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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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So ist der wohllüstige Trinker mit ganzer
Seele auf seinem Gaum. -- Er verschließt seine
Augen; denn selbst das labende Glas verlangt er
nicht zu sehn -- biegt den Kopf zwischen den
Schultern und ist, wie der feine Menschenkenner
Engel*) sagt, ganz in der Einen Empfindung
beysammen.**)

Eben daher kommt es, daß Personen bey
schweren Krankheiten oft etwas thun oder reden,
wovon sie hernach durchaus nichts wissen. Die
Vorstellung von sich und ihrem schmerzhaften Zu-
stand, ist so ganz allein in ihrem Bewußtseyn, daß
sie auf die äußern Verhältnisse, in welchen sie sich
befinden, daß sie selbst auf das, was sie thun
oder reden, gar nicht merken. Ja sie können oft
nachher sich nicht auf sich selbst und ihren Schmerz
besinnen, weil ihr nur auf den leidenden Theil

ihrer
*) Engels Mimik 1. Th. S. 177. 178.
**) Es ist darum kein Wunder, daß die Personen,
welche sich den Magnetiseurs übergeben, in einen sie
von allem, was da ist, nur nicht von sich selbst und
ihrer magnetischen Empfindung, abtrennenden
Schlaf übergehn. -- Diese Art von Schlaf, wo
vor dem Gegenstande der Empfindung die Augen
des Leibes und der Seele zusammengekniffen oder
verdreht werden, um sich nur seiner einzigen Em-
pfindung bewußt zu seyn, zeigt sich bey jedem hohen
Grade jeder Wohllust. --

So iſt der wohlluͤſtige Trinker mit ganzer
Seele auf ſeinem Gaum. — Er verſchließt ſeine
Augen; denn ſelbſt das labende Glas verlangt er
nicht zu ſehn — biegt den Kopf zwiſchen den
Schultern und iſt, wie der feine Menſchenkenner
Engel*) ſagt, ganz in der Einen Empfindung
beyſammen.**)

Eben daher kommt es, daß Perſonen bey
ſchweren Krankheiten oft etwas thun oder reden,
wovon ſie hernach durchaus nichts wiſſen. Die
Vorſtellung von ſich und ihrem ſchmerzhaften Zu-
ſtand, iſt ſo ganz allein in ihrem Bewußtſeyn, daß
ſie auf die aͤußern Verhaͤltniſſe, in welchen ſie ſich
befinden, daß ſie ſelbſt auf das, was ſie thun
oder reden, gar nicht merken. Ja ſie koͤnnen oft
nachher ſich nicht auf ſich ſelbſt und ihren Schmerz
beſinnen, weil ihr nur auf den leidenden Theil

ihrer
*) Engels Mimik 1. Th. S. 177. 178.
**) Es iſt darum kein Wunder, daß die Perſonen,
welche ſich den Magnetiſeurs uͤbergeben, in einen ſie
von allem, was da iſt, nur nicht von ſich ſelbſt und
ihrer magnetiſchen Empfindung, abtrennenden
Schlaf uͤbergehn. — Dieſe Art von Schlaf, wo
vor dem Gegenſtande der Empfindung die Augen
des Leibes und der Seele zuſammengekniffen oder
verdreht werden, um ſich nur ſeiner einzigen Em-
pfindung bewußt zu ſeyn, zeigt ſich bey jedem hohen
Grade jeder Wohlluſt. —
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[28/0052] So iſt der wohlluͤſtige Trinker mit ganzer Seele auf ſeinem Gaum. — Er verſchließt ſeine Augen; denn ſelbſt das labende Glas verlangt er nicht zu ſehn — biegt den Kopf zwiſchen den Schultern und iſt, wie der feine Menſchenkenner Engel *) ſagt, ganz in der Einen Empfindung beyſammen. **) Eben daher kommt es, daß Perſonen bey ſchweren Krankheiten oft etwas thun oder reden, wovon ſie hernach durchaus nichts wiſſen. Die Vorſtellung von ſich und ihrem ſchmerzhaften Zu- ſtand, iſt ſo ganz allein in ihrem Bewußtſeyn, daß ſie auf die aͤußern Verhaͤltniſſe, in welchen ſie ſich befinden, daß ſie ſelbſt auf das, was ſie thun oder reden, gar nicht merken. Ja ſie koͤnnen oft nachher ſich nicht auf ſich ſelbſt und ihren Schmerz beſinnen, weil ihr nur auf den leidenden Theil ihrer *) Engels Mimik 1. Th. S. 177. 178. **) Es iſt darum kein Wunder, daß die Perſonen, welche ſich den Magnetiſeurs uͤbergeben, in einen ſie von allem, was da iſt, nur nicht von ſich ſelbſt und ihrer magnetiſchen Empfindung, abtrennenden Schlaf uͤbergehn. — Dieſe Art von Schlaf, wo vor dem Gegenſtande der Empfindung die Augen des Leibes und der Seele zuſammengekniffen oder verdreht werden, um ſich nur ſeiner einzigen Em- pfindung bewußt zu ſeyn, zeigt ſich bey jedem hohen Grade jeder Wohlluſt. —

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/52>, abgerufen am 23.04.2024.