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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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Wenn nemlich durch irgend eine von den
unzähligen möglichen, innern oder äußern Sen-
sationen, die Seele an ihr Daseyn erinnert wird,
eilt sie auch sogleich an ihr Geschäfft, in Vorstel-
lungen thätig zu seyn. Die Vorstellungen aber,
welche sich ihr am ersten vergegenwärtigen, sind
entweder solche, welche in ihr am geläufigsten,
lebhaftesten, neu'sten sind, oder solche, welche
mit den Sensationen, wodurch sie geweckt wur-
de, Zusammenhang haben. Wird z. B. das Ge-
hör afficirt, so geht die Einbildungskraft im
Traum von einem Gehörsgegenstand aus; und
fällt von einem brennenden Lichte ein Strahl in
des Schlafenden Auge, so wird eine Gesichtsvor-
stellung das Schauspiel des Traums eröffnen.

Wenn man immer genau wüßte, was für
Gegenstände im Schlaf auf unsre Empfindung
wirkten, so würden sehr viele Träume erklärbar
seyn, welche man itzt unerklärt lassen muß. Oef-
ters könnte man wohl dieselben auffinden, wenn
man nur nicht aus Verachtung der abergläubi-
schen
Traumdeuterey alles Traumdeuten für un-
nütz hielte.

Ein bekannter Gelehrter, welcher eine Zeit-
lang viel von der Hypochondrie litt, träumte meh-
rere Nächte hintereinander von nichts, als Ertrin-
ken, Schwimmen und überhaupt von solchen Be-
gebenheiten und Handlungen, welche nur auf

dem

Wenn nemlich durch irgend eine von den
unzaͤhligen moͤglichen, innern oder aͤußern Sen-
ſationen, die Seele an ihr Daſeyn erinnert wird,
eilt ſie auch ſogleich an ihr Geſchaͤfft, in Vorſtel-
lungen thaͤtig zu ſeyn. Die Vorſtellungen aber,
welche ſich ihr am erſten vergegenwaͤrtigen, ſind
entweder ſolche, welche in ihr am gelaͤufigſten,
lebhafteſten, neu'ſten ſind, oder ſolche, welche
mit den Senſationen, wodurch ſie geweckt wur-
de, Zuſammenhang haben. Wird z. B. das Ge-
hoͤr afficirt, ſo geht die Einbildungskraft im
Traum von einem Gehoͤrsgegenſtand aus; und
faͤllt von einem brennenden Lichte ein Strahl in
des Schlafenden Auge, ſo wird eine Geſichtsvor-
ſtellung das Schauſpiel des Traums eroͤffnen.

Wenn man immer genau wuͤßte, was fuͤr
Gegenſtaͤnde im Schlaf auf unſre Empfindung
wirkten, ſo wuͤrden ſehr viele Traͤume erklaͤrbar
ſeyn, welche man itzt unerklaͤrt laſſen muß. Oef-
ters koͤnnte man wohl dieſelben auffinden, wenn
man nur nicht aus Verachtung der aberglaͤubi-
ſchen
Traumdeuterey alles Traumdeuten fuͤr un-
nuͤtz hielte.

Ein bekannter Gelehrter, welcher eine Zeit-
lang viel von der Hypochondrie litt, traͤumte meh-
rere Naͤchte hintereinander von nichts, als Ertrin-
ken, Schwimmen und uͤberhaupt von ſolchen Be-
gebenheiten und Handlungen, welche nur auf

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[70/0094] Wenn nemlich durch irgend eine von den unzaͤhligen moͤglichen, innern oder aͤußern Sen- ſationen, die Seele an ihr Daſeyn erinnert wird, eilt ſie auch ſogleich an ihr Geſchaͤfft, in Vorſtel- lungen thaͤtig zu ſeyn. Die Vorſtellungen aber, welche ſich ihr am erſten vergegenwaͤrtigen, ſind entweder ſolche, welche in ihr am gelaͤufigſten, lebhafteſten, neu'ſten ſind, oder ſolche, welche mit den Senſationen, wodurch ſie geweckt wur- de, Zuſammenhang haben. Wird z. B. das Ge- hoͤr afficirt, ſo geht die Einbildungskraft im Traum von einem Gehoͤrsgegenſtand aus; und faͤllt von einem brennenden Lichte ein Strahl in des Schlafenden Auge, ſo wird eine Geſichtsvor- ſtellung das Schauſpiel des Traums eroͤffnen. Wenn man immer genau wuͤßte, was fuͤr Gegenſtaͤnde im Schlaf auf unſre Empfindung wirkten, ſo wuͤrden ſehr viele Traͤume erklaͤrbar ſeyn, welche man itzt unerklaͤrt laſſen muß. Oef- ters koͤnnte man wohl dieſelben auffinden, wenn man nur nicht aus Verachtung der aberglaͤubi- ſchen Traumdeuterey alles Traumdeuten fuͤr un- nuͤtz hielte. Ein bekannter Gelehrter, welcher eine Zeit- lang viel von der Hypochondrie litt, traͤumte meh- rere Naͤchte hintereinander von nichts, als Ertrin- ken, Schwimmen und uͤberhaupt von ſolchen Be- gebenheiten und Handlungen, welche nur auf dem

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/94>, abgerufen am 25.04.2024.