Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

einen Blick thun, als das eitle aber häßliche Mäd-
chen in einen Spiegel. Nichts ist daher auch
dem völlig Beschämten empfindlicher, als wenn
man sein Auge ausdrücklich sucht; er drückt das
Gesicht, so viel er kann, gegen den Busen, steift
den Nacken gegen jede Bemühung ihm den Kopf
in die Höhe zu heben, und verwendet entweder,
oder versteckt auch den scheuen lichtleeren Blick
hinter dem Liede. -- Alle diese Bemerkungen
überzeugen uns, wie vollkommen wahr der Aus-
spruch des Aristoteles sey: Die Schaam ist im
Auge*).

Der völlig Beschämte, der gewiß überzeugt
ist, daß eine Unanständigkeit, eine Schwäche,
ein Vergehen von Andern entdeckt ist, strebt über-
haupt dem Spiegel seiner Beschämung aus dem
Wege zu kommen. Er schleicht oder rennt ent-
weder davon, oder verbirgt wenigstens sein Ange-
sicht so fest und tief er kann. Kann er aber selbst
auf keine Weise entrinnen, und mischt sich dazu
noch unter seine Schaam, Erbitterung oder
Verzweiflung, so stößt er mit gesammelter Kraft
den vor dessen Augen er beschämt wurde, zurück.
Als die Prinzessin Eboli, welche dem Prinzen
Dom Karlos ihre Liebe sehr deutlich zu erkennen
gegeben, und ihn selbst schriftlich eingeladen hat,
in ihr einsames Kabinet zu kommen, durch die

Unter-
*) Engels Mimik, 1. Th. 282. S. ff.

einen Blick thun, als das eitle aber haͤßliche Maͤd-
chen in einen Spiegel. Nichts iſt daher auch
dem voͤllig Beſchaͤmten empfindlicher, als wenn
man ſein Auge ausdruͤcklich ſucht; er druͤckt das
Geſicht, ſo viel er kann, gegen den Buſen, ſteift
den Nacken gegen jede Bemuͤhung ihm den Kopf
in die Hoͤhe zu heben, und verwendet entweder,
oder verſteckt auch den ſcheuen lichtleeren Blick
hinter dem Liede. — Alle dieſe Bemerkungen
uͤberzeugen uns, wie vollkommen wahr der Aus-
ſpruch des Ariſtoteles ſey: Die Schaam iſt im
Auge*).

Der voͤllig Beſchaͤmte, der gewiß uͤberzeugt
iſt, daß eine Unanſtaͤndigkeit, eine Schwaͤche,
ein Vergehen von Andern entdeckt iſt, ſtrebt uͤber-
haupt dem Spiegel ſeiner Beſchaͤmung aus dem
Wege zu kommen. Er ſchleicht oder rennt ent-
weder davon, oder verbirgt wenigſtens ſein Ange-
ſicht ſo feſt und tief er kann. Kann er aber ſelbſt
auf keine Weiſe entrinnen, und miſcht ſich dazu
noch unter ſeine Schaam, Erbitterung oder
Verzweiflung, ſo ſtoͤßt er mit geſammelter Kraft
den vor deſſen Augen er beſchaͤmt wurde, zuruͤck.
Als die Prinzeſſin Eboli, welche dem Prinzen
Dom Karlos ihre Liebe ſehr deutlich zu erkennen
gegeben, und ihn ſelbſt ſchriftlich eingeladen hat,
in ihr einſames Kabinet zu kommen, durch die

Unter-
*) Engels Mimik, 1. Th. 282. S. ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0336" n="620"/>
einen Blick thun, als das eitle aber ha&#x0364;ßliche Ma&#x0364;d-<lb/>
chen in einen Spiegel. Nichts i&#x017F;t daher auch<lb/>
dem vo&#x0364;llig Be&#x017F;cha&#x0364;mten empfindlicher, als wenn<lb/>
man &#x017F;ein Auge ausdru&#x0364;cklich &#x017F;ucht; er dru&#x0364;ckt das<lb/>
Ge&#x017F;icht, &#x017F;o viel er kann, gegen den Bu&#x017F;en, &#x017F;teift<lb/>
den Nacken gegen jede Bemu&#x0364;hung ihm den Kopf<lb/>
in die Ho&#x0364;he zu heben, und verwendet entweder,<lb/>
oder ver&#x017F;teckt auch den &#x017F;cheuen lichtleeren Blick<lb/>
hinter dem Liede. &#x2014; Alle die&#x017F;e Bemerkungen<lb/>
u&#x0364;berzeugen uns, wie vollkommen wahr der Aus-<lb/>
&#x017F;pruch des <hi rendition="#b">Ari&#x017F;toteles</hi> &#x017F;ey: Die Schaam i&#x017F;t im<lb/>
Auge<note place="foot" n="*)">Engels Mimik, 1. Th. 282. S. ff.</note>.</p><lb/>
        <p>Der vo&#x0364;llig Be&#x017F;cha&#x0364;mte, der gewiß u&#x0364;berzeugt<lb/>
i&#x017F;t, daß eine Unan&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit, eine Schwa&#x0364;che,<lb/>
ein Vergehen von Andern entdeckt i&#x017F;t, &#x017F;trebt u&#x0364;ber-<lb/>
haupt dem Spiegel &#x017F;einer Be&#x017F;cha&#x0364;mung aus dem<lb/>
Wege zu kommen. Er &#x017F;chleicht oder rennt ent-<lb/>
weder davon, oder verbirgt wenig&#x017F;tens &#x017F;ein Ange-<lb/>
&#x017F;icht &#x017F;o fe&#x017F;t und tief er kann. Kann er aber &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
auf keine Wei&#x017F;e entrinnen, und mi&#x017F;cht &#x017F;ich dazu<lb/>
noch unter &#x017F;eine Schaam, Erbitterung oder<lb/>
Verzweiflung, &#x017F;o &#x017F;to&#x0364;ßt er mit ge&#x017F;ammelter Kraft<lb/>
den vor de&#x017F;&#x017F;en Augen er be&#x017F;cha&#x0364;mt wurde, zuru&#x0364;ck.<lb/>
Als die Prinze&#x017F;&#x017F;in <hi rendition="#b">Eboli</hi>, welche dem Prinzen<lb/><hi rendition="#b">Dom Karlos</hi> ihre Liebe &#x017F;ehr deutlich zu erkennen<lb/>
gegeben, und ihn &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chriftlich eingeladen hat,<lb/>
in ihr ein&#x017F;ames Kabinet zu kommen, durch die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Unter-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[620/0336] einen Blick thun, als das eitle aber haͤßliche Maͤd- chen in einen Spiegel. Nichts iſt daher auch dem voͤllig Beſchaͤmten empfindlicher, als wenn man ſein Auge ausdruͤcklich ſucht; er druͤckt das Geſicht, ſo viel er kann, gegen den Buſen, ſteift den Nacken gegen jede Bemuͤhung ihm den Kopf in die Hoͤhe zu heben, und verwendet entweder, oder verſteckt auch den ſcheuen lichtleeren Blick hinter dem Liede. — Alle dieſe Bemerkungen uͤberzeugen uns, wie vollkommen wahr der Aus- ſpruch des Ariſtoteles ſey: Die Schaam iſt im Auge *). Der voͤllig Beſchaͤmte, der gewiß uͤberzeugt iſt, daß eine Unanſtaͤndigkeit, eine Schwaͤche, ein Vergehen von Andern entdeckt iſt, ſtrebt uͤber- haupt dem Spiegel ſeiner Beſchaͤmung aus dem Wege zu kommen. Er ſchleicht oder rennt ent- weder davon, oder verbirgt wenigſtens ſein Ange- ſicht ſo feſt und tief er kann. Kann er aber ſelbſt auf keine Weiſe entrinnen, und miſcht ſich dazu noch unter ſeine Schaam, Erbitterung oder Verzweiflung, ſo ſtoͤßt er mit geſammelter Kraft den vor deſſen Augen er beſchaͤmt wurde, zuruͤck. Als die Prinzeſſin Eboli, welche dem Prinzen Dom Karlos ihre Liebe ſehr deutlich zu erkennen gegeben, und ihn ſelbſt ſchriftlich eingeladen hat, in ihr einſames Kabinet zu kommen, durch die Unter- *) Engels Mimik, 1. Th. 282. S. ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/336
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 620. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/336>, abgerufen am 23.04.2024.