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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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gewährt, wessen Denkungsart nicht mit der des
Andern übereinstimmt, ohne diesem deswegen ver-
abscheuungswürdig zu seyn, wessen Manier etwas
nicht Gefallendes hat; nach dessen Freundschaft
verlangt der Andere nicht, und empfindet in Rück-
sicht auf ihn, einen Mangel der Zuneigung.
Man verlangt nicht nach der Gesellschaft eines
solchen; läßt seine Aufmerksamkeit über ihn weg
streifen; nimmt wenig Theil an seinen Schicksa-
len; leistet übrigens die ihm schuldigen Pflichten,
aber blos aus Pflicht, das Herz treibt nicht da-
zu an. Man kann daher, wenn man einmal
die Stimme der Vernunft überhört, auch wohl
sich gegen ihn vergessen, oder Andre sich vergessen
sehen, ohne es sehr zu Herzen zu nehmen. Man
hat eigentlich keinen Widerwillen gegen ihn, kann
ihm im Gegentheil, wenn nicht etwas Wichtigers
und Jnteressanteres damit collidirt, Beweise von
Wohlwollen geben; aber man hat auch keine ei-
gentliche Zuneigung zu ihm: er liegt ganz außer-
halb der Sphäre unsers Herzens.

Wenn die Disharmonie nicht blos negativ
ist, (zwar keine sehr fühlbare Unannehmlichkeit,
aber auch gar keine Annehmlichkeiten für den An-
dern hat,) sondern schon positiven, unangeneh-
men Einfluß zeigt; wenn man dadurch an seiner
Eigenliebe gekränkt, in seinem Vergnügen gestört,
in seinem Jnteresse geschadet wird; wenn man sieht,

daß

gewaͤhrt, weſſen Denkungsart nicht mit der des
Andern uͤbereinſtimmt, ohne dieſem deswegen ver-
abſcheuungswuͤrdig zu ſeyn, weſſen Manier etwas
nicht Gefallendes hat; nach deſſen Freundſchaft
verlangt der Andere nicht, und empfindet in Ruͤck-
ſicht auf ihn, einen Mangel der Zuneigung.
Man verlangt nicht nach der Geſellſchaft eines
ſolchen; laͤßt ſeine Aufmerkſamkeit uͤber ihn weg
ſtreifen; nimmt wenig Theil an ſeinen Schickſa-
len; leiſtet uͤbrigens die ihm ſchuldigen Pflichten,
aber blos aus Pflicht, das Herz treibt nicht da-
zu an. Man kann daher, wenn man einmal
die Stimme der Vernunft uͤberhoͤrt, auch wohl
ſich gegen ihn vergeſſen, oder Andre ſich vergeſſen
ſehen, ohne es ſehr zu Herzen zu nehmen. Man
hat eigentlich keinen Widerwillen gegen ihn, kann
ihm im Gegentheil, wenn nicht etwas Wichtigers
und Jntereſſanteres damit collidirt, Beweiſe von
Wohlwollen geben; aber man hat auch keine ei-
gentliche Zuneigung zu ihm: er liegt ganz außer-
halb der Sphaͤre unſers Herzens.

Wenn die Disharmonie nicht blos negativ
iſt, (zwar keine ſehr fuͤhlbare Unannehmlichkeit,
aber auch gar keine Annehmlichkeiten fuͤr den An-
dern hat,) ſondern ſchon poſitiven, unangeneh-
men Einfluß zeigt; wenn man dadurch an ſeiner
Eigenliebe gekraͤnkt, in ſeinem Vergnuͤgen geſtoͤrt,
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[568/0284] gewaͤhrt, weſſen Denkungsart nicht mit der des Andern uͤbereinſtimmt, ohne dieſem deswegen ver- abſcheuungswuͤrdig zu ſeyn, weſſen Manier etwas nicht Gefallendes hat; nach deſſen Freundſchaft verlangt der Andere nicht, und empfindet in Ruͤck- ſicht auf ihn, einen Mangel der Zuneigung. Man verlangt nicht nach der Geſellſchaft eines ſolchen; laͤßt ſeine Aufmerkſamkeit uͤber ihn weg ſtreifen; nimmt wenig Theil an ſeinen Schickſa- len; leiſtet uͤbrigens die ihm ſchuldigen Pflichten, aber blos aus Pflicht, das Herz treibt nicht da- zu an. Man kann daher, wenn man einmal die Stimme der Vernunft uͤberhoͤrt, auch wohl ſich gegen ihn vergeſſen, oder Andre ſich vergeſſen ſehen, ohne es ſehr zu Herzen zu nehmen. Man hat eigentlich keinen Widerwillen gegen ihn, kann ihm im Gegentheil, wenn nicht etwas Wichtigers und Jntereſſanteres damit collidirt, Beweiſe von Wohlwollen geben; aber man hat auch keine ei- gentliche Zuneigung zu ihm: er liegt ganz außer- halb der Sphaͤre unſers Herzens. Wenn die Disharmonie nicht blos negativ iſt, (zwar keine ſehr fuͤhlbare Unannehmlichkeit, aber auch gar keine Annehmlichkeiten fuͤr den An- dern hat,) ſondern ſchon poſitiven, unangeneh- men Einfluß zeigt; wenn man dadurch an ſeiner Eigenliebe gekraͤnkt, in ſeinem Vergnuͤgen geſtoͤrt, in ſeinem Jntereſſe geſchadet wird; wenn man ſieht, daß

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/284>, abgerufen am 29.03.2024.