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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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überfließen, das Mitgefühl aufwallt, und uns
innig mit ihnen zum Mitgenuß ihrer Freuden und
Leiden verknüpfet.

Zart, sehr zart ist in der Rührung ersterer
Art das moralische Gefühl. Jnnige Liebe des
Guten und Edlen, wehmüthiger Schauder vor
dem Bösen und Niedrigen entsteht in dem Herzen.
Der so Gerührte vergiebt allen seinen Feinden,
schließt alle, wie Brüder, in seine Arme, genießt
himmlische Freuden in dem Gedanken an die Gott-
heit, die in diesem Augenblick gleichsam näher um
ihn zu schweben scheint. Fordert ihn auf zu wel-
chem Guten ihr wollt, willig und mit Freuden
folgt er der Aufforderung, und giebt in diesen Mo-
menten der Rührung alles dahin, was die Stim-
me der Tugend von ihm verlangt. Mit unein-
geschränkter Aufrichtigkeit öfnet er sein Herz, je-
dem der mit ihm gerührt scheint; gesteht seine
Unvollkommenheit, seine Schwäche, seine Fehler
mit edler Unbefangenheit: und bereitwillig jeden
zu entschuldigen, entschuldigt er nur sich nicht. --
Gering schätzt er die Freuden der Welt, den
Glanz der Ehre, den Schimmer des Goldes:
und wünscht keinen andern Genuß, als aus dem
Anschaun der Tugend oder der Herzensneigung
mit einem wie er selbst gerührten Freunde. Je-
der Halm, jede Blume, jeder Baum, jeder
Sonnenstrahl erfüllt sein Herz mit Gedanken an

die

uͤberfließen, das Mitgefuͤhl aufwallt, und uns
innig mit ihnen zum Mitgenuß ihrer Freuden und
Leiden verknuͤpfet.

Zart, ſehr zart iſt in der Ruͤhrung erſterer
Art das moraliſche Gefuͤhl. Jnnige Liebe des
Guten und Edlen, wehmuͤthiger Schauder vor
dem Boͤſen und Niedrigen entſteht in dem Herzen.
Der ſo Geruͤhrte vergiebt allen ſeinen Feinden,
ſchließt alle, wie Bruͤder, in ſeine Arme, genießt
himmliſche Freuden in dem Gedanken an die Gott-
heit, die in dieſem Augenblick gleichſam naͤher um
ihn zu ſchweben ſcheint. Fordert ihn auf zu wel-
chem Guten ihr wollt, willig und mit Freuden
folgt er der Aufforderung, und giebt in dieſen Mo-
menten der Ruͤhrung alles dahin, was die Stim-
me der Tugend von ihm verlangt. Mit unein-
geſchraͤnkter Aufrichtigkeit oͤfnet er ſein Herz, je-
dem der mit ihm geruͤhrt ſcheint; geſteht ſeine
Unvollkommenheit, ſeine Schwaͤche, ſeine Fehler
mit edler Unbefangenheit: und bereitwillig jeden
zu entſchuldigen, entſchuldigt er nur ſich nicht. —
Gering ſchaͤtzt er die Freuden der Welt, den
Glanz der Ehre, den Schimmer des Goldes:
und wuͤnſcht keinen andern Genuß, als aus dem
Anſchaun der Tugend oder der Herzensneigung
mit einem wie er ſelbſt geruͤhrten Freunde. Je-
der Halm, jede Blume, jeder Baum, jeder
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[586/0302] uͤberfließen, das Mitgefuͤhl aufwallt, und uns innig mit ihnen zum Mitgenuß ihrer Freuden und Leiden verknuͤpfet. Zart, ſehr zart iſt in der Ruͤhrung erſterer Art das moraliſche Gefuͤhl. Jnnige Liebe des Guten und Edlen, wehmuͤthiger Schauder vor dem Boͤſen und Niedrigen entſteht in dem Herzen. Der ſo Geruͤhrte vergiebt allen ſeinen Feinden, ſchließt alle, wie Bruͤder, in ſeine Arme, genießt himmliſche Freuden in dem Gedanken an die Gott- heit, die in dieſem Augenblick gleichſam naͤher um ihn zu ſchweben ſcheint. Fordert ihn auf zu wel- chem Guten ihr wollt, willig und mit Freuden folgt er der Aufforderung, und giebt in dieſen Mo- menten der Ruͤhrung alles dahin, was die Stim- me der Tugend von ihm verlangt. Mit unein- geſchraͤnkter Aufrichtigkeit oͤfnet er ſein Herz, je- dem der mit ihm geruͤhrt ſcheint; geſteht ſeine Unvollkommenheit, ſeine Schwaͤche, ſeine Fehler mit edler Unbefangenheit: und bereitwillig jeden zu entſchuldigen, entſchuldigt er nur ſich nicht. — Gering ſchaͤtzt er die Freuden der Welt, den Glanz der Ehre, den Schimmer des Goldes: und wuͤnſcht keinen andern Genuß, als aus dem Anſchaun der Tugend oder der Herzensneigung mit einem wie er ſelbſt geruͤhrten Freunde. Je- der Halm, jede Blume, jeder Baum, jeder Sonnenſtrahl erfuͤllt ſein Herz mit Gedanken an die

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/302>, abgerufen am 19.04.2024.