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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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bindung zwischen Eltern und Kindern diese ohne
Liebe gegen jene seyn lassen? Wie könnten die un-
zählbaren Wohlthaten, die unnennbaren Be-
schwerden der Eltern ohne Wirkung auf das Herz
des Kindes bleiben? Wem könnte endlich das
Kind mehr vertrauen, als denen, deren Theil
es ist, die es nährten und schützten, ehe es sie
verstehen konnte, und deren Glückseligkeit fest
mit der seinigen verwebt ist? --

Es zeichnet sich die Liebe der Kinder zu ihren
Eltern vor allen andern Arten der Liebe durch ein
heiliges und ehrfurchtvolles Gefühl, welches ihr
zur Grundlage dient, aus. Denn von dem er-
sten Augenblick, wo die Wahrnehmungsfähigkeit
des Kindes zu wirken anfängt, an, sieht dieses
die große Erhabenheit der Eltern über sich. Je
weiter es sich ausbildet, destomehr sieht es die
Wichtigkeit ihres Einflusses auf sein Herz, seinen
Geist, seine ganze Menschheit, ein, und desto
deutlicher erkennt es das, was die Elternliebe
für ihn that. Und wenn auch der Sohn und die
Tochter selbst schon Vater oder Mutter geworden
sind, die Stimme der Natur und Pflicht hat die
Ehrfurcht gegen die Eltern zu tief in das Herz ge-
prägt, als daß Jahre sie auslöschen könnten; auch
das Andenken an den verstorbenen Vater und die
verblichene Mutter ist ihrem Herzen noch heilig.



Ge-

bindung zwiſchen Eltern und Kindern dieſe ohne
Liebe gegen jene ſeyn laſſen? Wie koͤnnten die un-
zaͤhlbaren Wohlthaten, die unnennbaren Be-
ſchwerden der Eltern ohne Wirkung auf das Herz
des Kindes bleiben? Wem koͤnnte endlich das
Kind mehr vertrauen, als denen, deren Theil
es iſt, die es naͤhrten und ſchuͤtzten, ehe es ſie
verſtehen konnte, und deren Gluͤckſeligkeit feſt
mit der ſeinigen verwebt iſt? —

Es zeichnet ſich die Liebe der Kinder zu ihren
Eltern vor allen andern Arten der Liebe durch ein
heiliges und ehrfurchtvolles Gefuͤhl, welches ihr
zur Grundlage dient, aus. Denn von dem er-
ſten Augenblick, wo die Wahrnehmungsfaͤhigkeit
des Kindes zu wirken anfaͤngt, an, ſieht dieſes
die große Erhabenheit der Eltern uͤber ſich. Je
weiter es ſich ausbildet, deſtomehr ſieht es die
Wichtigkeit ihres Einfluſſes auf ſein Herz, ſeinen
Geiſt, ſeine ganze Menſchheit, ein, und deſto
deutlicher erkennt es das, was die Elternliebe
fuͤr ihn that. Und wenn auch der Sohn und die
Tochter ſelbſt ſchon Vater oder Mutter geworden
ſind, die Stimme der Natur und Pflicht hat die
Ehrfurcht gegen die Eltern zu tief in das Herz ge-
praͤgt, als daß Jahre ſie ausloͤſchen koͤnnten; auch
das Andenken an den verſtorbenen Vater und die
verblichene Mutter iſt ihrem Herzen noch heilig.



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[564/0280] bindung zwiſchen Eltern und Kindern dieſe ohne Liebe gegen jene ſeyn laſſen? Wie koͤnnten die un- zaͤhlbaren Wohlthaten, die unnennbaren Be- ſchwerden der Eltern ohne Wirkung auf das Herz des Kindes bleiben? Wem koͤnnte endlich das Kind mehr vertrauen, als denen, deren Theil es iſt, die es naͤhrten und ſchuͤtzten, ehe es ſie verſtehen konnte, und deren Gluͤckſeligkeit feſt mit der ſeinigen verwebt iſt? — Es zeichnet ſich die Liebe der Kinder zu ihren Eltern vor allen andern Arten der Liebe durch ein heiliges und ehrfurchtvolles Gefuͤhl, welches ihr zur Grundlage dient, aus. Denn von dem er- ſten Augenblick, wo die Wahrnehmungsfaͤhigkeit des Kindes zu wirken anfaͤngt, an, ſieht dieſes die große Erhabenheit der Eltern uͤber ſich. Je weiter es ſich ausbildet, deſtomehr ſieht es die Wichtigkeit ihres Einfluſſes auf ſein Herz, ſeinen Geiſt, ſeine ganze Menſchheit, ein, und deſto deutlicher erkennt es das, was die Elternliebe fuͤr ihn that. Und wenn auch der Sohn und die Tochter ſelbſt ſchon Vater oder Mutter geworden ſind, die Stimme der Natur und Pflicht hat die Ehrfurcht gegen die Eltern zu tief in das Herz ge- praͤgt, als daß Jahre ſie ausloͤſchen koͤnnten; auch das Andenken an den verſtorbenen Vater und die verblichene Mutter iſt ihrem Herzen noch heilig. Ge-

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/280>, abgerufen am 24.04.2024.