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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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Ketten und der dumpfe Ton ihrer Stimme nicht
mehr gehört werden kann.

Die Regsamkeit der Jmagination und die
Art der Vorstellungen, mit welchen sie am häu-
figsten spielt, hängt von mancherley Ursachen ab,
aus welchen ich nur die wichtigsten ausheben
will. --

Tändelnd und spielerisch und feurig ist die
Einbildungskraft im Knaben und Jüngling --
gesetzter im Manne, gelähmt in dem Greise.
Jedes Vergnügen mahlt sich die Jugend mit den
reizendsten Farben. -- An der Spitze seiner Ge-
spielen zaubert die Phantasie den Knaben zum
Jmperator der Welt, und die Schaar, die er
führt, zu Rittern der Vorzeit. Wie der Knabe
über sein Steckenpferd und seinen hölzernen Degen,
freut sich das Mädchen über einen neuen Habit,
ein Weihnachtsgeschenk, eine Puppe. Der lie-
bende Jüngling schließt nicht ein Mädchen aus
der wirklichen Welt in seinen Arm, -- er ent-
schwingt sich der Erde, um Engelsgefühle mit ei-
nem Engel zu fühlen.

Il ne voit plus, que le paradis, les anges,
les vertus des Saints, les delices du sejour
celeste.

Der Freund, an dessen Busen er sich drängt,
ist nicht ein Freund aus dem achtzehnten Jahr-

hun-


Ketten und der dumpfe Ton ihrer Stimme nicht
mehr gehoͤrt werden kann.

Die Regſamkeit der Jmagination und die
Art der Vorſtellungen, mit welchen ſie am haͤu-
figſten ſpielt, haͤngt von mancherley Urſachen ab,
aus welchen ich nur die wichtigſten ausheben
will. —

Taͤndelnd und ſpieleriſch und feurig iſt die
Einbildungskraft im Knaben und Juͤngling
geſetzter im Manne, gelaͤhmt in dem Greiſe.
Jedes Vergnuͤgen mahlt ſich die Jugend mit den
reizendſten Farben. — An der Spitze ſeiner Ge-
ſpielen zaubert die Phantaſie den Knaben zum
Jmperator der Welt, und die Schaar, die er
fuͤhrt, zu Rittern der Vorzeit. Wie der Knabe
uͤber ſein Steckenpferd und ſeinen hoͤlzernen Degen,
freut ſich das Maͤdchen uͤber einen neuen Habit,
ein Weihnachtsgeſchenk, eine Puppe. Der lie-
bende Juͤngling ſchließt nicht ein Maͤdchen aus
der wirklichen Welt in ſeinen Arm, — er ent-
ſchwingt ſich der Erde, um Engelsgefuͤhle mit ei-
nem Engel zu fuͤhlen.

Il ne voit plus, que le paradis, les anges,
les vertus des Saints, les deliçes du ſejour
celeſte.

Der Freund, an deſſen Buſen er ſich draͤngt,
iſt nicht ein Freund aus dem achtzehnten Jahr-

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[47/0071] Ketten und der dumpfe Ton ihrer Stimme nicht mehr gehoͤrt werden kann. Die Regſamkeit der Jmagination und die Art der Vorſtellungen, mit welchen ſie am haͤu- figſten ſpielt, haͤngt von mancherley Urſachen ab, aus welchen ich nur die wichtigſten ausheben will. — Taͤndelnd und ſpieleriſch und feurig iſt die Einbildungskraft im Knaben und Juͤngling — geſetzter im Manne, gelaͤhmt in dem Greiſe. Jedes Vergnuͤgen mahlt ſich die Jugend mit den reizendſten Farben. — An der Spitze ſeiner Ge- ſpielen zaubert die Phantaſie den Knaben zum Jmperator der Welt, und die Schaar, die er fuͤhrt, zu Rittern der Vorzeit. Wie der Knabe uͤber ſein Steckenpferd und ſeinen hoͤlzernen Degen, freut ſich das Maͤdchen uͤber einen neuen Habit, ein Weihnachtsgeſchenk, eine Puppe. Der lie- bende Juͤngling ſchließt nicht ein Maͤdchen aus der wirklichen Welt in ſeinen Arm, — er ent- ſchwingt ſich der Erde, um Engelsgefuͤhle mit ei- nem Engel zu fuͤhlen. Il ne voit plus, que le paradis, les anges, les vertus des Saints, les deliçes du ſejour celeſte. Der Freund, an deſſen Buſen er ſich draͤngt, iſt nicht ein Freund aus dem achtzehnten Jahr- hun-

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/71>, abgerufen am 29.03.2024.