bestellt in Küche
und Keller mit liebreizender Aussicht vor den Fenstern Alles
bietet, was sein Herz begehrt.

Er begann, sich häuslich drin einzurichten und durch mannig-
faltige Ausflüge in verwandtes Gebiet sich möglichst vollständig
in Land und Leute einzuleben.

Den Poeten aber ereilt ein eignes Schicksal, wenn er sich
mit der Vergangenheit genauer bekannt macht.

Wo Andere, denen die Natur gelehrtes Scheidewasser in die
Adern gemischt, viel allgemeine Sätze und lehrreiche Betrach-
tungen als Preis der Arbeit herausätzen, wachsen ihm Gestalten
empor, erst von wallendem Nebel umflossen, dann klar und
durchsichtig, und sie schauen ihn ringend an und umtanzen ihn
in mitternächtigen Stunden und sprechen: Verdicht' uns!

genheit zur Verwilderung eine dem Studium der Alten mit
Begeiſterung zugewandte Wiſſenſchaft, die in den zahlreich
beſuchten Kloſterſchulen eifrige Jünger fand und in ihren
humanen Strebungen an die beſten Zeiten des ſechszehnten
Jahrhunderts erinnert, leiſes Emporblühen der bildenden Künſte,
vereinzeltes Aufblitzen bedeutender Geiſter, vom Wuſt der
Gelehrſamkeit unerſtickte Freude an der Dichtung, fröhliche
Pflege nationaler Stoffe, wenn auch meiſt in fremdländiſchem
Gewand.

Kein Wunder, daß es dem Verfaſſer dieſes Buches, als er
bei Gelegenheit anderer Studien über die Anfänge des Mittel-
alters mit dieſer Epoche vertraut wurde, erging wie einem
Manne, der nach langer Wanderung durch unwirthſames Land
auf eine Herberge ſtößt, die wohnſam und gut beſtellt in Küche
und Keller mit liebreizender Ausſicht vor den Fenſtern Alles
bietet, was ſein Herz begehrt.

Er begann, ſich häuslich drin einzurichten und durch mannig-
faltige Ausflüge in verwandtes Gebiet ſich möglichſt vollſtändig
in Land und Leute einzuleben.

Den Poeten aber ereilt ein eignes Schickſal, wenn er ſich
mit der Vergangenheit genauer bekannt macht.

Wo Andere, denen die Natur gelehrtes Scheidewaſſer in die
Adern gemiſcht, viel allgemeine Sätze und lehrreiche Betrach-
tungen als Preis der Arbeit herausätzen, wachſen ihm Geſtalten
empor, erſt von wallendem Nebel umfloſſen, dann klar und
durchſichtig, und ſie ſchauen ihn ringend an und umtanzen ihn
in mitternächtigen Stunden und ſprechen: Verdicht' uns!

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[VII/0017] genheit zur Verwilderung eine dem Studium der Alten mit Begeiſterung zugewandte Wiſſenſchaft, die in den zahlreich beſuchten Kloſterſchulen eifrige Jünger fand und in ihren humanen Strebungen an die beſten Zeiten des ſechszehnten Jahrhunderts erinnert, leiſes Emporblühen der bildenden Künſte, vereinzeltes Aufblitzen bedeutender Geiſter, vom Wuſt der Gelehrſamkeit unerſtickte Freude an der Dichtung, fröhliche Pflege nationaler Stoffe, wenn auch meiſt in fremdländiſchem Gewand. Kein Wunder, daß es dem Verfaſſer dieſes Buches, als er bei Gelegenheit anderer Studien über die Anfänge des Mittel- alters mit dieſer Epoche vertraut wurde, erging wie einem Manne, der nach langer Wanderung durch unwirthſames Land auf eine Herberge ſtößt, die wohnſam und gut beſtellt in Küche und Keller mit liebreizender Ausſicht vor den Fenſtern Alles bietet, was ſein Herz begehrt. Er begann, ſich häuslich drin einzurichten und durch mannig- faltige Ausflüge in verwandtes Gebiet ſich möglichſt vollſtändig in Land und Leute einzuleben. Den Poeten aber ereilt ein eignes Schickſal, wenn er ſich mit der Vergangenheit genauer bekannt macht. Wo Andere, denen die Natur gelehrtes Scheidewaſſer in die Adern gemiſcht, viel allgemeine Sätze und lehrreiche Betrach- tungen als Preis der Arbeit herausätzen, wachſen ihm Geſtalten empor, erſt von wallendem Nebel umfloſſen, dann klar und durchſichtig, und ſie ſchauen ihn ringend an und umtanzen ihn in mitternächtigen Stunden und ſprechen: Verdicht' uns!

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/17>, abgerufen am 24.04.2024.