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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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und Schreckliche, wenn man die Copie oft gesehen
und sich an ihren Anblick gewöhnt hat. Wie ab-
scheulich dünken dem unschuldigen Jüngling die
Ausschweifungen unreiner Lust; er möchte vor
sich selbst fliehen, wenn er dieselben sich vorstellt;
aber man versetze ihn nur in eine Lage, wo ihrer
öfters gedacht wird, man umgebe ihn mit wollü-
stigen Gemählden, und lasse ihn einen öfteren Zu-
schauer wollüstiger Scenen seyn, so wird sich nach
und nach der empörende Abscheu verlieren. Er
wird wohl noch einigemal die Zuckungen der ster-
benden Tugend fühlen; aber endlich wird doch,
wenn nicht noch zu rechter Zeit die Weisheit ihn
aus der Gefahr reißt, seine Unschuld von den
Gehülfen des Lasters gewürgt werden. Das er-
fuhr der edle Agathon in dem Hause des klugen
Sophisten Hippias; das hat so mancher gute
Jüngling erfahren, der sich ohne Argwohn ähn-
lichen Gefahren überließ.

Fliehet deswegen, Jünglinge und Mädchen,
die ihr in glücklicher Unbekanntschaft mit dem La-
ster lebt, o fliehet alles das, was Euch die Be-
kanntschaft mit demselben verschaffen kann. Ent-
fernt Euch aus den Versammlungen, die sich mit
unreinen Gesprächen unterhalten, damit nicht
Euer Ohr zum Verräther an Eurer Tugend wer-
de, und leset die Schriften nicht, welche das
Laster mit lügenhaften Farben schildern, damit

Euer

und Schreckliche, wenn man die Copie oft geſehen
und ſich an ihren Anblick gewoͤhnt hat. Wie ab-
ſcheulich duͤnken dem unſchuldigen Juͤngling die
Ausſchweifungen unreiner Luſt; er moͤchte vor
ſich ſelbſt fliehen, wenn er dieſelben ſich vorſtellt;
aber man verſetze ihn nur in eine Lage, wo ihrer
oͤfters gedacht wird, man umgebe ihn mit wolluͤ-
ſtigen Gemaͤhlden, und laſſe ihn einen oͤfteren Zu-
ſchauer wolluͤſtiger Scenen ſeyn, ſo wird ſich nach
und nach der empoͤrende Abſcheu verlieren. Er
wird wohl noch einigemal die Zuckungen der ſter-
benden Tugend fuͤhlen; aber endlich wird doch,
wenn nicht noch zu rechter Zeit die Weisheit ihn
aus der Gefahr reißt, ſeine Unſchuld von den
Gehuͤlfen des Laſters gewuͤrgt werden. Das er-
fuhr der edle Agathon in dem Hauſe des klugen
Sophiſten Hippias; das hat ſo mancher gute
Juͤngling erfahren, der ſich ohne Argwohn aͤhn-
lichen Gefahren uͤberließ.

Fliehet deswegen, Juͤnglinge und Maͤdchen,
die ihr in gluͤcklicher Unbekanntſchaft mit dem La-
ſter lebt, o fliehet alles das, was Euch die Be-
kanntſchaft mit demſelben verſchaffen kann. Ent-
fernt Euch aus den Verſammlungen, die ſich mit
unreinen Geſpraͤchen unterhalten, damit nicht
Euer Ohr zum Verraͤther an Eurer Tugend wer-
de, und leſet die Schriften nicht, welche das
Laſter mit luͤgenhaften Farben ſchildern, damit

Euer
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[280/0304] und Schreckliche, wenn man die Copie oft geſehen und ſich an ihren Anblick gewoͤhnt hat. Wie ab- ſcheulich duͤnken dem unſchuldigen Juͤngling die Ausſchweifungen unreiner Luſt; er moͤchte vor ſich ſelbſt fliehen, wenn er dieſelben ſich vorſtellt; aber man verſetze ihn nur in eine Lage, wo ihrer oͤfters gedacht wird, man umgebe ihn mit wolluͤ- ſtigen Gemaͤhlden, und laſſe ihn einen oͤfteren Zu- ſchauer wolluͤſtiger Scenen ſeyn, ſo wird ſich nach und nach der empoͤrende Abſcheu verlieren. Er wird wohl noch einigemal die Zuckungen der ſter- benden Tugend fuͤhlen; aber endlich wird doch, wenn nicht noch zu rechter Zeit die Weisheit ihn aus der Gefahr reißt, ſeine Unſchuld von den Gehuͤlfen des Laſters gewuͤrgt werden. Das er- fuhr der edle Agathon in dem Hauſe des klugen Sophiſten Hippias; das hat ſo mancher gute Juͤngling erfahren, der ſich ohne Argwohn aͤhn- lichen Gefahren uͤberließ. Fliehet deswegen, Juͤnglinge und Maͤdchen, die ihr in gluͤcklicher Unbekanntſchaft mit dem La- ſter lebt, o fliehet alles das, was Euch die Be- kanntſchaft mit demſelben verſchaffen kann. Ent- fernt Euch aus den Verſammlungen, die ſich mit unreinen Geſpraͤchen unterhalten, damit nicht Euer Ohr zum Verraͤther an Eurer Tugend wer- de, und leſet die Schriften nicht, welche das Laſter mit luͤgenhaften Farben ſchildern, damit Euer

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/304>, abgerufen am 28.03.2024.