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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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sie lobte. Tasso darüber entzückt und verrückt,
fiel ihr um den Hals, und küßte sie; mußte aber
natürlich seinen Kuß mit dem Kerker büßen.
Spinello hatte den Teufel gemahlt, und zwar mit
den fürchterlichsten Farben, die er erfinden konn-
te. Dies Bild hatte sich, weil seine Phantasie
sich viel damit beschäftigte, so fest eingeprägt, daß
er zuletzt glaubte, der Teufel stände ihm immer
zur Seite, und mache ihm Vorwürfe, daß er
ihn so scheuslich gemahlt habe.

Nichts kann indessen leichter die Gesundheit
des Verstandes und aller Seelenkräfte zerrütten,
und zur Verrücktheit führen, als heftige Leiden-
schaften und Affekten
, welche die Vernunft
mit stürmischer Gewalt morden, und, gleich un-
bändigen Pferden, den Menschen ohne Ziel und
Ordnung mit sich fortreißen. Kein Gedanke
darf aufstehen, der nicht zu ihnen gehört, oder
die Farbe ihrer Faction trägt. Sie machen Un-
möglichkeiten nicht blos möglich, sondern wirklich,
und versengen und verbrennen durch ihr nicht zu
löschendes Feuer jede wahre Empfindung, um
für ihre täuschungsvollen Gefühle Feld zu gewin-
nen. Sie zerrütten den Gefährten der Seele,
den Körper, durch die unaufhörlichen Tumulte,
welche sie in seinem Jnnern erregen, und vergif-
ten die Quellen seiner Erhaltung und Nahrung.

Tissot,
M 5

ſie lobte. Taſſo daruͤber entzuͤckt und verruͤckt,
fiel ihr um den Hals, und kuͤßte ſie; mußte aber
natuͤrlich ſeinen Kuß mit dem Kerker buͤßen.
Spinello hatte den Teufel gemahlt, und zwar mit
den fuͤrchterlichſten Farben, die er erfinden konn-
te. Dies Bild hatte ſich, weil ſeine Phantaſie
ſich viel damit beſchaͤftigte, ſo feſt eingepraͤgt, daß
er zuletzt glaubte, der Teufel ſtaͤnde ihm immer
zur Seite, und mache ihm Vorwuͤrfe, daß er
ihn ſo ſcheuslich gemahlt habe.

Nichts kann indeſſen leichter die Geſundheit
des Verſtandes und aller Seelenkraͤfte zerruͤtten,
und zur Verruͤcktheit fuͤhren, als heftige Leiden-
ſchaften und Affekten
, welche die Vernunft
mit ſtuͤrmiſcher Gewalt morden, und, gleich un-
baͤndigen Pferden, den Menſchen ohne Ziel und
Ordnung mit ſich fortreißen. Kein Gedanke
darf aufſtehen, der nicht zu ihnen gehoͤrt, oder
die Farbe ihrer Faction traͤgt. Sie machen Un-
moͤglichkeiten nicht blos moͤglich, ſondern wirklich,
und verſengen und verbrennen durch ihr nicht zu
loͤſchendes Feuer jede wahre Empfindung, um
fuͤr ihre taͤuſchungsvollen Gefuͤhle Feld zu gewin-
nen. Sie zerruͤtten den Gefaͤhrten der Seele,
den Koͤrper, durch die unaufhoͤrlichen Tumulte,
welche ſie in ſeinem Jnnern erregen, und vergif-
ten die Quellen ſeiner Erhaltung und Nahrung.

Tiſſot,
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[185/0209] ſie lobte. Taſſo daruͤber entzuͤckt und verruͤckt, fiel ihr um den Hals, und kuͤßte ſie; mußte aber natuͤrlich ſeinen Kuß mit dem Kerker buͤßen. Spinello hatte den Teufel gemahlt, und zwar mit den fuͤrchterlichſten Farben, die er erfinden konn- te. Dies Bild hatte ſich, weil ſeine Phantaſie ſich viel damit beſchaͤftigte, ſo feſt eingepraͤgt, daß er zuletzt glaubte, der Teufel ſtaͤnde ihm immer zur Seite, und mache ihm Vorwuͤrfe, daß er ihn ſo ſcheuslich gemahlt habe. Nichts kann indeſſen leichter die Geſundheit des Verſtandes und aller Seelenkraͤfte zerruͤtten, und zur Verruͤcktheit fuͤhren, als heftige Leiden- ſchaften und Affekten, welche die Vernunft mit ſtuͤrmiſcher Gewalt morden, und, gleich un- baͤndigen Pferden, den Menſchen ohne Ziel und Ordnung mit ſich fortreißen. Kein Gedanke darf aufſtehen, der nicht zu ihnen gehoͤrt, oder die Farbe ihrer Faction traͤgt. Sie machen Un- moͤglichkeiten nicht blos moͤglich, ſondern wirklich, und verſengen und verbrennen durch ihr nicht zu loͤſchendes Feuer jede wahre Empfindung, um fuͤr ihre taͤuſchungsvollen Gefuͤhle Feld zu gewin- nen. Sie zerruͤtten den Gefaͤhrten der Seele, den Koͤrper, durch die unaufhoͤrlichen Tumulte, welche ſie in ſeinem Jnnern erregen, und vergif- ten die Quellen ſeiner Erhaltung und Nahrung. Tiſſot, M 5

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/209>, abgerufen am 19.04.2024.