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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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vergiftet zu werden fürchtet, strengt die Organe
des Geruchs an, um sich von dem zu überzeugen,
was er so ungern als wahr zu befinden wünscht.

Nach der Beschaffenheit des Uebels richtet
sich auch die Art, wie man sich den schädlichen
Wirkungen desselben zu entziehen sucht. Hoft
man es noch zurückschrecken zu können, so schont
man, wie Macbeth*), keine Drohungen, kei-
ne Vorspiegelungen von Kühnheit und Muth.
Selbst der Feigste ist in diesem Fall aus Furcht
ein Held. Aber sobald keine Hofnung da ist, das
angehende Uebel durch gegenseitige Drohungen zu-
rückzuscheuchen, so sucht man nur vor demselben
zu fliehen und sich zu beschützen. Auch hier hängt
die Art der Flucht, und die Art der Beschützung
von der Natur des Uebels ab. "Wer eine zu
heftige Erschütterung der Sehnerven durch einen
Blitzstrahl, oder auch eckelhaften, schamwürdigen,
schrecklichen Anblick fürchtet, sagt Engel*), der
verschließt im Wegwenden die Augen, oder be-
deckt sie auch mit vorgeschlagener Hand: hingegen
wer den erschütternden Ton des Donners, oder
sonst einen widrigen Eindruck durchs Gehör, eine
schneidende Disharmonie, eine schändliche gottes-
lästerliche Rede fürchtet, der bedeckt sich im Weg-
wenden die Ohren; wer weder Blitz noch Donner

er-
*) 4ter Aufz. 2. Sc.
*) Mimik 1. Th. S. 172 f.
Qq 3

vergiftet zu werden fuͤrchtet, ſtrengt die Organe
des Geruchs an, um ſich von dem zu uͤberzeugen,
was er ſo ungern als wahr zu befinden wuͤnſcht.

Nach der Beſchaffenheit des Uebels richtet
ſich auch die Art, wie man ſich den ſchaͤdlichen
Wirkungen deſſelben zu entziehen ſucht. Hoft
man es noch zuruͤckſchrecken zu koͤnnen, ſo ſchont
man, wie Macbeth*), keine Drohungen, kei-
ne Vorſpiegelungen von Kuͤhnheit und Muth.
Selbſt der Feigſte iſt in dieſem Fall aus Furcht
ein Held. Aber ſobald keine Hofnung da iſt, das
angehende Uebel durch gegenſeitige Drohungen zu-
ruͤckzuſcheuchen, ſo ſucht man nur vor demſelben
zu fliehen und ſich zu beſchuͤtzen. Auch hier haͤngt
die Art der Flucht, und die Art der Beſchuͤtzung
von der Natur des Uebels ab. „Wer eine zu
heftige Erſchuͤtterung der Sehnerven durch einen
Blitzſtrahl, oder auch eckelhaften, ſchamwuͤrdigen,
ſchrecklichen Anblick fuͤrchtet, ſagt Engel*), der
verſchließt im Wegwenden die Augen, oder be-
deckt ſie auch mit vorgeſchlagener Hand: hingegen
wer den erſchuͤtternden Ton des Donners, oder
ſonſt einen widrigen Eindruck durchs Gehoͤr, eine
ſchneidende Disharmonie, eine ſchaͤndliche gottes-
laͤſterliche Rede fuͤrchtet, der bedeckt ſich im Weg-
wenden die Ohren; wer weder Blitz noch Donner

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*) 4ter Aufz. 2. Sc.
*) Mimik 1. Th. S. 172 f.
Qq 3
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[613/0329] vergiftet zu werden fuͤrchtet, ſtrengt die Organe des Geruchs an, um ſich von dem zu uͤberzeugen, was er ſo ungern als wahr zu befinden wuͤnſcht. Nach der Beſchaffenheit des Uebels richtet ſich auch die Art, wie man ſich den ſchaͤdlichen Wirkungen deſſelben zu entziehen ſucht. Hoft man es noch zuruͤckſchrecken zu koͤnnen, ſo ſchont man, wie Macbeth *), keine Drohungen, kei- ne Vorſpiegelungen von Kuͤhnheit und Muth. Selbſt der Feigſte iſt in dieſem Fall aus Furcht ein Held. Aber ſobald keine Hofnung da iſt, das angehende Uebel durch gegenſeitige Drohungen zu- ruͤckzuſcheuchen, ſo ſucht man nur vor demſelben zu fliehen und ſich zu beſchuͤtzen. Auch hier haͤngt die Art der Flucht, und die Art der Beſchuͤtzung von der Natur des Uebels ab. „Wer eine zu heftige Erſchuͤtterung der Sehnerven durch einen Blitzſtrahl, oder auch eckelhaften, ſchamwuͤrdigen, ſchrecklichen Anblick fuͤrchtet, ſagt Engel *), der verſchließt im Wegwenden die Augen, oder be- deckt ſie auch mit vorgeſchlagener Hand: hingegen wer den erſchuͤtternden Ton des Donners, oder ſonſt einen widrigen Eindruck durchs Gehoͤr, eine ſchneidende Disharmonie, eine ſchaͤndliche gottes- laͤſterliche Rede fuͤrchtet, der bedeckt ſich im Weg- wenden die Ohren; wer weder Blitz noch Donner er- *) 4ter Aufz. 2. Sc. *) Mimik 1. Th. S. 172 f. Qq 3

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/329>, abgerufen am 29.03.2024.