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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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wagen, die von der geheimsten Tiefe des Herzens
ausgehen muß, und die schönste Darstellung
fodert.

Wenn ich nun aber gleich nicht im Stande
bin, das zarte Gewebe dieser Neigung des mensch-
lichen Herzens mit der Hand eines Künstlers aus-
einander zu legen; so gelingt's mir doch vielleicht,
einen oder den andern Faden desselben bey seinem
Anfange zu fassen, und bis an sein Ende zu ver-
folgen, oder, wenn dies noch zu viel gehoft ist,
so gebe ich doch vielleicht einem geschicktern Künst-
ler oder einer geübteren Künstlerin Gelegenheit,
das, was ich nicht recht machte, zu verbessern,
und da, wo ich fehlte, mich zu tadeln. --



Liebe ist Verlangen der Seele, ihre Har-
monie
mit einem Gegenstande in Einheit mit
demselben zu verwandeln. Jene (die Harmonie)
weckt den in jedem Herzen liegenden Saamen der
Liebe zum lebendigen Keim, und diese (die Ein-
heit) ist die Frucht, welche man aus dem Keime
zu erziehen strebt.

Erweiterung seines Selbsts ist Haupttrieb
des menschlichen Herzens, fein und innig mit al-
len Trieben verschlungen; Zufriedenheit, oder das
Bewußtseyn, durch nichts sich diese Erweiterung
verhalten zu haben, frey durch und auf die ganze

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wagen, die von der geheimſten Tiefe des Herzens
ausgehen muß, und die ſchoͤnſte Darſtellung
fodert.

Wenn ich nun aber gleich nicht im Stande
bin, das zarte Gewebe dieſer Neigung des menſch-
lichen Herzens mit der Hand eines Kuͤnſtlers aus-
einander zu legen; ſo gelingt's mir doch vielleicht,
einen oder den andern Faden deſſelben bey ſeinem
Anfange zu faſſen, und bis an ſein Ende zu ver-
folgen, oder, wenn dies noch zu viel gehoft iſt,
ſo gebe ich doch vielleicht einem geſchicktern Kuͤnſt-
ler oder einer geuͤbteren Kuͤnſtlerin Gelegenheit,
das, was ich nicht recht machte, zu verbeſſern,
und da, wo ich fehlte, mich zu tadeln. —



Liebe iſt Verlangen der Seele, ihre Har-
monie
mit einem Gegenſtande in Einheit mit
demſelben zu verwandeln. Jene (die Harmonie)
weckt den in jedem Herzen liegenden Saamen der
Liebe zum lebendigen Keim, und dieſe (die Ein-
heit) iſt die Frucht, welche man aus dem Keime
zu erziehen ſtrebt.

Erweiterung ſeines Selbſts iſt Haupttrieb
des menſchlichen Herzens, fein und innig mit al-
len Trieben verſchlungen; Zufriedenheit, oder das
Bewußtſeyn, durch nichts ſich dieſe Erweiterung
verhalten zu haben, frey durch und auf die ganze

Schoͤ-
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[533/0249] wagen, die von der geheimſten Tiefe des Herzens ausgehen muß, und die ſchoͤnſte Darſtellung fodert. Wenn ich nun aber gleich nicht im Stande bin, das zarte Gewebe dieſer Neigung des menſch- lichen Herzens mit der Hand eines Kuͤnſtlers aus- einander zu legen; ſo gelingt's mir doch vielleicht, einen oder den andern Faden deſſelben bey ſeinem Anfange zu faſſen, und bis an ſein Ende zu ver- folgen, oder, wenn dies noch zu viel gehoft iſt, ſo gebe ich doch vielleicht einem geſchicktern Kuͤnſt- ler oder einer geuͤbteren Kuͤnſtlerin Gelegenheit, das, was ich nicht recht machte, zu verbeſſern, und da, wo ich fehlte, mich zu tadeln. — Liebe iſt Verlangen der Seele, ihre Har- monie mit einem Gegenſtande in Einheit mit demſelben zu verwandeln. Jene (die Harmonie) weckt den in jedem Herzen liegenden Saamen der Liebe zum lebendigen Keim, und dieſe (die Ein- heit) iſt die Frucht, welche man aus dem Keime zu erziehen ſtrebt. Erweiterung ſeines Selbſts iſt Haupttrieb des menſchlichen Herzens, fein und innig mit al- len Trieben verſchlungen; Zufriedenheit, oder das Bewußtſeyn, durch nichts ſich dieſe Erweiterung verhalten zu haben, frey durch und auf die ganze Schoͤ- Ll 3

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/249>, abgerufen am 19.04.2024.