Schöpfung blicken zu können -- die höchste Glück- seligkeit.
Die Liebe sucht diese Erweiterung in der Ei- nigung mit Andern; ist sehnliches Verlangen, sein Jch zu spiegeln, in der materiellen Welt, im empfindenden Geschöpfe, im Manne, im Wei- be, in der Gottheit.
Das Thier, das Kind und der sinnliche Mensch suchen für den Trieb der Erweiterung ih- res Selbsts Befriedigung auf sinnlichen Wegen. Das Kind führt alles, was ihm gefällt, dem Munde zu: das Thier und der sinnliche Mensch begehren Körpervereinigung.
Der geistige, veredelte Mensch sucht Verei- nigung im Geist und in der Wahrheit. Das Ziel seiner Bestrebungen ist nicht äußere Verschlin- gung der Körper in einander; er will in dem Herzen des Geliebten leben und weben. Das Herz des Jünglings schlägt für seine Geliebte, da- mit ihr Herz für das seinige schlage: das Auge des Andächtigen schmachtet, und seine Hände ringen nach der Ueberzeugung, daß Gott in ihm und er in Gott sey: ein Geist lebt in Johannes und Jesus; ich, sagte der göttliche Gesandte, und der Vater sind Eins.
Nur der, dessen Liebe nach einer Vermählung der Herzen und Geister sich sehnt, findet Genuß; denn nur Geister und Herzen lassen sich innig mit
ein-
Schoͤpfung blicken zu koͤnnen — die hoͤchſte Gluͤck- ſeligkeit.
Die Liebe ſucht dieſe Erweiterung in der Ei- nigung mit Andern; iſt ſehnliches Verlangen, ſein Jch zu ſpiegeln, in der materiellen Welt, im empfindenden Geſchoͤpfe, im Manne, im Wei- be, in der Gottheit.
Das Thier, das Kind und der ſinnliche Menſch ſuchen fuͤr den Trieb der Erweiterung ih- res Selbſts Befriedigung auf ſinnlichen Wegen. Das Kind fuͤhrt alles, was ihm gefaͤllt, dem Munde zu: das Thier und der ſinnliche Menſch begehren Koͤrpervereinigung.
Der geiſtige, veredelte Menſch ſucht Verei- nigung im Geiſt und in der Wahrheit. Das Ziel ſeiner Beſtrebungen iſt nicht aͤußere Verſchlin- gung der Koͤrper in einander; er will in dem Herzen des Geliebten leben und weben. Das Herz des Juͤnglings ſchlaͤgt fuͤr ſeine Geliebte, da- mit ihr Herz fuͤr das ſeinige ſchlage: das Auge des Andaͤchtigen ſchmachtet, und ſeine Haͤnde ringen nach der Ueberzeugung, daß Gott in ihm und er in Gott ſey: ein Geiſt lebt in Johannes und Jeſus; ich, ſagte der goͤttliche Geſandte, und der Vater ſind Eins.
Nur der, deſſen Liebe nach einer Vermaͤhlung der Herzen und Geiſter ſich ſehnt, findet Genuß; denn nur Geiſter und Herzen laſſen ſich innig mit
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Schoͤpfung blicken zu koͤnnen — die hoͤchſte Gluͤck-
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Die Liebe ſucht dieſe Erweiterung in der Ei-
nigung mit Andern; iſt ſehnliches Verlangen, ſein
Jch zu ſpiegeln, in der materiellen Welt, im
empfindenden Geſchoͤpfe, im Manne, im Wei-
be, in der Gottheit.
Das Thier, das Kind und der ſinnliche
Menſch ſuchen fuͤr den Trieb der Erweiterung ih-
res Selbſts Befriedigung auf ſinnlichen Wegen.
Das Kind fuͤhrt alles, was ihm gefaͤllt, dem
Munde zu: das Thier und der ſinnliche Menſch
begehren Koͤrpervereinigung.
Der geiſtige, veredelte Menſch ſucht Verei-
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Ziel ſeiner Beſtrebungen iſt nicht aͤußere Verſchlin-
gung der Koͤrper in einander; er will in dem
Herzen des Geliebten leben und weben. Das
Herz des Juͤnglings ſchlaͤgt fuͤr ſeine Geliebte, da-
mit ihr Herz fuͤr das ſeinige ſchlage: das Auge
des Andaͤchtigen ſchmachtet, und ſeine Haͤnde
ringen nach der Ueberzeugung, daß Gott in ihm
und er in Gott ſey: ein Geiſt lebt in Johannes
und Jeſus; ich, ſagte der goͤttliche Geſandte,
und der Vater ſind Eins.
Nur der, deſſen Liebe nach einer Vermaͤhlung
der Herzen und Geiſter ſich ſehnt, findet Genuß;
denn nur Geiſter und Herzen laſſen ſich innig mit
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/250>, abgerufen am 19.04.2024.
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