Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

sich giebt, und also seinen Forderungen und Er-
wartungen gar nicht entsprechen. Die häufigen
Kränkungen seiner, wenn gleich chimärischen, doch
von ihm empfundenen Würde verbittern ihm das
Leben in der wirklichen Welt; und endlich zerstört
sein verzweifelnder Hochmuth Sinne und Ver-
stand, weil er diese, die ihm so häufige Einsprüche
thun, für seine bittersten Feinde hält. Mit Be-
dauren und innigem Mitleid denk' ich hiebey an ei-
ne Person aus meiner zweyten Vaterstadt, welche
itzt in Berlin ihre Wohnung im Hause der Ver-
rückten hat. Ein ausschweifender Hochmuth,
der sie besonders in Rücksicht der Schönheit über
alle andre ihres Geschlechts erheben wollte, flößte
ihr den Wahn ein, daß hohe und große Männer
sich um ihren Besitz drängen würden. Der
Wahn betrog sie, wie leicht zu vermuthen, und
ihr Verstand wurde das Opfer seiner Erbitterung.
Jtzt lebt sie in dem Hause des Elends, und wähnt,
eine Fürstin geworden zu seyn, und Könige und
Prinzen in ihren Fesseln zu führen -- und ist zu-
frieden, weil ihr Verstand nicht mehr widerspre-
chen kann.

Herr Meister erzählt in dem zweyten Theil
seiner Vorlesung über die Schwärmerey, aus
den Papieren der schon oben genannten ascetischen
Gesellschaft in Zürich, die Geschichte eines Wei-
bes, welches, aus Erbitterung gegen ihren Schmerz

über

ſich giebt, und alſo ſeinen Forderungen und Er-
wartungen gar nicht entſprechen. Die haͤufigen
Kraͤnkungen ſeiner, wenn gleich chimaͤriſchen, doch
von ihm empfundenen Wuͤrde verbittern ihm das
Leben in der wirklichen Welt; und endlich zerſtoͤrt
ſein verzweifelnder Hochmuth Sinne und Ver-
ſtand, weil er dieſe, die ihm ſo haͤufige Einſpruͤche
thun, fuͤr ſeine bitterſten Feinde haͤlt. Mit Be-
dauren und innigem Mitleid denk' ich hiebey an ei-
ne Perſon aus meiner zweyten Vaterſtadt, welche
itzt in Berlin ihre Wohnung im Hauſe der Ver-
ruͤckten hat. Ein ausſchweifender Hochmuth,
der ſie beſonders in Ruͤckſicht der Schoͤnheit uͤber
alle andre ihres Geſchlechts erheben wollte, floͤßte
ihr den Wahn ein, daß hohe und große Maͤnner
ſich um ihren Beſitz draͤngen wuͤrden. Der
Wahn betrog ſie, wie leicht zu vermuthen, und
ihr Verſtand wurde das Opfer ſeiner Erbitterung.
Jtzt lebt ſie in dem Hauſe des Elends, und waͤhnt,
eine Fuͤrſtin geworden zu ſeyn, und Koͤnige und
Prinzen in ihren Feſſeln zu fuͤhren — und iſt zu-
frieden, weil ihr Verſtand nicht mehr widerſpre-
chen kann.

Herr Meiſter erzaͤhlt in dem zweyten Theil
ſeiner Vorleſung uͤber die Schwaͤrmerey, aus
den Papieren der ſchon oben genannten aſcetiſchen
Geſellſchaft in Zuͤrich, die Geſchichte eines Wei-
bes, welches, aus Erbitterung gegen ihren Schmerz

uͤber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0212" n="188"/>
&#x017F;ich giebt, und al&#x017F;o &#x017F;einen Forderungen und Er-<lb/>
wartungen gar nicht ent&#x017F;prechen. Die ha&#x0364;ufigen<lb/>
Kra&#x0364;nkungen &#x017F;einer, wenn gleich chima&#x0364;ri&#x017F;chen, doch<lb/>
von ihm empfundenen Wu&#x0364;rde verbittern ihm das<lb/>
Leben in der wirklichen Welt; und endlich zer&#x017F;to&#x0364;rt<lb/>
&#x017F;ein verzweifelnder Hochmuth Sinne und Ver-<lb/>
&#x017F;tand, weil er die&#x017F;e, die ihm &#x017F;o ha&#x0364;ufige Ein&#x017F;pru&#x0364;che<lb/>
thun, fu&#x0364;r &#x017F;eine bitter&#x017F;ten Feinde ha&#x0364;lt. Mit Be-<lb/>
dauren und innigem Mitleid denk' ich hiebey an ei-<lb/>
ne Per&#x017F;on aus meiner zweyten Vater&#x017F;tadt, welche<lb/>
itzt in Berlin ihre Wohnung im Hau&#x017F;e der Ver-<lb/>
ru&#x0364;ckten hat. Ein aus&#x017F;chweifender Hochmuth,<lb/>
der &#x017F;ie be&#x017F;onders in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht der Scho&#x0364;nheit u&#x0364;ber<lb/>
alle andre ihres Ge&#x017F;chlechts erheben wollte, flo&#x0364;ßte<lb/>
ihr den Wahn ein, daß hohe und große Ma&#x0364;nner<lb/>
&#x017F;ich um ihren Be&#x017F;itz dra&#x0364;ngen wu&#x0364;rden. Der<lb/>
Wahn betrog &#x017F;ie, wie leicht zu vermuthen, und<lb/>
ihr Ver&#x017F;tand wurde das Opfer &#x017F;einer Erbitterung.<lb/>
Jtzt lebt &#x017F;ie in dem Hau&#x017F;e des Elends, und wa&#x0364;hnt,<lb/>
eine Fu&#x0364;r&#x017F;tin geworden zu &#x017F;eyn, und Ko&#x0364;nige und<lb/>
Prinzen in ihren Fe&#x017F;&#x017F;eln zu fu&#x0364;hren &#x2014; und i&#x017F;t zu-<lb/>
frieden, weil ihr Ver&#x017F;tand nicht mehr wider&#x017F;pre-<lb/>
chen kann.</p><lb/>
          <p>Herr Mei&#x017F;ter erza&#x0364;hlt in dem zweyten Theil<lb/>
&#x017F;einer Vorle&#x017F;ung u&#x0364;ber die Schwa&#x0364;rmerey, aus<lb/>
den Papieren der &#x017F;chon oben genannten a&#x017F;ceti&#x017F;chen<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft in Zu&#x0364;rich, die Ge&#x017F;chichte eines Wei-<lb/>
bes, welches, aus Erbitterung gegen ihren Schmerz<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">u&#x0364;ber</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0212] ſich giebt, und alſo ſeinen Forderungen und Er- wartungen gar nicht entſprechen. Die haͤufigen Kraͤnkungen ſeiner, wenn gleich chimaͤriſchen, doch von ihm empfundenen Wuͤrde verbittern ihm das Leben in der wirklichen Welt; und endlich zerſtoͤrt ſein verzweifelnder Hochmuth Sinne und Ver- ſtand, weil er dieſe, die ihm ſo haͤufige Einſpruͤche thun, fuͤr ſeine bitterſten Feinde haͤlt. Mit Be- dauren und innigem Mitleid denk' ich hiebey an ei- ne Perſon aus meiner zweyten Vaterſtadt, welche itzt in Berlin ihre Wohnung im Hauſe der Ver- ruͤckten hat. Ein ausſchweifender Hochmuth, der ſie beſonders in Ruͤckſicht der Schoͤnheit uͤber alle andre ihres Geſchlechts erheben wollte, floͤßte ihr den Wahn ein, daß hohe und große Maͤnner ſich um ihren Beſitz draͤngen wuͤrden. Der Wahn betrog ſie, wie leicht zu vermuthen, und ihr Verſtand wurde das Opfer ſeiner Erbitterung. Jtzt lebt ſie in dem Hauſe des Elends, und waͤhnt, eine Fuͤrſtin geworden zu ſeyn, und Koͤnige und Prinzen in ihren Feſſeln zu fuͤhren — und iſt zu- frieden, weil ihr Verſtand nicht mehr widerſpre- chen kann. Herr Meiſter erzaͤhlt in dem zweyten Theil ſeiner Vorleſung uͤber die Schwaͤrmerey, aus den Papieren der ſchon oben genannten aſcetiſchen Geſellſchaft in Zuͤrich, die Geſchichte eines Wei- bes, welches, aus Erbitterung gegen ihren Schmerz uͤber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/212
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/212>, abgerufen am 28.03.2024.