verzehrte. -- So kann der Mensch, der Schö- pfung Meisterstück -- ihr Scheusal werden. Und doch versetzen sich wohl gar die Menschen selbst in einen solchen Zustand! -- Denn wo- durch unterscheidet sich der Trunkne von dem Wahnsinnigen, als dadurch, daß er die freywilli- ge Ursache seines Wahnsinns ist, und kürzere Zeit in diesem Zustande sich befindet. Sonst aber sind die Aeußerungen desselben denen der andern Wahnsinnigen gleich. Er wüthet und tobt, und die erhitzte und verwirrte Phantasie gaukelt ihm falsche Empfindungen vor. So erzählt Herr Tiedemann in seinen Untersuchungen über den Menschen von einem Trunkenen, welcher bey Nacht über eine vom Mondenschein erhellte Stra- ße ging, dieselbe für einen Fluß hielt, sich aus- kleidete, und sich niederlegte, um sich zu baden; bis ihn endlich die Kälte und Härte der Steine von ihrer nicht flüßigen Natur überzeugte.
So wie den Wahnsinnigen seine Sinne be- trügen, so betrügt den Wahnwitzigen sein Ver- stand. Die Verrücktheit leitet denselben in Laby- rinthe von Vorstellungen, wo sich keine Ordnung, kein Zusammenhang findet, und sein Auge ist zu schwach, um den Faden zu sehen, der ihn aus denselben den Weg zeigen könnte. Traurige Vor- stellungen sind ihm ein Vorwurf des Lachens und
Nichts-
verzehrte. — So kann der Menſch, der Schoͤ- pfung Meiſterſtuͤck — ihr Scheuſal werden. Und doch verſetzen ſich wohl gar die Menſchen ſelbſt in einen ſolchen Zuſtand! — Denn wo- durch unterſcheidet ſich der Trunkne von dem Wahnſinnigen, als dadurch, daß er die freywilli- ge Urſache ſeines Wahnſinns iſt, und kuͤrzere Zeit in dieſem Zuſtande ſich befindet. Sonſt aber ſind die Aeußerungen deſſelben denen der andern Wahnſinnigen gleich. Er wuͤthet und tobt, und die erhitzte und verwirrte Phantaſie gaukelt ihm falſche Empfindungen vor. So erzaͤhlt Herr Tiedemann in ſeinen Unterſuchungen uͤber den Menſchen von einem Trunkenen, welcher bey Nacht uͤber eine vom Mondenſchein erhellte Stra- ße ging, dieſelbe fuͤr einen Fluß hielt, ſich aus- kleidete, und ſich niederlegte, um ſich zu baden; bis ihn endlich die Kaͤlte und Haͤrte der Steine von ihrer nicht fluͤßigen Natur uͤberzeugte.
So wie den Wahnſinnigen ſeine Sinne be- truͤgen, ſo betruͤgt den Wahnwitzigen ſein Ver- ſtand. Die Verruͤcktheit leitet denſelben in Laby- rinthe von Vorſtellungen, wo ſich keine Ordnung, kein Zuſammenhang findet, und ſein Auge iſt zu ſchwach, um den Faden zu ſehen, der ihn aus denſelben den Weg zeigen koͤnnte. Traurige Vor- ſtellungen ſind ihm ein Vorwurf des Lachens und
Nichts-
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verzehrte. — So kann der Menſch, der Schoͤ-
pfung Meiſterſtuͤck — ihr Scheuſal werden.
Und doch verſetzen ſich wohl gar die Menſchen
ſelbſt in einen ſolchen Zuſtand! — Denn wo-
durch unterſcheidet ſich der Trunkne von dem
Wahnſinnigen, als dadurch, daß er die freywilli-
ge Urſache ſeines Wahnſinns iſt, und kuͤrzere
Zeit in dieſem Zuſtande ſich befindet. Sonſt aber
ſind die Aeußerungen deſſelben denen der andern
Wahnſinnigen gleich. Er wuͤthet und tobt, und
die erhitzte und verwirrte Phantaſie gaukelt ihm
falſche Empfindungen vor. So erzaͤhlt Herr
Tiedemann in ſeinen Unterſuchungen uͤber den
Menſchen von einem Trunkenen, welcher bey
Nacht uͤber eine vom Mondenſchein erhellte Stra-
ße ging, dieſelbe fuͤr einen Fluß hielt, ſich aus-
kleidete, und ſich niederlegte, um ſich zu baden;
bis ihn endlich die Kaͤlte und Haͤrte der Steine
von ihrer nicht fluͤßigen Natur uͤberzeugte.
So wie den Wahnſinnigen ſeine Sinne be-
truͤgen, ſo betruͤgt den Wahnwitzigen ſein Ver-
ſtand. Die Verruͤcktheit leitet denſelben in Laby-
rinthe von Vorſtellungen, wo ſich keine Ordnung,
kein Zuſammenhang findet, und ſein Auge iſt zu
ſchwach, um den Faden zu ſehen, der ihn aus
denſelben den Weg zeigen koͤnnte. Traurige Vor-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/198>, abgerufen am 20.04.2024.
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