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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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tur noch nicht ganz von der Angst seines Herzens
betäubt. Sie stört seinen Entschluß durch alle
nur aufzufindende Zweifel. -- Aber wird deine
Pein nach dem Tode auch aufhören? wird sie
vielleicht nicht noch größer werden?

Sie kann nicht, so entgegnet ihr sein
ganzes Gefühl,

Nein, sie kann, nach dem Tode, nicht fürch-
terlicher mich fassen,
Diese namlose Qual! Zu entsetzliche Qualen, o
wüthet,
Wüthet, so lang ihr noch könnt! Wenn dies Auge
sich zuschließt, und alles
Diesem Ohre verstummt; so seh' ich sein Blut
nicht, so hör' ich
Seine brechende Stimme nicht mehr! --

Noch schweigt die Natur nicht: Gottes Be-
fehl soll sie schützen.

-- -- Der auf Horeb
Sprach ja: Du sollst nicht tödten! --

Welch' ein Schlag für den Elenden! Sein
Herz wird gedrängt zwischen dem Gefühl seiner
Qualen, und der dunklen Ahndung, daß der Tod
ihn zu Gott führt, dessen Gebot er verletzt. Es
bemächtigt sich seiner in diesem Gedränge die ra-
sendste, bewußtloseste Verzweiflung;

Er ist mein Gott nicht! Jch habe
Kei-

tur noch nicht ganz von der Angſt ſeines Herzens
betaͤubt. Sie ſtoͤrt ſeinen Entſchluß durch alle
nur aufzufindende Zweifel. — Aber wird deine
Pein nach dem Tode auch aufhoͤren? wird ſie
vielleicht nicht noch groͤßer werden?

Sie kann nicht, ſo entgegnet ihr ſein
ganzes Gefuͤhl,

Nein, ſie kann, nach dem Tode, nicht fuͤrch-
terlicher mich faſſen,
Dieſe namloſe Qual! Zu entſetzliche Qualen, o
wuͤthet,
Wuͤthet, ſo lang ihr noch koͤnnt! Wenn dies Auge
ſich zuſchließt, und alles
Dieſem Ohre verſtummt; ſo ſeh' ich ſein Blut
nicht, ſo hoͤr' ich
Seine brechende Stimme nicht mehr! —

Noch ſchweigt die Natur nicht: Gottes Be-
fehl ſoll ſie ſchuͤtzen.

— — Der auf Horeb
Sprach ja: Du ſollſt nicht toͤdten! —

Welch' ein Schlag fuͤr den Elenden! Sein
Herz wird gedraͤngt zwiſchen dem Gefuͤhl ſeiner
Qualen, und der dunklen Ahndung, daß der Tod
ihn zu Gott fuͤhrt, deſſen Gebot er verletzt. Es
bemaͤchtigt ſich ſeiner in dieſem Gedraͤnge die ra-
ſendſte, bewußtloſeſte Verzweiflung;

Er iſt mein Gott nicht! Jch habe
Kei-
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[318/0034] tur noch nicht ganz von der Angſt ſeines Herzens betaͤubt. Sie ſtoͤrt ſeinen Entſchluß durch alle nur aufzufindende Zweifel. — Aber wird deine Pein nach dem Tode auch aufhoͤren? wird ſie vielleicht nicht noch groͤßer werden? Sie kann nicht, ſo entgegnet ihr ſein ganzes Gefuͤhl, Nein, ſie kann, nach dem Tode, nicht fuͤrch- terlicher mich faſſen, Dieſe namloſe Qual! Zu entſetzliche Qualen, o wuͤthet, Wuͤthet, ſo lang ihr noch koͤnnt! Wenn dies Auge ſich zuſchließt, und alles Dieſem Ohre verſtummt; ſo ſeh' ich ſein Blut nicht, ſo hoͤr' ich Seine brechende Stimme nicht mehr! — Noch ſchweigt die Natur nicht: Gottes Be- fehl ſoll ſie ſchuͤtzen. — — Der auf Horeb Sprach ja: Du ſollſt nicht toͤdten! — Welch' ein Schlag fuͤr den Elenden! Sein Herz wird gedraͤngt zwiſchen dem Gefuͤhl ſeiner Qualen, und der dunklen Ahndung, daß der Tod ihn zu Gott fuͤhrt, deſſen Gebot er verletzt. Es bemaͤchtigt ſich ſeiner in dieſem Gedraͤnge die ra- ſendſte, bewußtloſeſte Verzweiflung; Er iſt mein Gott nicht! Jch habe Kei-

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/34>, abgerufen am 29.03.2024.