Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

stens ihre Farbe geben. Es ist daher zur Hei-
lung dieser Art der Verrücktheit nothwendig, daß
man das Feuer dieser Vorstellungen zu schwächen,
und andre neben sie in die Seele zu führen su-
che, welche die Aufmerksamkeit von jenen ab,
und auf sich hinziehen.

Wir wurden darauf vor einem Käficht vor-
beygeführt, dessen Gitteröfnung mit mancherley
Bildern und dessen Jnnres mit allerley Schnitzel-
und Spielwerk behangen war. Es bewohnt ihn
ein ehemaliger Organist. Auf einen Musikus
wäre ich selbst gefallen; denn sobald er uns erblick-
te, ergriff er ein Holz, welches er mit Sayten be-
zogen hatte, schlug mit einer Ruthe darauf, daß
es tönte, und sang ganz tactmäßig dazu. Jch
ward ganz heiter dabey, und vergaß beynahe, daß
dieser Mensch bey aller Fröhlichkeit, die er zeigte,
doch zu bedauern sey. Er war schon neun und
zwanzig Jahre an diesem Jammerorte, und hat-
te seinen Verstand in der Offenbarung Johannis
verloren.

Jch bin sonst nicht dafür gewesen, daß un-
studirte Dorfschulmeister, Organisten oder Canto-
ren, neben ihrem Amte noch ein Handwerk trei-
ben; der Anblick dieses Mannes hat indeß meine
Ueberzeugung beynahe geändert: weil es doch
besser ist, daß dergleichen Leute, zu deren Amt
doch nun einmal große Geister nicht groß genug

sind,
P

ſtens ihre Farbe geben. Es iſt daher zur Hei-
lung dieſer Art der Verruͤcktheit nothwendig, daß
man das Feuer dieſer Vorſtellungen zu ſchwaͤchen,
und andre neben ſie in die Seele zu fuͤhren ſu-
che, welche die Aufmerkſamkeit von jenen ab,
und auf ſich hinziehen.

Wir wurden darauf vor einem Kaͤficht vor-
beygefuͤhrt, deſſen Gitteroͤfnung mit mancherley
Bildern und deſſen Jnnres mit allerley Schnitzel-
und Spielwerk behangen war. Es bewohnt ihn
ein ehemaliger Organiſt. Auf einen Muſikus
waͤre ich ſelbſt gefallen; denn ſobald er uns erblick-
te, ergriff er ein Holz, welches er mit Sayten be-
zogen hatte, ſchlug mit einer Ruthe darauf, daß
es toͤnte, und ſang ganz tactmaͤßig dazu. Jch
ward ganz heiter dabey, und vergaß beynahe, daß
dieſer Menſch bey aller Froͤhlichkeit, die er zeigte,
doch zu bedauern ſey. Er war ſchon neun und
zwanzig Jahre an dieſem Jammerorte, und hat-
te ſeinen Verſtand in der Offenbarung Johannis
verloren.

Jch bin ſonſt nicht dafuͤr geweſen, daß un-
ſtudirte Dorfſchulmeiſter, Organiſten oder Canto-
ren, neben ihrem Amte noch ein Handwerk trei-
ben; der Anblick dieſes Mannes hat indeß meine
Ueberzeugung beynahe geaͤndert: weil es doch
beſſer iſt, daß dergleichen Leute, zu deren Amt
doch nun einmal große Geiſter nicht groß genug

ſind,
P
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <floatingText>
            <body>
              <div type="letter">
                <p><pb facs="#f0249" n="225"/>
&#x017F;tens ihre Farbe geben. Es i&#x017F;t daher zur Hei-<lb/>
lung die&#x017F;er Art der Verru&#x0364;cktheit nothwendig, daß<lb/>
man das Feuer die&#x017F;er Vor&#x017F;tellungen zu &#x017F;chwa&#x0364;chen,<lb/>
und andre neben &#x017F;ie in die Seele zu fu&#x0364;hren &#x017F;u-<lb/>
che, welche die Aufmerk&#x017F;amkeit von jenen ab,<lb/>
und auf &#x017F;ich hinziehen.</p><lb/>
                <p>Wir wurden darauf vor einem Ka&#x0364;ficht vor-<lb/>
beygefu&#x0364;hrt, de&#x017F;&#x017F;en Gittero&#x0364;fnung mit mancherley<lb/>
Bildern und de&#x017F;&#x017F;en Jnnres mit allerley Schnitzel-<lb/>
und Spielwerk behangen war. Es bewohnt ihn<lb/>
ein ehemaliger Organi&#x017F;t. Auf einen Mu&#x017F;ikus<lb/>
wa&#x0364;re ich &#x017F;elb&#x017F;t gefallen; denn &#x017F;obald er uns erblick-<lb/>
te, ergriff er ein Holz, welches er mit Sayten be-<lb/>
zogen hatte, &#x017F;chlug mit einer Ruthe darauf, daß<lb/>
es to&#x0364;nte, und &#x017F;ang ganz tactma&#x0364;ßig dazu. Jch<lb/>
ward ganz heiter dabey, und vergaß beynahe, daß<lb/>
die&#x017F;er Men&#x017F;ch bey aller Fro&#x0364;hlichkeit, die er zeigte,<lb/>
doch zu bedauern &#x017F;ey. Er war &#x017F;chon neun und<lb/>
zwanzig Jahre an die&#x017F;em Jammerorte, und hat-<lb/>
te &#x017F;einen Ver&#x017F;tand in der Offenbarung Johannis<lb/>
verloren.</p><lb/>
                <p>Jch bin &#x017F;on&#x017F;t nicht dafu&#x0364;r gewe&#x017F;en, daß un-<lb/>
&#x017F;tudirte Dorf&#x017F;chulmei&#x017F;ter, Organi&#x017F;ten oder Canto-<lb/>
ren, neben ihrem Amte noch ein Handwerk trei-<lb/>
ben; der Anblick die&#x017F;es Mannes hat indeß meine<lb/>
Ueberzeugung beynahe gea&#x0364;ndert: weil es doch<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t, daß dergleichen Leute, zu deren Amt<lb/>
doch nun einmal große Gei&#x017F;ter nicht groß genug<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ind,</fw><lb/></p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0249] ſtens ihre Farbe geben. Es iſt daher zur Hei- lung dieſer Art der Verruͤcktheit nothwendig, daß man das Feuer dieſer Vorſtellungen zu ſchwaͤchen, und andre neben ſie in die Seele zu fuͤhren ſu- che, welche die Aufmerkſamkeit von jenen ab, und auf ſich hinziehen. Wir wurden darauf vor einem Kaͤficht vor- beygefuͤhrt, deſſen Gitteroͤfnung mit mancherley Bildern und deſſen Jnnres mit allerley Schnitzel- und Spielwerk behangen war. Es bewohnt ihn ein ehemaliger Organiſt. Auf einen Muſikus waͤre ich ſelbſt gefallen; denn ſobald er uns erblick- te, ergriff er ein Holz, welches er mit Sayten be- zogen hatte, ſchlug mit einer Ruthe darauf, daß es toͤnte, und ſang ganz tactmaͤßig dazu. Jch ward ganz heiter dabey, und vergaß beynahe, daß dieſer Menſch bey aller Froͤhlichkeit, die er zeigte, doch zu bedauern ſey. Er war ſchon neun und zwanzig Jahre an dieſem Jammerorte, und hat- te ſeinen Verſtand in der Offenbarung Johannis verloren. Jch bin ſonſt nicht dafuͤr geweſen, daß un- ſtudirte Dorfſchulmeiſter, Organiſten oder Canto- ren, neben ihrem Amte noch ein Handwerk trei- ben; der Anblick dieſes Mannes hat indeß meine Ueberzeugung beynahe geaͤndert: weil es doch beſſer iſt, daß dergleichen Leute, zu deren Amt doch nun einmal große Geiſter nicht groß genug ſind, P

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/249
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/249>, abgerufen am 20.04.2024.