Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

seyn kann, erschrickt er vor jeder Aeußerung, die
von Kraft zeugt, und sucht sie zu unterdrücken,
damit sein schwaches Gebäude nicht dadurch er-
schüttert werde. Er verlangt von seinen Unter-
gebnen selbst das Unmögliche. Sie sollen jeden
seiner unordentlichen Wünsche, jede seiner un-
regelmäßigen Neigungen, jede seiner eigensinni-
gen Launen errathen und befriedigen. Und wehe
ihnen, wenn sie die Foderungen seines Wahn-
sinns nicht erfüllen können oder wollen!

Wenn nicht ein gutes Herz und menschen-
freundliche und billige Grundsätze den Trieb zum
Herrschen leiten, so artet er in despotischen Sinn
aus, und hat die traurigsten Folgen für den
Herrschsüchtigen selbst, und für die, welche ihr
Verhältniß an ihn schließt.

Jener wird von einem beständigen Argwohn
und Mißtrauen gequält, weil er wohl weiß, daß
er Andern eine Last ist, und jeder von Herzen
wünschte, sich seiner zu entledigen. Vertrauen
und Freundschaft sind ihm daher unbekannte Ge-
fühle; die Menschlichkeit verläßt ihn, weil er
die Menschheit nicht achtet. Er verschließt sich,
wie Dionys, in einen ewigen Kerker, und lebt
seine Tage freudenleer, von den größten Foltern
des Herzens, Neid, Mißgunst, Furcht und
Schrecken gequält.

Welch

ſeyn kann, erſchrickt er vor jeder Aeußerung, die
von Kraft zeugt, und ſucht ſie zu unterdruͤcken,
damit ſein ſchwaches Gebaͤude nicht dadurch er-
ſchuͤttert werde. Er verlangt von ſeinen Unter-
gebnen ſelbſt das Unmoͤgliche. Sie ſollen jeden
ſeiner unordentlichen Wuͤnſche, jede ſeiner un-
regelmaͤßigen Neigungen, jede ſeiner eigenſinni-
gen Launen errathen und befriedigen. Und wehe
ihnen, wenn ſie die Foderungen ſeines Wahn-
ſinns nicht erfuͤllen koͤnnen oder wollen!

Wenn nicht ein gutes Herz und menſchen-
freundliche und billige Grundſaͤtze den Trieb zum
Herrſchen leiten, ſo artet er in deſpotiſchen Sinn
aus, und hat die traurigſten Folgen fuͤr den
Herrſchſuͤchtigen ſelbſt, und fuͤr die, welche ihr
Verhaͤltniß an ihn ſchließt.

Jener wird von einem beſtaͤndigen Argwohn
und Mißtrauen gequaͤlt, weil er wohl weiß, daß
er Andern eine Laſt iſt, und jeder von Herzen
wuͤnſchte, ſich ſeiner zu entledigen. Vertrauen
und Freundſchaft ſind ihm daher unbekannte Ge-
fuͤhle; die Menſchlichkeit verlaͤßt ihn, weil er
die Menſchheit nicht achtet. Er verſchließt ſich,
wie Dionys, in einen ewigen Kerker, und lebt
ſeine Tage freudenleer, von den groͤßten Foltern
des Herzens, Neid, Mißgunſt, Furcht und
Schrecken gequaͤlt.

Welch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0184" n="468"/>
&#x017F;eyn kann, er&#x017F;chrickt er vor jeder Aeußerung, die<lb/>
von Kraft zeugt, und &#x017F;ucht &#x017F;ie zu unterdru&#x0364;cken,<lb/>
damit &#x017F;ein &#x017F;chwaches Geba&#x0364;ude nicht dadurch er-<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;ttert werde. Er verlangt von &#x017F;einen Unter-<lb/>
gebnen &#x017F;elb&#x017F;t das Unmo&#x0364;gliche. Sie &#x017F;ollen jeden<lb/>
&#x017F;einer unordentlichen Wu&#x0364;n&#x017F;che, jede &#x017F;einer un-<lb/>
regelma&#x0364;ßigen Neigungen, jede &#x017F;einer eigen&#x017F;inni-<lb/>
gen Launen errathen und befriedigen. Und wehe<lb/>
ihnen, wenn &#x017F;ie die Foderungen &#x017F;eines Wahn-<lb/>
&#x017F;inns nicht erfu&#x0364;llen ko&#x0364;nnen oder wollen!</p><lb/>
        <p>Wenn nicht ein gutes Herz und men&#x017F;chen-<lb/>
freundliche und billige Grund&#x017F;a&#x0364;tze den Trieb zum<lb/>
Herr&#x017F;chen leiten, &#x017F;o artet er in de&#x017F;poti&#x017F;chen Sinn<lb/>
aus, und hat die traurig&#x017F;ten Folgen fu&#x0364;r den<lb/>
Herr&#x017F;ch&#x017F;u&#x0364;chtigen &#x017F;elb&#x017F;t, und fu&#x0364;r die, welche ihr<lb/>
Verha&#x0364;ltniß an ihn &#x017F;chließt.</p><lb/>
        <p>Jener wird von einem be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Argwohn<lb/>
und Mißtrauen gequa&#x0364;lt, weil er wohl weiß, daß<lb/>
er Andern eine La&#x017F;t i&#x017F;t, und jeder von Herzen<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chte, &#x017F;ich &#x017F;einer zu entledigen. Vertrauen<lb/>
und Freund&#x017F;chaft &#x017F;ind ihm daher unbekannte Ge-<lb/>
fu&#x0364;hle; die <hi rendition="#b">Men&#x017F;chlichkeit</hi> verla&#x0364;ßt ihn, weil er<lb/>
die <hi rendition="#b">Men&#x017F;chheit</hi> nicht achtet. Er ver&#x017F;chließt &#x017F;ich,<lb/>
wie <hi rendition="#b">Dionys</hi>, in einen ewigen Kerker, und lebt<lb/>
&#x017F;eine Tage freudenleer, von den gro&#x0364;ßten Foltern<lb/>
des Herzens, Neid, Mißgun&#x017F;t, Furcht und<lb/>
Schrecken gequa&#x0364;lt.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Welch</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[468/0184] ſeyn kann, erſchrickt er vor jeder Aeußerung, die von Kraft zeugt, und ſucht ſie zu unterdruͤcken, damit ſein ſchwaches Gebaͤude nicht dadurch er- ſchuͤttert werde. Er verlangt von ſeinen Unter- gebnen ſelbſt das Unmoͤgliche. Sie ſollen jeden ſeiner unordentlichen Wuͤnſche, jede ſeiner un- regelmaͤßigen Neigungen, jede ſeiner eigenſinni- gen Launen errathen und befriedigen. Und wehe ihnen, wenn ſie die Foderungen ſeines Wahn- ſinns nicht erfuͤllen koͤnnen oder wollen! Wenn nicht ein gutes Herz und menſchen- freundliche und billige Grundſaͤtze den Trieb zum Herrſchen leiten, ſo artet er in deſpotiſchen Sinn aus, und hat die traurigſten Folgen fuͤr den Herrſchſuͤchtigen ſelbſt, und fuͤr die, welche ihr Verhaͤltniß an ihn ſchließt. Jener wird von einem beſtaͤndigen Argwohn und Mißtrauen gequaͤlt, weil er wohl weiß, daß er Andern eine Laſt iſt, und jeder von Herzen wuͤnſchte, ſich ſeiner zu entledigen. Vertrauen und Freundſchaft ſind ihm daher unbekannte Ge- fuͤhle; die Menſchlichkeit verlaͤßt ihn, weil er die Menſchheit nicht achtet. Er verſchließt ſich, wie Dionys, in einen ewigen Kerker, und lebt ſeine Tage freudenleer, von den groͤßten Foltern des Herzens, Neid, Mißgunſt, Furcht und Schrecken gequaͤlt. Welch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/184
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/184>, abgerufen am 19.04.2024.