Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

tung aus eignem Mittel etwas bezahlen können.
Diese Zimmer sind nicht groß, aber hell, sehr
reinlich, ordentlich, und selten verschlossen. Jn
jeder Thür ist ein quadratförmiges Gitterfenster,
hinter welchem ein Vorhang hängt, der nie wider
den Willen des Bewohners zurückgezogen wird.
Man sieht daher nur wenige dieser einsamen Un-
glücklichen. Jch sah in dem ersten Gange nur ei-
nen. Es war ein Mann in mittlern Jahren,
eine Mütze auf dem Kopf. Er war Auditeur
gewesen, und ward über einen Fehltritt melan-
cholisch. Er neigte sich auf unser Verbeugen mit
abgenommener Mütze sehr tief. Jch bückte mich
mit wahrer Ehrerbietung; war's aus Furcht oder
aus Mitleiden, oder aus Achtung gegen den noch
übrigen Theil von Menschheit in ihm.

Ueberhaupt, liebster B., regten sich bey dem
Eintritt in den erwähnten Gang, der, wie man
mir vorher gesagt hatte, lauter Verstandeskranke
beherbergte, sonderbare, vorher nie gehabte Ge-
fühle in mir. Ein -- ja ich kann es sagen --
heiliger Schauer überfiel mich. Es war mir,
als schwebte die schützende Gottheit fühlbarer über
diesen Armen. O Natur, ich verehre auch hierin
deine Weisheit! Du wolltest durch ein solches
Gefühl die Schützerin des Lebens und der Ach-
tung dieser Elenden werden; da es der Vernunft
so leicht scheint, Gründe zu geben, daß es besser

sey,

tung aus eignem Mittel etwas bezahlen koͤnnen.
Dieſe Zimmer ſind nicht groß, aber hell, ſehr
reinlich, ordentlich, und ſelten verſchloſſen. Jn
jeder Thuͤr iſt ein quadratfoͤrmiges Gitterfenſter,
hinter welchem ein Vorhang haͤngt, der nie wider
den Willen des Bewohners zuruͤckgezogen wird.
Man ſieht daher nur wenige dieſer einſamen Un-
gluͤcklichen. Jch ſah in dem erſten Gange nur ei-
nen. Es war ein Mann in mittlern Jahren,
eine Muͤtze auf dem Kopf. Er war Auditeur
geweſen, und ward uͤber einen Fehltritt melan-
choliſch. Er neigte ſich auf unſer Verbeugen mit
abgenommener Muͤtze ſehr tief. Jch buͤckte mich
mit wahrer Ehrerbietung; war's aus Furcht oder
aus Mitleiden, oder aus Achtung gegen den noch
uͤbrigen Theil von Menſchheit in ihm.

Ueberhaupt, liebſter B., regten ſich bey dem
Eintritt in den erwaͤhnten Gang, der, wie man
mir vorher geſagt hatte, lauter Verſtandeskranke
beherbergte, ſonderbare, vorher nie gehabte Ge-
fuͤhle in mir. Ein — ja ich kann es ſagen —
heiliger Schauer uͤberfiel mich. Es war mir,
als ſchwebte die ſchuͤtzende Gottheit fuͤhlbarer uͤber
dieſen Armen. O Natur, ich verehre auch hierin
deine Weisheit! Du wollteſt durch ein ſolches
Gefuͤhl die Schuͤtzerin des Lebens und der Ach-
tung dieſer Elenden werden; da es der Vernunft
ſo leicht ſcheint, Gruͤnde zu geben, daß es beſſer

ſey,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <floatingText>
            <body>
              <div type="letter">
                <p><pb facs="#f0244" n="220"/>
tung aus eignem Mittel etwas bezahlen ko&#x0364;nnen.<lb/>
Die&#x017F;e Zimmer &#x017F;ind nicht groß, aber hell, &#x017F;ehr<lb/>
reinlich, ordentlich, und &#x017F;elten ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Jn<lb/>
jeder Thu&#x0364;r i&#x017F;t ein quadratfo&#x0364;rmiges Gitterfen&#x017F;ter,<lb/>
hinter welchem ein Vorhang ha&#x0364;ngt, der nie wider<lb/>
den Willen des Bewohners zuru&#x0364;ckgezogen wird.<lb/>
Man &#x017F;ieht daher nur wenige die&#x017F;er ein&#x017F;amen Un-<lb/>
glu&#x0364;cklichen. Jch &#x017F;ah in dem er&#x017F;ten Gange nur ei-<lb/>
nen. Es war ein Mann in mittlern Jahren,<lb/>
eine Mu&#x0364;tze auf dem Kopf. Er war Auditeur<lb/>
gewe&#x017F;en, und ward u&#x0364;ber einen Fehltritt melan-<lb/>
choli&#x017F;ch. Er neigte &#x017F;ich auf un&#x017F;er Verbeugen mit<lb/>
abgenommener Mu&#x0364;tze &#x017F;ehr tief. Jch bu&#x0364;ckte mich<lb/>
mit wahrer Ehrerbietung; war's aus Furcht oder<lb/>
aus Mitleiden, oder aus Achtung gegen den noch<lb/>
u&#x0364;brigen Theil von Men&#x017F;chheit in ihm.</p><lb/>
                <p>Ueberhaupt, lieb&#x017F;ter B., regten &#x017F;ich bey dem<lb/>
Eintritt in den erwa&#x0364;hnten Gang, der, wie man<lb/>
mir vorher ge&#x017F;agt hatte, lauter Ver&#x017F;tandeskranke<lb/>
beherbergte, &#x017F;onderbare, vorher nie gehabte Ge-<lb/>
fu&#x0364;hle in mir. Ein &#x2014; ja ich kann es &#x017F;agen &#x2014;<lb/>
heiliger Schauer u&#x0364;berfiel mich. Es war mir,<lb/>
als &#x017F;chwebte die &#x017F;chu&#x0364;tzende Gottheit fu&#x0364;hlbarer u&#x0364;ber<lb/>
die&#x017F;en Armen. O Natur, ich verehre auch hierin<lb/>
deine Weisheit! Du wollte&#x017F;t durch ein &#x017F;olches<lb/><hi rendition="#b">Gefu&#x0364;hl</hi> die Schu&#x0364;tzerin des Lebens und der Ach-<lb/>
tung die&#x017F;er Elenden werden; da es der <hi rendition="#b">Vernunft</hi><lb/>
&#x017F;o leicht &#x017F;cheint, Gru&#x0364;nde zu geben, daß es be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ey,</fw><lb/></p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0244] tung aus eignem Mittel etwas bezahlen koͤnnen. Dieſe Zimmer ſind nicht groß, aber hell, ſehr reinlich, ordentlich, und ſelten verſchloſſen. Jn jeder Thuͤr iſt ein quadratfoͤrmiges Gitterfenſter, hinter welchem ein Vorhang haͤngt, der nie wider den Willen des Bewohners zuruͤckgezogen wird. Man ſieht daher nur wenige dieſer einſamen Un- gluͤcklichen. Jch ſah in dem erſten Gange nur ei- nen. Es war ein Mann in mittlern Jahren, eine Muͤtze auf dem Kopf. Er war Auditeur geweſen, und ward uͤber einen Fehltritt melan- choliſch. Er neigte ſich auf unſer Verbeugen mit abgenommener Muͤtze ſehr tief. Jch buͤckte mich mit wahrer Ehrerbietung; war's aus Furcht oder aus Mitleiden, oder aus Achtung gegen den noch uͤbrigen Theil von Menſchheit in ihm. Ueberhaupt, liebſter B., regten ſich bey dem Eintritt in den erwaͤhnten Gang, der, wie man mir vorher geſagt hatte, lauter Verſtandeskranke beherbergte, ſonderbare, vorher nie gehabte Ge- fuͤhle in mir. Ein — ja ich kann es ſagen — heiliger Schauer uͤberfiel mich. Es war mir, als ſchwebte die ſchuͤtzende Gottheit fuͤhlbarer uͤber dieſen Armen. O Natur, ich verehre auch hierin deine Weisheit! Du wollteſt durch ein ſolches Gefuͤhl die Schuͤtzerin des Lebens und der Ach- tung dieſer Elenden werden; da es der Vernunft ſo leicht ſcheint, Gruͤnde zu geben, daß es beſſer ſey,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/244
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/244>, abgerufen am 28.03.2024.