Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

sie, aus keinem so alten Buche. Die alten Bü-
cher kenne ich schon; sie taugen nichts. Wenn
Sie kein neues haben, so beten Sie aus sich selber,
ja, aus sich selber beten Sie, daß mir die Seele
wieder in den Leib fahre, und daß der Mörder
meine Kinder nicht umbringe, oder daß nur die
Seele dieser armen Schäfgen errettet werde. --
Jch betete aus mir selber, und eben für das, was
sie wollte. Sie war still, sah mich starr an.
Jch merkte während dem Gebete, daß ichs nicht
uneben nach ihrem Sinne traf. Am Ende betete
sie mir freywillig das Unser Vater nach. --
Noch eins, sagte sie itzt ganz gelassen, wenn Sie
mir doch die schrecklichen Gestalten vor den Augen
wegnehmen könnten. Jmmer seh ich meine Kin-
der auf dem Bette vor mir, das eine todt, das
andere hängt mir blutig am Halse, ein andres ist
zerfetzt, das vierte ruft und schreyt nach mir, --
und dann untersuchen Sie auch die Zettelchen, die
ich bey mir habe, ein rothes und ein schwarzes.
Das rothe hat mir ein Eingel vom Himmel ge-
bracht; ich selber habe das schwarze geschrieben. --
Jch versprach alles zu untersuchen und eifrig für
sie zu beten. Beym Weggehen sagte mir die
Wärterin, man dürfe ihres Mannes nicht er-
wähnen, sie gerathe sogleich in Wuth. Die
Wärterin zeigte mir das schwarze Zettelchen, (ein
rothes hatte sie nicht bey ihr gefunden,) auf dem-

selben

ſie, aus keinem ſo alten Buche. Die alten Buͤ-
cher kenne ich ſchon; ſie taugen nichts. Wenn
Sie kein neues haben, ſo beten Sie aus ſich ſelber,
ja, aus ſich ſelber beten Sie, daß mir die Seele
wieder in den Leib fahre, und daß der Moͤrder
meine Kinder nicht umbringe, oder daß nur die
Seele dieſer armen Schaͤfgen errettet werde. —
Jch betete aus mir ſelber, und eben fuͤr das, was
ſie wollte. Sie war ſtill, ſah mich ſtarr an.
Jch merkte waͤhrend dem Gebete, daß ichs nicht
uneben nach ihrem Sinne traf. Am Ende betete
ſie mir freywillig das Unſer Vater nach. —
Noch eins, ſagte ſie itzt ganz gelaſſen, wenn Sie
mir doch die ſchrecklichen Geſtalten vor den Augen
wegnehmen koͤnnten. Jmmer ſeh ich meine Kin-
der auf dem Bette vor mir, das eine todt, das
andere haͤngt mir blutig am Halſe, ein andres iſt
zerfetzt, das vierte ruft und ſchreyt nach mir, —
und dann unterſuchen Sie auch die Zettelchen, die
ich bey mir habe, ein rothes und ein ſchwarzes.
Das rothe hat mir ein Eingel vom Himmel ge-
bracht; ich ſelber habe das ſchwarze geſchrieben. —
Jch verſprach alles zu unterſuchen und eifrig fuͤr
ſie zu beten. Beym Weggehen ſagte mir die
Waͤrterin, man duͤrfe ihres Mannes nicht er-
waͤhnen, ſie gerathe ſogleich in Wuth. Die
Waͤrterin zeigte mir das ſchwarze Zettelchen, (ein
rothes hatte ſie nicht bey ihr gefunden,) auf dem-

ſelben
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0214" n="190"/>
&#x017F;ie, aus keinem &#x017F;o alten Buche. Die alten Bu&#x0364;-<lb/>
cher kenne ich &#x017F;chon; &#x017F;ie taugen nichts. Wenn<lb/>
Sie kein neues haben, &#x017F;o beten Sie aus &#x017F;ich &#x017F;elber,<lb/>
ja, aus &#x017F;ich &#x017F;elber beten Sie, daß mir die Seele<lb/>
wieder in den Leib fahre, und daß der Mo&#x0364;rder<lb/>
meine Kinder nicht umbringe, oder daß nur die<lb/>
Seele die&#x017F;er armen Scha&#x0364;fgen errettet werde. &#x2014;<lb/>
Jch betete aus mir &#x017F;elber, und eben fu&#x0364;r das, was<lb/>
&#x017F;ie wollte. Sie war &#x017F;till, &#x017F;ah mich &#x017F;tarr an.<lb/>
Jch merkte wa&#x0364;hrend dem Gebete, daß ichs nicht<lb/>
uneben nach ihrem Sinne traf. Am Ende betete<lb/>
&#x017F;ie mir freywillig das Un&#x017F;er Vater nach. &#x2014;<lb/>
Noch eins, &#x017F;agte &#x017F;ie itzt ganz gela&#x017F;&#x017F;en, wenn Sie<lb/>
mir doch die &#x017F;chrecklichen Ge&#x017F;talten vor den Augen<lb/>
wegnehmen ko&#x0364;nnten. Jmmer &#x017F;eh ich meine Kin-<lb/>
der auf dem Bette vor mir, das eine todt, das<lb/>
andere ha&#x0364;ngt mir blutig am Hal&#x017F;e, ein andres i&#x017F;t<lb/>
zerfetzt, das vierte ruft und &#x017F;chreyt nach mir, &#x2014;<lb/>
und dann unter&#x017F;uchen Sie auch die Zettelchen, die<lb/>
ich bey mir habe, ein rothes und ein &#x017F;chwarzes.<lb/>
Das rothe hat mir ein Eingel vom Himmel ge-<lb/>
bracht; ich &#x017F;elber habe das &#x017F;chwarze ge&#x017F;chrieben. &#x2014;<lb/>
Jch ver&#x017F;prach alles zu unter&#x017F;uchen und eifrig fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;ie zu beten. Beym Weggehen &#x017F;agte mir die<lb/>
Wa&#x0364;rterin, man du&#x0364;rfe ihres Mannes nicht er-<lb/>
wa&#x0364;hnen, &#x017F;ie gerathe &#x017F;ogleich in Wuth. Die<lb/>
Wa&#x0364;rterin zeigte mir das &#x017F;chwarze Zettelchen, (ein<lb/>
rothes hatte &#x017F;ie nicht bey ihr gefunden,) auf dem-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;elben</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0214] ſie, aus keinem ſo alten Buche. Die alten Buͤ- cher kenne ich ſchon; ſie taugen nichts. Wenn Sie kein neues haben, ſo beten Sie aus ſich ſelber, ja, aus ſich ſelber beten Sie, daß mir die Seele wieder in den Leib fahre, und daß der Moͤrder meine Kinder nicht umbringe, oder daß nur die Seele dieſer armen Schaͤfgen errettet werde. — Jch betete aus mir ſelber, und eben fuͤr das, was ſie wollte. Sie war ſtill, ſah mich ſtarr an. Jch merkte waͤhrend dem Gebete, daß ichs nicht uneben nach ihrem Sinne traf. Am Ende betete ſie mir freywillig das Unſer Vater nach. — Noch eins, ſagte ſie itzt ganz gelaſſen, wenn Sie mir doch die ſchrecklichen Geſtalten vor den Augen wegnehmen koͤnnten. Jmmer ſeh ich meine Kin- der auf dem Bette vor mir, das eine todt, das andere haͤngt mir blutig am Halſe, ein andres iſt zerfetzt, das vierte ruft und ſchreyt nach mir, — und dann unterſuchen Sie auch die Zettelchen, die ich bey mir habe, ein rothes und ein ſchwarzes. Das rothe hat mir ein Eingel vom Himmel ge- bracht; ich ſelber habe das ſchwarze geſchrieben. — Jch verſprach alles zu unterſuchen und eifrig fuͤr ſie zu beten. Beym Weggehen ſagte mir die Waͤrterin, man duͤrfe ihres Mannes nicht er- waͤhnen, ſie gerathe ſogleich in Wuth. Die Waͤrterin zeigte mir das ſchwarze Zettelchen, (ein rothes hatte ſie nicht bey ihr gefunden,) auf dem- ſelben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/214
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/214>, abgerufen am 23.04.2024.