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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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Essen dargereicht wird, angeschlossen werden.
Es befanden sich jetzt ohngefähr 30 Rasende hier.

Schon vor der Thür schlug uns der ekelhaf-
teste Dunst entgegen, ohnerachtet erst den Tag
zuvor alle Behälter gereinigt waren. Ein fürch-
terliches Geblärr, im lautesten, etwas untersetz-
tem Tenor, verkündigte uns, wer hier hause.
Als ich hineintrat, stieß ich zuerst auf den Käficht
der Person, deren Geschrey ich gehört hatte.

Es war ein Weib. Auf ihrem Gesicht und
in ihrem Gebehrdenspiel hatte die Niedrigkeit und
Verworfenheit alle Züge aller einzelnen Niedrigen
und Verworfenen zusammengetragen. Sie war
nur mit wenig Kleidern behangen, streckte die
Hand nach Geld aus, und trieb jedes Mitleids-
gefühl, so lange man sie sah, aus dem Herzen.
Sie schimpfte auf eine andre Weibsperson im
lautesten Schreyen, und sprach unaufhörlich von
gestohlnen Sachen. Gewiß hat dies Weib in
dem Zustande, da sie noch den Verstandesgebrauch
hatte, Niedrigkeiten aller Art und besonders Die-
berey geübt. Sie war itzt nicht beynahe, sondern
völlig ein Thier, denn sie ahmt sogar alle Hand-
lungen der Thiere nach, welche man als Mu-
ster der Dummheit und Unreinlichkeit zu schildern
pflegt. Mehr solcher, besonders weiblicher Thie-
re in Menschengestalt zu sehen, wäre mir nicht
möglich gewesen; drum war es gut, daß itzt ei-

nige

Eſſen dargereicht wird, angeſchloſſen werden.
Es befanden ſich jetzt ohngefaͤhr 30 Raſende hier.

Schon vor der Thuͤr ſchlug uns der ekelhaf-
teſte Dunſt entgegen, ohnerachtet erſt den Tag
zuvor alle Behaͤlter gereinigt waren. Ein fuͤrch-
terliches Geblaͤrr, im lauteſten, etwas unterſetz-
tem Tenor, verkuͤndigte uns, wer hier hauſe.
Als ich hineintrat, ſtieß ich zuerſt auf den Kaͤficht
der Perſon, deren Geſchrey ich gehoͤrt hatte.

Es war ein Weib. Auf ihrem Geſicht und
in ihrem Gebehrdenſpiel hatte die Niedrigkeit und
Verworfenheit alle Zuͤge aller einzelnen Niedrigen
und Verworfenen zuſammengetragen. Sie war
nur mit wenig Kleidern behangen, ſtreckte die
Hand nach Geld aus, und trieb jedes Mitleids-
gefuͤhl, ſo lange man ſie ſah, aus dem Herzen.
Sie ſchimpfte auf eine andre Weibsperſon im
lauteſten Schreyen, und ſprach unaufhoͤrlich von
geſtohlnen Sachen. Gewiß hat dies Weib in
dem Zuſtande, da ſie noch den Verſtandesgebrauch
hatte, Niedrigkeiten aller Art und beſonders Die-
berey geuͤbt. Sie war itzt nicht beynahe, ſondern
voͤllig ein Thier, denn ſie ahmt ſogar alle Hand-
lungen der Thiere nach, welche man als Mu-
ſter der Dummheit und Unreinlichkeit zu ſchildern
pflegt. Mehr ſolcher, beſonders weiblicher Thie-
re in Menſchengeſtalt zu ſehen, waͤre mir nicht
moͤglich geweſen; drum war es gut, daß itzt ei-

nige
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[223/0247] Eſſen dargereicht wird, angeſchloſſen werden. Es befanden ſich jetzt ohngefaͤhr 30 Raſende hier. Schon vor der Thuͤr ſchlug uns der ekelhaf- teſte Dunſt entgegen, ohnerachtet erſt den Tag zuvor alle Behaͤlter gereinigt waren. Ein fuͤrch- terliches Geblaͤrr, im lauteſten, etwas unterſetz- tem Tenor, verkuͤndigte uns, wer hier hauſe. Als ich hineintrat, ſtieß ich zuerſt auf den Kaͤficht der Perſon, deren Geſchrey ich gehoͤrt hatte. Es war ein Weib. Auf ihrem Geſicht und in ihrem Gebehrdenſpiel hatte die Niedrigkeit und Verworfenheit alle Zuͤge aller einzelnen Niedrigen und Verworfenen zuſammengetragen. Sie war nur mit wenig Kleidern behangen, ſtreckte die Hand nach Geld aus, und trieb jedes Mitleids- gefuͤhl, ſo lange man ſie ſah, aus dem Herzen. Sie ſchimpfte auf eine andre Weibsperſon im lauteſten Schreyen, und ſprach unaufhoͤrlich von geſtohlnen Sachen. Gewiß hat dies Weib in dem Zuſtande, da ſie noch den Verſtandesgebrauch hatte, Niedrigkeiten aller Art und beſonders Die- berey geuͤbt. Sie war itzt nicht beynahe, ſondern voͤllig ein Thier, denn ſie ahmt ſogar alle Hand- lungen der Thiere nach, welche man als Mu- ſter der Dummheit und Unreinlichkeit zu ſchildern pflegt. Mehr ſolcher, beſonders weiblicher Thie- re in Menſchengeſtalt zu ſehen, waͤre mir nicht moͤglich geweſen; drum war es gut, daß itzt ei- nige

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/247>, abgerufen am 29.03.2024.