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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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boden geschmückt. Es erhub sich ein lebhaft Gespräch darüber,
was all die zerstreuten gewürfelten Steinchen in ihrem Zusam-
menhang dargestellt haben mochten. Einer, der ein Archäolog
war, hob die einzelnen Stücke gegen's Licht und prüfte, ob weißer,
ob schwarzer Marmor, ein Anderer, der sich mit Geschichtforschung
plagte, sprach gelehrt über Grabdenkmale der Alten, -- derweil
war ein Dritter schweigsam auf dem Backsteingemäuer gesessen,
der zog sein Skizzenbuch und zeichnete ein stolzes Viergespann
mit schnaubenden Rossen und Wettkämpfern und viel schöne jo-
nische Ornamentik darum; er hatte in einer Ecke des Fußbodens
einen unscheinbaren Rest des alten Bildes erschaut, Pferdefüße
und eines Wagenrades Fragmente, da stand das Ganze klar
vor seiner Seele und er warf's mit kecken Strichen hin, derweil
die andern in Worten kramten ...

Bei jener Gelegenheit war einiger Aufschluß zu gewinnen
über die Frage, wie mit Erfolg an der geschichtlichen Wieder-
belebung der Vergangenheit zu arbeiten sei.

Gewißlich nur dann, wenn einer schöpferisch wiederherstel-
lenden Phantasie ihre Rechte nicht verkümmert werden, wenn
der, der die alten Gebeine ausgräbt, sie zugleich auch mit dem
Athemzug einer lebendigen Seele anhaucht, auf daß sie sich er-
heben und kräftigen Schrittes als auferweckte Todte einher wandeln.

In diesem Sinn nun kann der historische Roman das sein,
was in blühender Jugendzeit der Völker die epische Dichtung,
ein Stück nationaler Geschichte in der Auffassung des Künstlers,
der im gegebenen Raume eine Reihe Gestalten scharfgezeichnet
und farbenhell vorüberführt, also daß im Leben und Ringen und

boden geſchmückt. Es erhub ſich ein lebhaft Geſpräch darüber,
was all die zerſtreuten gewürfelten Steinchen in ihrem Zuſam-
menhang dargeſtellt haben mochten. Einer, der ein Archäolog
war, hob die einzelnen Stücke gegen's Licht und prüfte, ob weißer,
ob ſchwarzer Marmor, ein Anderer, der ſich mit Geſchichtforſchung
plagte, ſprach gelehrt über Grabdenkmale der Alten, — derweil
war ein Dritter ſchweigſam auf dem Backſteingemäuer geſeſſen,
der zog ſein Skizzenbuch und zeichnete ein ſtolzes Viergeſpann
mit ſchnaubenden Roſſen und Wettkämpfern und viel ſchöne jo-
niſche Ornamentik darum; er hatte in einer Ecke des Fußbodens
einen unſcheinbaren Reſt des alten Bildes erſchaut, Pferdefüße
und eines Wagenrades Fragmente, da ſtand das Ganze klar
vor ſeiner Seele und er warf's mit kecken Strichen hin, derweil
die andern in Worten kramten ...

Bei jener Gelegenheit war einiger Aufſchluß zu gewinnen
über die Frage, wie mit Erfolg an der geſchichtlichen Wieder-
belebung der Vergangenheit zu arbeiten ſei.

Gewißlich nur dann, wenn einer ſchöpferiſch wiederherſtel-
lenden Phantaſie ihre Rechte nicht verkümmert werden, wenn
der, der die alten Gebeine ausgräbt, ſie zugleich auch mit dem
Athemzug einer lebendigen Seele anhaucht, auf daß ſie ſich er-
heben und kräftigen Schrittes als auferweckte Todte einher wandeln.

In dieſem Sinn nun kann der hiſtoriſche Roman das ſein,
was in blühender Jugendzeit der Völker die epiſche Dichtung,
ein Stück nationaler Geſchichte in der Auffaſſung des Künſtlers,
der im gegebenen Raume eine Reihe Geſtalten ſcharfgezeichnet
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[III/0013] boden geſchmückt. Es erhub ſich ein lebhaft Geſpräch darüber, was all die zerſtreuten gewürfelten Steinchen in ihrem Zuſam- menhang dargeſtellt haben mochten. Einer, der ein Archäolog war, hob die einzelnen Stücke gegen's Licht und prüfte, ob weißer, ob ſchwarzer Marmor, ein Anderer, der ſich mit Geſchichtforſchung plagte, ſprach gelehrt über Grabdenkmale der Alten, — derweil war ein Dritter ſchweigſam auf dem Backſteingemäuer geſeſſen, der zog ſein Skizzenbuch und zeichnete ein ſtolzes Viergeſpann mit ſchnaubenden Roſſen und Wettkämpfern und viel ſchöne jo- niſche Ornamentik darum; er hatte in einer Ecke des Fußbodens einen unſcheinbaren Reſt des alten Bildes erſchaut, Pferdefüße und eines Wagenrades Fragmente, da ſtand das Ganze klar vor ſeiner Seele und er warf's mit kecken Strichen hin, derweil die andern in Worten kramten ... Bei jener Gelegenheit war einiger Aufſchluß zu gewinnen über die Frage, wie mit Erfolg an der geſchichtlichen Wieder- belebung der Vergangenheit zu arbeiten ſei. Gewißlich nur dann, wenn einer ſchöpferiſch wiederherſtel- lenden Phantaſie ihre Rechte nicht verkümmert werden, wenn der, der die alten Gebeine ausgräbt, ſie zugleich auch mit dem Athemzug einer lebendigen Seele anhaucht, auf daß ſie ſich er- heben und kräftigen Schrittes als auferweckte Todte einher wandeln. In dieſem Sinn nun kann der hiſtoriſche Roman das ſein, was in blühender Jugendzeit der Völker die epiſche Dichtung, ein Stück nationaler Geſchichte in der Auffaſſung des Künſtlers, der im gegebenen Raume eine Reihe Geſtalten ſcharfgezeichnet und farbenhell vorüberführt, alſo daß im Leben und Ringen und

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. III. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/13>, abgerufen am 25.04.2024.