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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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sie nicht aufmerksam sind; weil sie das Gute vom
Schlechten nicht unterscheiden; weil keine Art
von Vortreflichkeit auf sie Eindruck macht; weil
sie weder Ehrgeiz noch irgend einen lebhaften An-
trieb haben."*)

Daß der Trieb zur Nachahmung, wie alles,
was die Natur den Menschen schenkte, sehr
wohlthätig sey, kann man ja wohl aus einer nur
flüchtigen Betrachtung dessen, was dadurch ge-
wirkt werden kann und schon gewirkt ist, leicht
einsehn. Daß er aber auch, wie es der Wille
der Natur war, mit Weisheit geleitet werden
müsse, wenn er wohlthätig seyn und nicht schäd-
lich werden soll, wird sich schon aus den vorher-
gehenden Betrachtungen ergeben, denen ich noch
Folgendes beifüge, welches ich zum Theil dem Cicero
und seinem philosophischen Commentator verdanke.

Nicht alles, was an Einem vortreflich, schön
und gefallend erscheint, erscheint deshalb auch an
dem andern so. Einen Mann von Ansehn und
bewährter Tugend, steht Freymüthigkeit und
offnes Urtheil über Fehler Andrer sehr wohl;
in einem Menschen ohne Tugend und rechtmä-
ßiges Ansehn
aber, würde sie Frechheit seyn.
Daß der große König seine Räthe und Diener
genau beobachtete und ihnen ihre Fehler verwies,

wird
*) Philosophische Anm. und Abh. zu Cicero von den
Pflichten, 1. Th. S. 187.

ſie nicht aufmerkſam ſind; weil ſie das Gute vom
Schlechten nicht unterſcheiden; weil keine Art
von Vortreflichkeit auf ſie Eindruck macht; weil
ſie weder Ehrgeiz noch irgend einen lebhaften An-
trieb haben.„*)

Daß der Trieb zur Nachahmung, wie alles,
was die Natur den Menſchen ſchenkte, ſehr
wohlthaͤtig ſey, kann man ja wohl aus einer nur
fluͤchtigen Betrachtung deſſen, was dadurch ge-
wirkt werden kann und ſchon gewirkt iſt, leicht
einſehn. Daß er aber auch, wie es der Wille
der Natur war, mit Weisheit geleitet werden
muͤſſe, wenn er wohlthaͤtig ſeyn und nicht ſchaͤd-
lich werden ſoll, wird ſich ſchon aus den vorher-
gehenden Betrachtungen ergeben, denen ich noch
Folgendes beifuͤge, welches ich zum Theil dem Cicero
und ſeinem philoſophiſchen Commentator verdanke.

Nicht alles, was an Einem vortreflich, ſchoͤn
und gefallend erſcheint, erſcheint deshalb auch an
dem andern ſo. Einen Mann von Anſehn und
bewaͤhrter Tugend, ſteht Freymuͤthigkeit und
offnes Urtheil uͤber Fehler Andrer ſehr wohl;
in einem Menſchen ohne Tugend und rechtmaͤ-
ßiges Anſehn
aber, wuͤrde ſie Frechheit ſeyn.
Daß der große Koͤnig ſeine Raͤthe und Diener
genau beobachtete und ihnen ihre Fehler verwies,

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*) Philoſophiſche Anm. und Abh. zu Cicero von den
Pflichten, 1. Th. S. 187.
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[358/0074] ſie nicht aufmerkſam ſind; weil ſie das Gute vom Schlechten nicht unterſcheiden; weil keine Art von Vortreflichkeit auf ſie Eindruck macht; weil ſie weder Ehrgeiz noch irgend einen lebhaften An- trieb haben.„ *) Daß der Trieb zur Nachahmung, wie alles, was die Natur den Menſchen ſchenkte, ſehr wohlthaͤtig ſey, kann man ja wohl aus einer nur fluͤchtigen Betrachtung deſſen, was dadurch ge- wirkt werden kann und ſchon gewirkt iſt, leicht einſehn. Daß er aber auch, wie es der Wille der Natur war, mit Weisheit geleitet werden muͤſſe, wenn er wohlthaͤtig ſeyn und nicht ſchaͤd- lich werden ſoll, wird ſich ſchon aus den vorher- gehenden Betrachtungen ergeben, denen ich noch Folgendes beifuͤge, welches ich zum Theil dem Cicero und ſeinem philoſophiſchen Commentator verdanke. Nicht alles, was an Einem vortreflich, ſchoͤn und gefallend erſcheint, erſcheint deshalb auch an dem andern ſo. Einen Mann von Anſehn und bewaͤhrter Tugend, ſteht Freymuͤthigkeit und offnes Urtheil uͤber Fehler Andrer ſehr wohl; in einem Menſchen ohne Tugend und rechtmaͤ- ßiges Anſehn aber, wuͤrde ſie Frechheit ſeyn. Daß der große Koͤnig ſeine Raͤthe und Diener genau beobachtete und ihnen ihre Fehler verwies, wird *) Philoſophiſche Anm. und Abh. zu Cicero von den Pflichten, 1. Th. S. 187.

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/74>, abgerufen am 28.03.2024.