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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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machen, deutlicher, als in dem Zorn der Lieben-
den. Ueberhaupt ist der Zorn um so heftiger, je
werther das durch den Beleidiger entrißne Gut
dem Herzen war; der Zorn der Liebe wird dadurch
noch heftiger, daß das geraubte Gut und der
Räuber eins ist, und man denselben so gern recht
schnell zur Wiedergabe bewegen will. Durch
dieses sich selbst übereilende Verlangen der Liebe,
den Geliebten wieder gut zu machen, wird es be-
wirkt, daß man in dem zürnenden Liebenden oft
vielmehr den grausamsten, quälendsten, hassend-
sten Feind, als den wohlwollenden, gern erfreuen-
den, gern alles für den Geliebten aufopfernden
Liebenden zu sehen glaubt.

Je weniger man den Zorn äußern kann, desto
stärker schwillt er an, und desto angreifender und
giftiger wird er. Bey stummen Personen, auch
bey solchen, denen das Sprechen schwer wird,
pflegen sich alle Wirkungen des Zorns im Super-
lativ zu zeigen. Jhr feuriges Auge scheint sich
aus seiner Höhlung reißen, das schwarze Blur
die Adern durchbrechen zu wollen. Alles ist
Feuer und Ekstase an ihnen: und ihr Angriff
scheint nicht auf Schlag und Stoß, sondern auf
Mord und Todschlag berechnet zu seyn. -- Auch
dann, wenn man seinen Zorn nicht auslassen
darf, wie z. B. der Unterthan in Gegenwart des
Friedensrichters, oder die G*** Fischweiber im

Käficht,

machen, deutlicher, als in dem Zorn der Lieben-
den. Ueberhaupt iſt der Zorn um ſo heftiger, je
werther das durch den Beleidiger entrißne Gut
dem Herzen war; der Zorn der Liebe wird dadurch
noch heftiger, daß das geraubte Gut und der
Raͤuber eins iſt, und man denſelben ſo gern recht
ſchnell zur Wiedergabe bewegen will. Durch
dieſes ſich ſelbſt uͤbereilende Verlangen der Liebe,
den Geliebten wieder gut zu machen, wird es be-
wirkt, daß man in dem zuͤrnenden Liebenden oft
vielmehr den grauſamſten, quaͤlendſten, haſſend-
ſten Feind, als den wohlwollenden, gern erfreuen-
den, gern alles fuͤr den Geliebten aufopfernden
Liebenden zu ſehen glaubt.

Je weniger man den Zorn aͤußern kann, deſto
ſtaͤrker ſchwillt er an, und deſto angreifender und
giftiger wird er. Bey ſtummen Perſonen, auch
bey ſolchen, denen das Sprechen ſchwer wird,
pflegen ſich alle Wirkungen des Zorns im Super-
lativ zu zeigen. Jhr feuriges Auge ſcheint ſich
aus ſeiner Hoͤhlung reißen, das ſchwarze Blur
die Adern durchbrechen zu wollen. Alles iſt
Feuer und Ekſtaſe an ihnen: und ihr Angriff
ſcheint nicht auf Schlag und Stoß, ſondern auf
Mord und Todſchlag berechnet zu ſeyn. — Auch
dann, wenn man ſeinen Zorn nicht auslaſſen
darf, wie z. B. der Unterthan in Gegenwart des
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[634/0350] machen, deutlicher, als in dem Zorn der Lieben- den. Ueberhaupt iſt der Zorn um ſo heftiger, je werther das durch den Beleidiger entrißne Gut dem Herzen war; der Zorn der Liebe wird dadurch noch heftiger, daß das geraubte Gut und der Raͤuber eins iſt, und man denſelben ſo gern recht ſchnell zur Wiedergabe bewegen will. Durch dieſes ſich ſelbſt uͤbereilende Verlangen der Liebe, den Geliebten wieder gut zu machen, wird es be- wirkt, daß man in dem zuͤrnenden Liebenden oft vielmehr den grauſamſten, quaͤlendſten, haſſend- ſten Feind, als den wohlwollenden, gern erfreuen- den, gern alles fuͤr den Geliebten aufopfernden Liebenden zu ſehen glaubt. Je weniger man den Zorn aͤußern kann, deſto ſtaͤrker ſchwillt er an, und deſto angreifender und giftiger wird er. Bey ſtummen Perſonen, auch bey ſolchen, denen das Sprechen ſchwer wird, pflegen ſich alle Wirkungen des Zorns im Super- lativ zu zeigen. Jhr feuriges Auge ſcheint ſich aus ſeiner Hoͤhlung reißen, das ſchwarze Blur die Adern durchbrechen zu wollen. Alles iſt Feuer und Ekſtaſe an ihnen: und ihr Angriff ſcheint nicht auf Schlag und Stoß, ſondern auf Mord und Todſchlag berechnet zu ſeyn. — Auch dann, wenn man ſeinen Zorn nicht auslaſſen darf, wie z. B. der Unterthan in Gegenwart des Friedensrichters, oder die G*** Fiſchweiber im Kaͤficht,

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/350>, abgerufen am 29.03.2024.