Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

reich, ihn so rasend, wie das empörte Meer:
laut singend, mit üppigem Taubenkropf, mit
Schierling, Nesseln, wilden Blumen und allem
dem Unkraut bekränzt, das in unsern Kornfeldern
wächst."
*) Mancherley läßt sein Unsinn ihn
reden; am meisten von seinen Töchtern, die ihn
verstießen -- und der Bosheit des Weiberge-
schlechts überhaupt.

Die gütige Natur sendet ihm endlich in einem
sehr langen und ruhigen Schlaf ein Heilungsmit-
tel -- und die bekümmerte Tochter geht mit zärt-
licher Sorgfalt der heilenden Natur zur Hand.
Er ist im tiefsten Schlaf der Kleider seiner Rase-
rey beraubt, und mit frischen Kleidern angethan
worden, um ihm beym Erwachen wenigstens die-
se anschauliche Erinnerung an sein Elend zu ent-
ziehn. Er wird geweckt, Kordelia tritt zu ihm,
"was macht mein königlicher Vater?" -- Noch
kann er nicht ganz zu sich selbst kommen -- Be-
wußtseyn und Verwirrung sind in seinen Reden
unter einander gemischt. Dunkle Erinnerung an
seinen vorigen Zustand -- halbe Erkennung seiner
Kordelia -- Reue -- Beschämung -- Verwun-
derung über die mit ihm vorgegangene Verände-
rung fließen in seiner Seele durcheinander.

"Jhr handelt nicht recht an mir, spricht er
beym Erwachen, daß ihr mich wieder aus dem

Grabe
*) 4. Aufz. 4. Auftr.

reich, ihn ſo raſend, wie das empoͤrte Meer:
laut ſingend, mit uͤppigem Taubenkropf, mit
Schierling, Neſſeln, wilden Blumen und allem
dem Unkraut bekraͤnzt, das in unſern Kornfeldern
waͤchſt.„
*) Mancherley laͤßt ſein Unſinn ihn
reden; am meiſten von ſeinen Toͤchtern, die ihn
verſtießen — und der Bosheit des Weiberge-
ſchlechts uͤberhaupt.

Die guͤtige Natur ſendet ihm endlich in einem
ſehr langen und ruhigen Schlaf ein Heilungsmit-
tel — und die bekuͤmmerte Tochter geht mit zaͤrt-
licher Sorgfalt der heilenden Natur zur Hand.
Er iſt im tiefſten Schlaf der Kleider ſeiner Raſe-
rey beraubt, und mit friſchen Kleidern angethan
worden, um ihm beym Erwachen wenigſtens die-
ſe anſchauliche Erinnerung an ſein Elend zu ent-
ziehn. Er wird geweckt, Kordelia tritt zu ihm,
„was macht mein koͤniglicher Vater?„ — Noch
kann er nicht ganz zu ſich ſelbſt kommen — Be-
wußtſeyn und Verwirrung ſind in ſeinen Reden
unter einander gemiſcht. Dunkle Erinnerung an
ſeinen vorigen Zuſtand — halbe Erkennung ſeiner
Kordelia — Reue — Beſchaͤmung — Verwun-
derung uͤber die mit ihm vorgegangene Veraͤnde-
rung fließen in ſeiner Seele durcheinander.

„Jhr handelt nicht recht an mir, ſpricht er
beym Erwachen, daß ihr mich wieder aus dem

Grabe
*) 4. Aufz. 4. Auftr.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><cit><quote><pb facs="#f0230" n="206"/>
reich, ihn &#x017F;o ra&#x017F;end, wie das empo&#x0364;rte Meer:<lb/>
laut &#x017F;ingend, mit u&#x0364;ppigem Taubenkropf, mit<lb/>
Schierling, Ne&#x017F;&#x017F;eln, wilden Blumen und allem<lb/>
dem Unkraut bekra&#x0364;nzt, das in un&#x017F;ern Kornfeldern<lb/>
wa&#x0364;ch&#x017F;t.&#x201E;</quote></cit><note place="foot" n="*)">4. Aufz. 4. Auftr.</note> Mancherley la&#x0364;ßt &#x017F;ein Un&#x017F;inn ihn<lb/>
reden; am mei&#x017F;ten von &#x017F;einen To&#x0364;chtern, die ihn<lb/>
ver&#x017F;tießen &#x2014; und der Bosheit des Weiberge-<lb/>
&#x017F;chlechts u&#x0364;berhaupt.</p><lb/>
          <p>Die gu&#x0364;tige Natur &#x017F;endet ihm endlich in einem<lb/>
&#x017F;ehr langen und ruhigen Schlaf ein Heilungsmit-<lb/>
tel &#x2014; und die beku&#x0364;mmerte Tochter geht mit za&#x0364;rt-<lb/>
licher Sorgfalt der heilenden Natur zur Hand.<lb/>
Er i&#x017F;t im tief&#x017F;ten Schlaf der Kleider &#x017F;einer Ra&#x017F;e-<lb/>
rey beraubt, und mit fri&#x017F;chen Kleidern angethan<lb/>
worden, um ihm beym Erwachen wenig&#x017F;tens die-<lb/>
&#x017F;e <hi rendition="#b">an&#x017F;chauliche</hi> Erinnerung an &#x017F;ein Elend zu ent-<lb/>
ziehn. Er wird geweckt, Kordelia tritt zu ihm,<lb/>
&#x201E;was macht mein ko&#x0364;niglicher Vater?&#x201E; &#x2014; Noch<lb/>
kann er nicht ganz zu &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t kommen &#x2014; Be-<lb/>
wußt&#x017F;eyn und Verwirrung &#x017F;ind in &#x017F;einen Reden<lb/>
unter einander gemi&#x017F;cht. Dunkle Erinnerung an<lb/>
&#x017F;einen vorigen Zu&#x017F;tand &#x2014; halbe Erkennung &#x017F;einer<lb/>
Kordelia &#x2014; Reue &#x2014; Be&#x017F;cha&#x0364;mung &#x2014; Verwun-<lb/>
derung u&#x0364;ber die mit ihm vorgegangene Vera&#x0364;nde-<lb/>
rung fließen in &#x017F;einer Seele durcheinander.</p><lb/>
          <p>
            <cit>
              <quote>&#x201E;Jhr handelt nicht recht an mir, &#x017F;pricht er<lb/>
beym Erwachen, daß ihr mich wieder aus dem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Grabe</fw><lb/></quote>
            </cit>
          </p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0230] reich, ihn ſo raſend, wie das empoͤrte Meer: laut ſingend, mit uͤppigem Taubenkropf, mit Schierling, Neſſeln, wilden Blumen und allem dem Unkraut bekraͤnzt, das in unſern Kornfeldern waͤchſt.„ *) Mancherley laͤßt ſein Unſinn ihn reden; am meiſten von ſeinen Toͤchtern, die ihn verſtießen — und der Bosheit des Weiberge- ſchlechts uͤberhaupt. Die guͤtige Natur ſendet ihm endlich in einem ſehr langen und ruhigen Schlaf ein Heilungsmit- tel — und die bekuͤmmerte Tochter geht mit zaͤrt- licher Sorgfalt der heilenden Natur zur Hand. Er iſt im tiefſten Schlaf der Kleider ſeiner Raſe- rey beraubt, und mit friſchen Kleidern angethan worden, um ihm beym Erwachen wenigſtens die- ſe anſchauliche Erinnerung an ſein Elend zu ent- ziehn. Er wird geweckt, Kordelia tritt zu ihm, „was macht mein koͤniglicher Vater?„ — Noch kann er nicht ganz zu ſich ſelbſt kommen — Be- wußtſeyn und Verwirrung ſind in ſeinen Reden unter einander gemiſcht. Dunkle Erinnerung an ſeinen vorigen Zuſtand — halbe Erkennung ſeiner Kordelia — Reue — Beſchaͤmung — Verwun- derung uͤber die mit ihm vorgegangene Veraͤnde- rung fließen in ſeiner Seele durcheinander. „Jhr handelt nicht recht an mir, ſpricht er beym Erwachen, daß ihr mich wieder aus dem Grabe *) 4. Aufz. 4. Auftr.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/230
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/230>, abgerufen am 20.04.2024.