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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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Gehe hin, Unglücklicher, der du wie Rous-
seau
glaubst, du könnest unter deinen Brüdern
keinen finden, der sein Herz mit dir theile, gehe
hin und suche nur, und du wirst doch endlich fin-
den. Das empfindende Thier und die von deiner
Phantasie belebte Natur füllen doch die Leerheit
deines Herzens nicht aus. Das Kind liebt sein
Hündlein, wie seinen Gespielen, aber der Mann
will verstanden seyn.

Wie grausam ist oft der Mensch gegen sich
selbst! Er stößt durch Stolz, Herrschsucht und
Geiz seine Brüder von seinem Herzen zurück, und
sucht ihre Entfernung aus der niedrigern Schö-
pfung zu ersetzen!

O Thor, der du dieser Grausamkeit gegen
dich selbst schuldig bist, frage doch dein Herz, ob
die Liebkosungen deiner vernunftlosen Gesellschaf-
ter die Liebe deiner vernünftigen Brüder ersetzen!
Willst du herrschen, so bekehre dich: Herrsche
über die Thiere, und liebe deine Brüder!



Zwan-

Gehe hin, Ungluͤcklicher, der du wie Rouſ-
ſeau
glaubſt, du koͤnneſt unter deinen Bruͤdern
keinen finden, der ſein Herz mit dir theile, gehe
hin und ſuche nur, und du wirſt doch endlich fin-
den. Das empfindende Thier und die von deiner
Phantaſie belebte Natur fuͤllen doch die Leerheit
deines Herzens nicht aus. Das Kind liebt ſein
Huͤndlein, wie ſeinen Geſpielen, aber der Mann
will verſtanden ſeyn.

Wie grauſam iſt oft der Menſch gegen ſich
ſelbſt! Er ſtoͤßt durch Stolz, Herrſchſucht und
Geiz ſeine Bruͤder von ſeinem Herzen zuruͤck, und
ſucht ihre Entfernung aus der niedrigern Schoͤ-
pfung zu erſetzen!

O Thor, der du dieſer Grauſamkeit gegen
dich ſelbſt ſchuldig biſt, frage doch dein Herz, ob
die Liebkoſungen deiner vernunftloſen Geſellſchaf-
ter die Liebe deiner vernuͤnftigen Bruͤder erſetzen!
Willſt du herrſchen, ſo bekehre dich: Herrſche
uͤber die Thiere, und liebe deine Bruͤder!



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[556/0272] Gehe hin, Ungluͤcklicher, der du wie Rouſ- ſeau glaubſt, du koͤnneſt unter deinen Bruͤdern keinen finden, der ſein Herz mit dir theile, gehe hin und ſuche nur, und du wirſt doch endlich fin- den. Das empfindende Thier und die von deiner Phantaſie belebte Natur fuͤllen doch die Leerheit deines Herzens nicht aus. Das Kind liebt ſein Huͤndlein, wie ſeinen Geſpielen, aber der Mann will verſtanden ſeyn. Wie grauſam iſt oft der Menſch gegen ſich ſelbſt! Er ſtoͤßt durch Stolz, Herrſchſucht und Geiz ſeine Bruͤder von ſeinem Herzen zuruͤck, und ſucht ihre Entfernung aus der niedrigern Schoͤ- pfung zu erſetzen! O Thor, der du dieſer Grauſamkeit gegen dich ſelbſt ſchuldig biſt, frage doch dein Herz, ob die Liebkoſungen deiner vernunftloſen Geſellſchaf- ter die Liebe deiner vernuͤnftigen Bruͤder erſetzen! Willſt du herrſchen, ſo bekehre dich: Herrſche uͤber die Thiere, und liebe deine Bruͤder! Zwan-

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/272>, abgerufen am 28.03.2024.