Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Da die Verhältnißstolzen ihren Stolz auf die
äußern Beziehungen, in welchen sie gegen Andre
stehen, gründen; so muß ihnen natürlich auch
Alles, was damit zusammenhängt, sehr wichtig
erscheinen.

Man sehe den Adelstolzen. Sein "von",
sein Wappen, seine Stammbäume und die adli-
che Etiquette, sind ihm die wichtigsten Dinge auf
Erden. Kein Knecht, keine Magd rede ihn an-
ders, als in tiefster Unterthänigkeit und gehöriger
Entfernung an. Seine Tochter und sein Sohn
vergesse dessen, was die Natur ihnen eingiebt,
und nehme Liebesbezeugungen, Bitten, Ge-
sprächston unter den Gehorsam der unnatür-
lichen adlichen Mode gefangen. Er glaubt
sehr menschenfreundlich zu seyn, wenn er mit stol-
zer Gnade und Gewogenheit auf einen Bürgerli-
chen herabsieht, und einige -- wichtige -- Wor-
te gegen ihn fallen läßt; nur muß man dies nicht
von ihm fordern, wenn er mit Leuten von Fa-
milie
umgeben ist, denn dann muß er ja zeigen,
daß er seines Ranges würdig sey, die Hoheit des-
selben fühle, und gegen Bürgerliche zu behaupten
verstehe. Nur dem dringenden Geldbedürfniß
opfert der Adelstolze zuweilen seinen Stolz auf.
Er thut so vertraut gegen den Mann, den er
sonst weit unter sich sieht, aber itzt nöthig hat;
weiß sich so ganz in die Neigungen, Wünsche,

Launen
Ee 4

Da die Verhaͤltnißſtolzen ihren Stolz auf die
aͤußern Beziehungen, in welchen ſie gegen Andre
ſtehen, gruͤnden; ſo muß ihnen natuͤrlich auch
Alles, was damit zuſammenhaͤngt, ſehr wichtig
erſcheinen.

Man ſehe den Adelſtolzen. Sein „von„,
ſein Wappen, ſeine Stammbaͤume und die adli-
che Etiquette, ſind ihm die wichtigſten Dinge auf
Erden. Kein Knecht, keine Magd rede ihn an-
ders, als in tiefſter Unterthaͤnigkeit und gehoͤriger
Entfernung an. Seine Tochter und ſein Sohn
vergeſſe deſſen, was die Natur ihnen eingiebt,
und nehme Liebesbezeugungen, Bitten, Ge-
ſpraͤchston unter den Gehorſam der unnatuͤr-
lichen adlichen Mode gefangen. Er glaubt
ſehr menſchenfreundlich zu ſeyn, wenn er mit ſtol-
zer Gnade und Gewogenheit auf einen Buͤrgerli-
chen herabſieht, und einige — wichtige — Wor-
te gegen ihn fallen laͤßt; nur muß man dies nicht
von ihm fordern, wenn er mit Leuten von Fa-
milie
umgeben iſt, denn dann muß er ja zeigen,
daß er ſeines Ranges wuͤrdig ſey, die Hoheit deſ-
ſelben fuͤhle, und gegen Buͤrgerliche zu behaupten
verſtehe. Nur dem dringenden Geldbeduͤrfniß
opfert der Adelſtolze zuweilen ſeinen Stolz auf.
Er thut ſo vertraut gegen den Mann, den er
ſonſt weit unter ſich ſieht, aber itzt noͤthig hat;
weiß ſich ſo ganz in die Neigungen, Wuͤnſche,

Launen
Ee 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0155" n="439"/>
        <p>Da die Verha&#x0364;ltniß&#x017F;tolzen ihren Stolz auf die<lb/>
a&#x0364;ußern Beziehungen, in welchen &#x017F;ie gegen Andre<lb/>
&#x017F;tehen, gru&#x0364;nden; &#x017F;o muß ihnen natu&#x0364;rlich auch<lb/>
Alles, was damit zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngt, &#x017F;ehr wichtig<lb/>
er&#x017F;cheinen.</p><lb/>
        <p>Man &#x017F;ehe den Adel&#x017F;tolzen. Sein &#x201E;von&#x201E;,<lb/>
&#x017F;ein Wappen, &#x017F;eine Stammba&#x0364;ume und die adli-<lb/>
che Etiquette, &#x017F;ind ihm die wichtig&#x017F;ten Dinge auf<lb/>
Erden. Kein Knecht, keine Magd rede ihn an-<lb/>
ders, als in tief&#x017F;ter Untertha&#x0364;nigkeit und geho&#x0364;riger<lb/>
Entfernung an. Seine Tochter und &#x017F;ein Sohn<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;e de&#x017F;&#x017F;en, was die <hi rendition="#b">Natur</hi> ihnen eingiebt,<lb/>
und nehme Liebesbezeugungen, Bitten, Ge-<lb/>
&#x017F;pra&#x0364;chston unter den Gehor&#x017F;am der unnatu&#x0364;r-<lb/>
lichen <hi rendition="#b">adlichen</hi> Mode gefangen. Er glaubt<lb/>
&#x017F;ehr men&#x017F;chenfreundlich zu &#x017F;eyn, wenn er mit &#x017F;tol-<lb/>
zer Gnade und Gewogenheit auf einen Bu&#x0364;rgerli-<lb/>
chen herab&#x017F;ieht, und einige &#x2014; wichtige &#x2014; Wor-<lb/>
te gegen ihn <hi rendition="#b">fallen</hi> la&#x0364;ßt; nur muß man dies nicht<lb/>
von ihm fordern, wenn er mit Leuten <hi rendition="#b">von Fa-<lb/>
milie</hi> umgeben i&#x017F;t, denn dann muß er ja zeigen,<lb/>
daß er &#x017F;eines Ranges wu&#x0364;rdig &#x017F;ey, die Hoheit de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben fu&#x0364;hle, und gegen Bu&#x0364;rgerliche zu behaupten<lb/>
ver&#x017F;tehe. Nur dem dringenden Geldbedu&#x0364;rfniß<lb/>
opfert der Adel&#x017F;tolze zuweilen &#x017F;einen Stolz auf.<lb/>
Er thut &#x017F;o vertraut gegen den Mann, den er<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t weit unter &#x017F;ich &#x017F;ieht, aber itzt no&#x0364;thig hat;<lb/>
weiß &#x017F;ich &#x017F;o ganz in die Neigungen, Wu&#x0364;n&#x017F;che,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Ee 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Launen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[439/0155] Da die Verhaͤltnißſtolzen ihren Stolz auf die aͤußern Beziehungen, in welchen ſie gegen Andre ſtehen, gruͤnden; ſo muß ihnen natuͤrlich auch Alles, was damit zuſammenhaͤngt, ſehr wichtig erſcheinen. Man ſehe den Adelſtolzen. Sein „von„, ſein Wappen, ſeine Stammbaͤume und die adli- che Etiquette, ſind ihm die wichtigſten Dinge auf Erden. Kein Knecht, keine Magd rede ihn an- ders, als in tiefſter Unterthaͤnigkeit und gehoͤriger Entfernung an. Seine Tochter und ſein Sohn vergeſſe deſſen, was die Natur ihnen eingiebt, und nehme Liebesbezeugungen, Bitten, Ge- ſpraͤchston unter den Gehorſam der unnatuͤr- lichen adlichen Mode gefangen. Er glaubt ſehr menſchenfreundlich zu ſeyn, wenn er mit ſtol- zer Gnade und Gewogenheit auf einen Buͤrgerli- chen herabſieht, und einige — wichtige — Wor- te gegen ihn fallen laͤßt; nur muß man dies nicht von ihm fordern, wenn er mit Leuten von Fa- milie umgeben iſt, denn dann muß er ja zeigen, daß er ſeines Ranges wuͤrdig ſey, die Hoheit deſ- ſelben fuͤhle, und gegen Buͤrgerliche zu behaupten verſtehe. Nur dem dringenden Geldbeduͤrfniß opfert der Adelſtolze zuweilen ſeinen Stolz auf. Er thut ſo vertraut gegen den Mann, den er ſonſt weit unter ſich ſieht, aber itzt noͤthig hat; weiß ſich ſo ganz in die Neigungen, Wuͤnſche, Launen Ee 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/155
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/155>, abgerufen am 19.04.2024.