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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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II.
Erziehe die Einbildungskraft zu einer
Freundin der Tugend
.

Wenn Tugend das höchste Gut des Men-
schen ist: nur sie allein ihm Werth und Würde
giebt, und ohne sie keine Glückseligkeit möglich
ist: so wird ein jeder es für Pflicht erkennen, al-
les anzuwenden, was ihm zum Besitz dieses Gu-
tes förderlich, und alles abzuwenden, was ihm
daran hinderlich seyn kann.

Die Phantasie kann beydes. Wie der
Mensch sie erzieht, so bildet sie sich zur Freundin
der Tugend oder zur Kuplerin des Lasters: wir
wollen daher lernen, sie für die Sache der Tu-
gend zu gewinnen.

Hüte dich zuförderst, deine Einbildungs-
kraft mit solchen Vorstellungen zu füllen,
welche dich zur Befleckung deiner Tugend
und zur Verletzung deiner Pflicht verführen
können.

Jch rechne zuerst hieher die Vorstellungen
des Lasters überhaupt, welche jeder, dem seine
Tugend werth ist, möglichst selten in seine Seele
einlassen muß. Wer oft Bilder der Wollust,
des Hochmuths, der Grausamkeit oder irgend ei-
nes andern Uebels der moralischen Welt, in sich
unterhält, gewöhnt sich nach und nach daran.
Das Original verliert das Widrige, Abscheuliche

und
S 4
II.
Erziehe die Einbildungskraft zu einer
Freundin der Tugend
.

Wenn Tugend das hoͤchſte Gut des Men-
ſchen iſt: nur ſie allein ihm Werth und Wuͤrde
giebt, und ohne ſie keine Gluͤckſeligkeit moͤglich
iſt: ſo wird ein jeder es fuͤr Pflicht erkennen, al-
les anzuwenden, was ihm zum Beſitz dieſes Gu-
tes foͤrderlich, und alles abzuwenden, was ihm
daran hinderlich ſeyn kann.

Die Phantaſie kann beydes. Wie der
Menſch ſie erzieht, ſo bildet ſie ſich zur Freundin
der Tugend oder zur Kuplerin des Laſters: wir
wollen daher lernen, ſie fuͤr die Sache der Tu-
gend zu gewinnen.

Huͤte dich zufoͤrderſt, deine Einbildungs-
kraft mit ſolchen Vorſtellungen zu fuͤllen,
welche dich zur Befleckung deiner Tugend
und zur Verletzung deiner Pflicht verfuͤhren
koͤnnen.

Jch rechne zuerſt hieher die Vorſtellungen
des Laſters uͤberhaupt, welche jeder, dem ſeine
Tugend werth iſt, moͤglichſt ſelten in ſeine Seele
einlaſſen muß. Wer oft Bilder der Wolluſt,
des Hochmuths, der Grauſamkeit oder irgend ei-
nes andern Uebels der moraliſchen Welt, in ſich
unterhaͤlt, gewoͤhnt ſich nach und nach daran.
Das Original verliert das Widrige, Abſcheuliche

und
S 4
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[279/0303] II. Erziehe die Einbildungskraft zu einer Freundin der Tugend. Wenn Tugend das hoͤchſte Gut des Men- ſchen iſt: nur ſie allein ihm Werth und Wuͤrde giebt, und ohne ſie keine Gluͤckſeligkeit moͤglich iſt: ſo wird ein jeder es fuͤr Pflicht erkennen, al- les anzuwenden, was ihm zum Beſitz dieſes Gu- tes foͤrderlich, und alles abzuwenden, was ihm daran hinderlich ſeyn kann. Die Phantaſie kann beydes. Wie der Menſch ſie erzieht, ſo bildet ſie ſich zur Freundin der Tugend oder zur Kuplerin des Laſters: wir wollen daher lernen, ſie fuͤr die Sache der Tu- gend zu gewinnen. Huͤte dich zufoͤrderſt, deine Einbildungs- kraft mit ſolchen Vorſtellungen zu fuͤllen, welche dich zur Befleckung deiner Tugend und zur Verletzung deiner Pflicht verfuͤhren koͤnnen. Jch rechne zuerſt hieher die Vorſtellungen des Laſters uͤberhaupt, welche jeder, dem ſeine Tugend werth iſt, moͤglichſt ſelten in ſeine Seele einlaſſen muß. Wer oft Bilder der Wolluſt, des Hochmuths, der Grauſamkeit oder irgend ei- nes andern Uebels der moraliſchen Welt, in ſich unterhaͤlt, gewoͤhnt ſich nach und nach daran. Das Original verliert das Widrige, Abſcheuliche und S 4

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/303>, abgerufen am 19.04.2024.