Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Kind von dem, was ihm gegeben wird, so viel,
als seine Begierde zu ihrer Sättigung verlangt,
und verschmeißt die Ueberbleibsel, weil es ihm nun
nicht mehr schmeckt, und es nicht daran denkt,
daß es ihm morgen wieder schmecken wer-
de. Es folgt nur dem Triebe der Sinnlichkeit,
und ist für Bewegungsgründe der Vernunft noch
nicht empfänglich.

Eben so ist der Wilde. Weder Hofnung
eines künftigen Guts, noch Furcht vor einem
künftigen Uebel können ihn zur Thätigkeit und Sor-
ge für die Zukunft bestimmen. Er säet und
erndtet nicht; wenn der Hunger ihn treibt, streift
er umher, und sucht ihn mit den Früchten, die
die Erde freywillig erzeugte, oder mit dem Wild,
das der Wald hegt, oder mit den Fischen der
Ströme und Flüsse zu stillen. Wenn er Ueber-
fluß hat, denkt er nicht daran, sich von demselben
etwas für die folgenden Tage zu sparen; sondern
verzehrt und verschwendet alles, was da ist.

Von den Hottentotten erzählt dieses Herr
Vaillant in seiner Reise in das Jnnere von Afri-
ka*). So lange, sagt er, die Hottentotten
Ueberfluß an Lebensmitteln haben, sind sie außer-
ordentlich gefräßig; dahingegen begnügen sie sich
bey Hungersnoth mit sehr Wenigem; sie gleichen
darin gewissermaßen den Hyänen und andern

fleisch-
*) Theil 1. S. 265.

Kind von dem, was ihm gegeben wird, ſo viel,
als ſeine Begierde zu ihrer Saͤttigung verlangt,
und verſchmeißt die Ueberbleibſel, weil es ihm nun
nicht mehr ſchmeckt, und es nicht daran denkt,
daß es ihm morgen wieder ſchmecken wer-
de. Es folgt nur dem Triebe der Sinnlichkeit,
und iſt fuͤr Bewegungsgruͤnde der Vernunft noch
nicht empfaͤnglich.

Eben ſo iſt der Wilde. Weder Hofnung
eines kuͤnftigen Guts, noch Furcht vor einem
kuͤnftigen Uebel koͤnnen ihn zur Thaͤtigkeit und Sor-
ge fuͤr die Zukunft beſtimmen. Er ſaͤet und
erndtet nicht; wenn der Hunger ihn treibt, ſtreift
er umher, und ſucht ihn mit den Fruͤchten, die
die Erde freywillig erzeugte, oder mit dem Wild,
das der Wald hegt, oder mit den Fiſchen der
Stroͤme und Fluͤſſe zu ſtillen. Wenn er Ueber-
fluß hat, denkt er nicht daran, ſich von demſelben
etwas fuͤr die folgenden Tage zu ſparen; ſondern
verzehrt und verſchwendet alles, was da iſt.

Von den Hottentotten erzaͤhlt dieſes Herr
Vaillant in ſeiner Reiſe in das Jnnere von Afri-
ka*). So lange, ſagt er, die Hottentotten
Ueberfluß an Lebensmitteln haben, ſind ſie außer-
ordentlich gefraͤßig; dahingegen begnuͤgen ſie ſich
bey Hungersnoth mit ſehr Wenigem; ſie gleichen
darin gewiſſermaßen den Hyaͤnen und andern

fleiſch-
*) Theil 1. S. 265.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0082" n="366"/>
Kind von dem, was ihm gegeben wird, &#x017F;o viel,<lb/>
als &#x017F;eine Begierde zu ihrer Sa&#x0364;ttigung verlangt,<lb/>
und ver&#x017F;chmeißt die Ueberbleib&#x017F;el, weil es ihm nun<lb/>
nicht mehr &#x017F;chmeckt, und es nicht daran denkt,<lb/>
daß es ihm morgen wieder &#x017F;chmecken wer-<lb/>
de. Es folgt nur dem Triebe der Sinnlichkeit,<lb/>
und i&#x017F;t fu&#x0364;r Bewegungsgru&#x0364;nde der Vernunft noch<lb/>
nicht empfa&#x0364;nglich.</p><lb/>
        <p>Eben &#x017F;o i&#x017F;t der Wilde. Weder Hofnung<lb/>
eines ku&#x0364;nftigen Guts, noch Furcht vor einem<lb/>
ku&#x0364;nftigen Uebel ko&#x0364;nnen ihn zur Tha&#x0364;tigkeit und Sor-<lb/>
ge fu&#x0364;r die Zukunft be&#x017F;timmen. Er &#x017F;a&#x0364;et und<lb/>
erndtet nicht; wenn der Hunger ihn treibt, &#x017F;treift<lb/>
er umher, und &#x017F;ucht ihn mit den Fru&#x0364;chten, die<lb/>
die Erde freywillig erzeugte, oder mit dem Wild,<lb/>
das der Wald hegt, oder mit den Fi&#x017F;chen der<lb/>
Stro&#x0364;me und Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e zu &#x017F;tillen. Wenn er Ueber-<lb/>
fluß hat, denkt er nicht daran, &#x017F;ich von dem&#x017F;elben<lb/>
etwas fu&#x0364;r die folgenden Tage zu &#x017F;paren; &#x017F;ondern<lb/>
verzehrt und ver&#x017F;chwendet alles, was da i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Von den <hi rendition="#b">Hottentotten</hi> erza&#x0364;hlt die&#x017F;es Herr<lb/><hi rendition="#b">Vaillant</hi> in &#x017F;einer Rei&#x017F;e in das Jnnere von Afri-<lb/>
ka<note place="foot" n="*)">Theil 1. S. 265.</note>. So lange, &#x017F;agt er, die Hottentotten<lb/>
Ueberfluß an Lebensmitteln haben, &#x017F;ind &#x017F;ie außer-<lb/>
ordentlich gefra&#x0364;ßig; dahingegen begnu&#x0364;gen &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
bey Hungersnoth mit &#x017F;ehr Wenigem; &#x017F;ie gleichen<lb/>
darin gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen den Hya&#x0364;nen und andern<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">flei&#x017F;ch-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[366/0082] Kind von dem, was ihm gegeben wird, ſo viel, als ſeine Begierde zu ihrer Saͤttigung verlangt, und verſchmeißt die Ueberbleibſel, weil es ihm nun nicht mehr ſchmeckt, und es nicht daran denkt, daß es ihm morgen wieder ſchmecken wer- de. Es folgt nur dem Triebe der Sinnlichkeit, und iſt fuͤr Bewegungsgruͤnde der Vernunft noch nicht empfaͤnglich. Eben ſo iſt der Wilde. Weder Hofnung eines kuͤnftigen Guts, noch Furcht vor einem kuͤnftigen Uebel koͤnnen ihn zur Thaͤtigkeit und Sor- ge fuͤr die Zukunft beſtimmen. Er ſaͤet und erndtet nicht; wenn der Hunger ihn treibt, ſtreift er umher, und ſucht ihn mit den Fruͤchten, die die Erde freywillig erzeugte, oder mit dem Wild, das der Wald hegt, oder mit den Fiſchen der Stroͤme und Fluͤſſe zu ſtillen. Wenn er Ueber- fluß hat, denkt er nicht daran, ſich von demſelben etwas fuͤr die folgenden Tage zu ſparen; ſondern verzehrt und verſchwendet alles, was da iſt. Von den Hottentotten erzaͤhlt dieſes Herr Vaillant in ſeiner Reiſe in das Jnnere von Afri- ka *). So lange, ſagt er, die Hottentotten Ueberfluß an Lebensmitteln haben, ſind ſie außer- ordentlich gefraͤßig; dahingegen begnuͤgen ſie ſich bey Hungersnoth mit ſehr Wenigem; ſie gleichen darin gewiſſermaßen den Hyaͤnen und andern fleiſch- *) Theil 1. S. 265.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/82
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/82>, abgerufen am 16.04.2024.