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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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Tod genannt wird! -- weil dieser ihn wegreißt
von seinem Götzen, der jenseits des Grabes nicht
mehr angebetet werden kann.

Bey Einigen ist indeß diese ängstliche Furcht
vor dem Tode nicht sowohl eine Folge der kleinli-
chen Liebe zum Leben, als der schrecklichen Vor-
stellung von dem, was dem Leben ein Ende
macht.
Aus dieser Quelle fließt der Kleinmuth
in Hinsicht des Sterbens bey denen, welche
vor dem Tode sich zu fürchten nicht Ursach hät-
ten, und in andern Stücken ihre männliche Tu-
gend bewiesen. Das Sterben ist für jeden eine
so neue, ungewöhnliche Situation; die Vorstel-
lungen von der Angst derer, in welchen Tod und
Leben mit einander kämpfen, sind so schauderhaft,
daß auch der Mann wohl davor zittern kann.
Sieht er überdem einer schimpflichen grausamen
Todesart entgegen, so kann es um so leichter da-
hin kommen, daß er verzagt wird, und alles an-
wendet, sich dieser Todesart zu entziehen.

Diego de Almagro, welcher dem Wütrich
Pizarro zur Eroberung von Amerika zugesellt
war, entzweyte sich mit diesem, kriegte mit ihm,
und wurde gefangen. Pizarro beschuldigte ihn
des Hochverraths, und verurtheilte ihn zum To-
de. Almagro, der so oft dem Tode im Felde
getrotzt hatte, wurde durch die Annäherung des-
selben unter dieser schimpflichen Gestalt so erschreckt,

daß

Tod genannt wird! — weil dieſer ihn wegreißt
von ſeinem Goͤtzen, der jenſeits des Grabes nicht
mehr angebetet werden kann.

Bey Einigen iſt indeß dieſe aͤngſtliche Furcht
vor dem Tode nicht ſowohl eine Folge der kleinli-
chen Liebe zum Leben, als der ſchrecklichen Vor-
ſtellung von dem, was dem Leben ein Ende
macht.
Aus dieſer Quelle fließt der Kleinmuth
in Hinſicht des Sterbens bey denen, welche
vor dem Tode ſich zu fuͤrchten nicht Urſach haͤt-
ten, und in andern Stuͤcken ihre maͤnnliche Tu-
gend bewieſen. Das Sterben iſt fuͤr jeden eine
ſo neue, ungewoͤhnliche Situation; die Vorſtel-
lungen von der Angſt derer, in welchen Tod und
Leben mit einander kaͤmpfen, ſind ſo ſchauderhaft,
daß auch der Mann wohl davor zittern kann.
Sieht er uͤberdem einer ſchimpflichen grauſamen
Todesart entgegen, ſo kann es um ſo leichter da-
hin kommen, daß er verzagt wird, und alles an-
wendet, ſich dieſer Todesart zu entziehen.

Diego de Almagro, welcher dem Wuͤtrich
Pizarro zur Eroberung von Amerika zugeſellt
war, entzweyte ſich mit dieſem, kriegte mit ihm,
und wurde gefangen. Pizarro beſchuldigte ihn
des Hochverraths, und verurtheilte ihn zum To-
de. Almagro, der ſo oft dem Tode im Felde
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ſelben unter dieſer ſchimpflichen Geſtalt ſo erſchreckt,

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[326/0042] Tod genannt wird! — weil dieſer ihn wegreißt von ſeinem Goͤtzen, der jenſeits des Grabes nicht mehr angebetet werden kann. Bey Einigen iſt indeß dieſe aͤngſtliche Furcht vor dem Tode nicht ſowohl eine Folge der kleinli- chen Liebe zum Leben, als der ſchrecklichen Vor- ſtellung von dem, was dem Leben ein Ende macht. Aus dieſer Quelle fließt der Kleinmuth in Hinſicht des Sterbens bey denen, welche vor dem Tode ſich zu fuͤrchten nicht Urſach haͤt- ten, und in andern Stuͤcken ihre maͤnnliche Tu- gend bewieſen. Das Sterben iſt fuͤr jeden eine ſo neue, ungewoͤhnliche Situation; die Vorſtel- lungen von der Angſt derer, in welchen Tod und Leben mit einander kaͤmpfen, ſind ſo ſchauderhaft, daß auch der Mann wohl davor zittern kann. Sieht er uͤberdem einer ſchimpflichen grauſamen Todesart entgegen, ſo kann es um ſo leichter da- hin kommen, daß er verzagt wird, und alles an- wendet, ſich dieſer Todesart zu entziehen. Diego de Almagro, welcher dem Wuͤtrich Pizarro zur Eroberung von Amerika zugeſellt war, entzweyte ſich mit dieſem, kriegte mit ihm, und wurde gefangen. Pizarro beſchuldigte ihn des Hochverraths, und verurtheilte ihn zum To- de. Almagro, der ſo oft dem Tode im Felde getrotzt hatte, wurde durch die Annaͤherung deſ- ſelben unter dieſer ſchimpflichen Geſtalt ſo erſchreckt, daß

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/42>, abgerufen am 29.03.2024.