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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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flusses auf das Herz des Geliebten beraubt. Die
in ihrer Reinheit so großmüthige Liebe wird von
der Eyfersucht in den gierigsten Eigennutz verkehrt.
Jeder Blick, jedes Wort, jeder Pulsschlag soll
dem Eyfersüchtigen geweiht seyn: keine Freude
ohne ihn genossen werden. Welch eine niedrige
Seele! die einen Gegenstand liebt, dem sie nach
allem, was sie denkt und äußert, Falschheit, Hin-
terlist, Betrügerey, Bosheit und noch viel an-
dere Laster beylegt. Welch ein kleines, eigensin-
niges Herz! das im lebhaftesten Gefühl seines
Unwerths, doch über alles, und einzig werthge-
schätzt seyn will!

Die Rosenkette, an welcher wahre, reine
Liebe den Geliebten führt, verwandelt die Eyfer-
sucht in eine eiserne, die Hand, welche sie ein-
schließt, zerreißende Fessel. Die Liebe, die kein
anderes Mittel und keinen andern Zweck, als
Liebe kennt, wird in dem Eyfersüchtigen die schreck-
lichste Tyrannin. Wie diese, sucht er nicht durch
Güte das Herz zu gewinnen -- sondern durch
das Donnern der Hitze, den Blitz des Zorns und
das höllische Feuer des Neides zu schrecken*).

Er
*) Und das mit wenigerm Recht, als der Stier, des-
sen eyfersüchtiges Toben, Jtaliens Homer, der edle
Tasso in folgenden Versen schildert:
Non

fluſſes auf das Herz des Geliebten beraubt. Die
in ihrer Reinheit ſo großmuͤthige Liebe wird von
der Eyferſucht in den gierigſten Eigennutz verkehrt.
Jeder Blick, jedes Wort, jeder Pulsſchlag ſoll
dem Eyferſuͤchtigen geweiht ſeyn: keine Freude
ohne ihn genoſſen werden. Welch eine niedrige
Seele! die einen Gegenſtand liebt, dem ſie nach
allem, was ſie denkt und aͤußert, Falſchheit, Hin-
terliſt, Betruͤgerey, Bosheit und noch viel an-
dere Laſter beylegt. Welch ein kleines, eigenſin-
niges Herz! das im lebhafteſten Gefuͤhl ſeines
Unwerths, doch uͤber alles, und einzig werthge-
ſchaͤtzt ſeyn will!

Die Roſenkette, an welcher wahre, reine
Liebe den Geliebten fuͤhrt, verwandelt die Eyfer-
ſucht in eine eiſerne, die Hand, welche ſie ein-
ſchließt, zerreißende Feſſel. Die Liebe, die kein
anderes Mittel und keinen andern Zweck, als
Liebe kennt, wird in dem Eyferſuͤchtigen die ſchreck-
lichſte Tyrannin. Wie dieſe, ſucht er nicht durch
Guͤte das Herz zu gewinnen — ſondern durch
das Donnern der Hitze, den Blitz des Zorns und
das hoͤlliſche Feuer des Neides zu ſchrecken*).

Er
*) Und das mit wenigerm Recht, als der Stier, deſ-
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[554/0270] fluſſes auf das Herz des Geliebten beraubt. Die in ihrer Reinheit ſo großmuͤthige Liebe wird von der Eyferſucht in den gierigſten Eigennutz verkehrt. Jeder Blick, jedes Wort, jeder Pulsſchlag ſoll dem Eyferſuͤchtigen geweiht ſeyn: keine Freude ohne ihn genoſſen werden. Welch eine niedrige Seele! die einen Gegenſtand liebt, dem ſie nach allem, was ſie denkt und aͤußert, Falſchheit, Hin- terliſt, Betruͤgerey, Bosheit und noch viel an- dere Laſter beylegt. Welch ein kleines, eigenſin- niges Herz! das im lebhafteſten Gefuͤhl ſeines Unwerths, doch uͤber alles, und einzig werthge- ſchaͤtzt ſeyn will! Die Roſenkette, an welcher wahre, reine Liebe den Geliebten fuͤhrt, verwandelt die Eyfer- ſucht in eine eiſerne, die Hand, welche ſie ein- ſchließt, zerreißende Feſſel. Die Liebe, die kein anderes Mittel und keinen andern Zweck, als Liebe kennt, wird in dem Eyferſuͤchtigen die ſchreck- lichſte Tyrannin. Wie dieſe, ſucht er nicht durch Guͤte das Herz zu gewinnen — ſondern durch das Donnern der Hitze, den Blitz des Zorns und das hoͤlliſche Feuer des Neides zu ſchrecken *). Er *) Und das mit wenigerm Recht, als der Stier, deſ- ſen eyferſuͤchtiges Toben, Jtaliens Homer, der edle Taſſo in folgenden Verſen ſchildert: Non

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/270>, abgerufen am 24.04.2024.