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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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der, der das Herz nicht kennt. Was für den
ruhigen Zuschauer redender Beweis ist, ist es
nicht für das von der Liebe bewegte Herz. Der
Gedanke, einen Gegenstand getroffen zu haben,
der unsrer Liebe den seligsten Genuß gewähren kön-
ne, ist zu süß, als daß man sich so bald und
ohne tiefen Schmerz von demselben trennen könn-
te. Man legt die Ursachen des noch nicht erfüll-
ten Verlangens der Liebe, nicht in den geliebten
Gegenstand, sondern in sich selbst. Man glaubt
für ihn noch lange nicht genug gethan und aufge-
opfert zu haben, um itzt schon auf den Lohn der
Liebe hoffen zu dürfen, und kann sich das, was
man schon gethan und aufgeopfert hat, nicht ge-
ringe genug vorstellen. Darum hoft man, durch
immer fortwährenden Eyfer und immer reger wer-
dende Bemühungen, endlich doch zum Ziel seiner
Wünsche zu gelangen, und diese Hofnung ist un-
endlich, wie die Liebe selbst.

Wo jemand am meisten Aehnlichkeit mit sich
entdeckt, dahin neigt sich seine Liebe am leichtesten:
denn da darf sie hoffen, Eingang zu erhalten.
Selbst die äußern Unterschiede dürfen nicht zu
auffallend seyn. Könige können sich selten der
herzlichen Liebe Anderer freuen; sie stehen zu hoch,
und haben ein so ganz eignes Jnteresse, als daß
Andere auf ein völliges Einswerden mit ihnen
rechnen könnten. Vorzüglich aber laden Aehn-

lich-

der, der das Herz nicht kennt. Was fuͤr den
ruhigen Zuſchauer redender Beweis iſt, iſt es
nicht fuͤr das von der Liebe bewegte Herz. Der
Gedanke, einen Gegenſtand getroffen zu haben,
der unſrer Liebe den ſeligſten Genuß gewaͤhren koͤn-
ne, iſt zu ſuͤß, als daß man ſich ſo bald und
ohne tiefen Schmerz von demſelben trennen koͤnn-
te. Man legt die Urſachen des noch nicht erfuͤll-
ten Verlangens der Liebe, nicht in den geliebten
Gegenſtand, ſondern in ſich ſelbſt. Man glaubt
fuͤr ihn noch lange nicht genug gethan und aufge-
opfert zu haben, um itzt ſchon auf den Lohn der
Liebe hoffen zu duͤrfen, und kann ſich das, was
man ſchon gethan und aufgeopfert hat, nicht ge-
ringe genug vorſtellen. Darum hoft man, durch
immer fortwaͤhrenden Eyfer und immer reger wer-
dende Bemuͤhungen, endlich doch zum Ziel ſeiner
Wuͤnſche zu gelangen, und dieſe Hofnung iſt un-
endlich, wie die Liebe ſelbſt.

Wo jemand am meiſten Aehnlichkeit mit ſich
entdeckt, dahin neigt ſich ſeine Liebe am leichteſten:
denn da darf ſie hoffen, Eingang zu erhalten.
Selbſt die aͤußern Unterſchiede duͤrfen nicht zu
auffallend ſeyn. Koͤnige koͤnnen ſich ſelten der
herzlichen Liebe Anderer freuen; ſie ſtehen zu hoch,
und haben ein ſo ganz eignes Jntereſſe, als daß
Andere auf ein voͤlliges Einswerden mit ihnen
rechnen koͤnnten. Vorzuͤglich aber laden Aehn-

lich-
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[546/0262] der, der das Herz nicht kennt. Was fuͤr den ruhigen Zuſchauer redender Beweis iſt, iſt es nicht fuͤr das von der Liebe bewegte Herz. Der Gedanke, einen Gegenſtand getroffen zu haben, der unſrer Liebe den ſeligſten Genuß gewaͤhren koͤn- ne, iſt zu ſuͤß, als daß man ſich ſo bald und ohne tiefen Schmerz von demſelben trennen koͤnn- te. Man legt die Urſachen des noch nicht erfuͤll- ten Verlangens der Liebe, nicht in den geliebten Gegenſtand, ſondern in ſich ſelbſt. Man glaubt fuͤr ihn noch lange nicht genug gethan und aufge- opfert zu haben, um itzt ſchon auf den Lohn der Liebe hoffen zu duͤrfen, und kann ſich das, was man ſchon gethan und aufgeopfert hat, nicht ge- ringe genug vorſtellen. Darum hoft man, durch immer fortwaͤhrenden Eyfer und immer reger wer- dende Bemuͤhungen, endlich doch zum Ziel ſeiner Wuͤnſche zu gelangen, und dieſe Hofnung iſt un- endlich, wie die Liebe ſelbſt. Wo jemand am meiſten Aehnlichkeit mit ſich entdeckt, dahin neigt ſich ſeine Liebe am leichteſten: denn da darf ſie hoffen, Eingang zu erhalten. Selbſt die aͤußern Unterſchiede duͤrfen nicht zu auffallend ſeyn. Koͤnige koͤnnen ſich ſelten der herzlichen Liebe Anderer freuen; ſie ſtehen zu hoch, und haben ein ſo ganz eignes Jntereſſe, als daß Andere auf ein voͤlliges Einswerden mit ihnen rechnen koͤnnten. Vorzuͤglich aber laden Aehn- lich-

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/262>, abgerufen am 24.04.2024.