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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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Jst man einmal in Furcht gesetzt, so kommt
einem alles fürchterlich vor, das Herz überwischt
alle Gegenstände mit der Farbe, die derjenige
hat, der es gegenwärtig füllt. Weil uns aus
einem ein Uebel droht, so werden wir argwöhnisch
gegen alle, und glauben, daß der Eine die Uebri-
gen in die Verschwörung wider uns gezogen habe;
und weil wir einmal kleinmüthig sind, so zeigt sich
uns alles leicht von einer solchen Seite, daß wir dem-
selben nicht gewachsen zu seyn scheinen. Als Ae-
neas
seinen alten Vater Anchises auf den Schul-
tern, und seinen kleinen Julus an der Hand,
aus Troja flieht, setzt ihn nach seinem eignen Ge-
ständniß alles in Furcht:
Et me, quem dudum non ulla injecta mo-
uebant
Tela, neque aduerso glomerati ex agmine
Graii,
Nunc omnes terrent aurae; sonus excitat
omnis
Suspensum et pariter comitique onerique
timentem
*)
.
und Macbeth entsetzt sich, als er Dunkan ge-
mordet hat vor jedem Geräusch, auf welches er
sonst vielleicht kaum merkte.

Whence is that knocking?
How is't with me, when every noise ap-
pals me? --
Acht
*) Virg. Aen. 2. lib. 726-729.
Qq 4

Jſt man einmal in Furcht geſetzt, ſo kommt
einem alles fuͤrchterlich vor, das Herz uͤberwiſcht
alle Gegenſtaͤnde mit der Farbe, die derjenige
hat, der es gegenwaͤrtig fuͤllt. Weil uns aus
einem ein Uebel droht, ſo werden wir argwoͤhniſch
gegen alle, und glauben, daß der Eine die Uebri-
gen in die Verſchwoͤrung wider uns gezogen habe;
und weil wir einmal kleinmuͤthig ſind, ſo zeigt ſich
uns alles leicht von einer ſolchen Seite, daß wir dem-
ſelben nicht gewachſen zu ſeyn ſcheinen. Als Ae-
neas
ſeinen alten Vater Anchiſes auf den Schul-
tern, und ſeinen kleinen Julus an der Hand,
aus Troja flieht, ſetzt ihn nach ſeinem eignen Ge-
ſtaͤndniß alles in Furcht:
Et me, quem dudum non ulla injecta mo-
uebant
Tela, neque aduerſo glomerati ex agmine
Graii,
Nunc omnes terrent aurae; ſonus excitat
omnis
Suſpenſum et pariter comitique onerique
timentem
*)
.
und Macbeth entſetzt ſich, als er Dunkan ge-
mordet hat vor jedem Geraͤuſch, auf welches er
ſonſt vielleicht kaum merkte.

Whence is that knocking?
How is't with me, when every noiſe ap-
pals me? —
Acht
*) Virg. Aen. 2. lib. 726‒729.
Qq 4
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[615/0331] Jſt man einmal in Furcht geſetzt, ſo kommt einem alles fuͤrchterlich vor, das Herz uͤberwiſcht alle Gegenſtaͤnde mit der Farbe, die derjenige hat, der es gegenwaͤrtig fuͤllt. Weil uns aus einem ein Uebel droht, ſo werden wir argwoͤhniſch gegen alle, und glauben, daß der Eine die Uebri- gen in die Verſchwoͤrung wider uns gezogen habe; und weil wir einmal kleinmuͤthig ſind, ſo zeigt ſich uns alles leicht von einer ſolchen Seite, daß wir dem- ſelben nicht gewachſen zu ſeyn ſcheinen. Als Ae- neas ſeinen alten Vater Anchiſes auf den Schul- tern, und ſeinen kleinen Julus an der Hand, aus Troja flieht, ſetzt ihn nach ſeinem eignen Ge- ſtaͤndniß alles in Furcht: Et me, quem dudum non ulla injecta mo- uebant Tela, neque aduerſo glomerati ex agmine Graii, Nunc omnes terrent aurae; ſonus excitat omnis Suſpenſum et pariter comitique onerique timentem *). und Macbeth entſetzt ſich, als er Dunkan ge- mordet hat vor jedem Geraͤuſch, auf welches er ſonſt vielleicht kaum merkte. Whence is that knocking? How is't with me, when every noiſe ap- pals me? — Acht *) Virg. Aen. 2. lib. 726‒729. Qq 4

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/331>, abgerufen am 28.03.2024.