Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

verzehrte. -- So kann der Mensch, der Schö-
pfung Meisterstück -- ihr Scheusal werden.
Und doch versetzen sich wohl gar die Menschen
selbst in einen solchen Zustand! -- Denn wo-
durch unterscheidet sich der Trunkne von dem
Wahnsinnigen, als dadurch, daß er die freywilli-
ge Ursache seines Wahnsinns ist, und kürzere
Zeit in diesem Zustande sich befindet. Sonst aber
sind die Aeußerungen desselben denen der andern
Wahnsinnigen gleich. Er wüthet und tobt, und
die erhitzte und verwirrte Phantasie gaukelt ihm
falsche Empfindungen vor. So erzählt Herr
Tiedemann in seinen Untersuchungen über den
Menschen
von einem Trunkenen, welcher bey
Nacht über eine vom Mondenschein erhellte Stra-
ße ging, dieselbe für einen Fluß hielt, sich aus-
kleidete, und sich niederlegte, um sich zu baden;
bis ihn endlich die Kälte und Härte der Steine
von ihrer nicht flüßigen Natur überzeugte.

So wie den Wahnsinnigen seine Sinne be-
trügen, so betrügt den Wahnwitzigen sein Ver-
stand. Die Verrücktheit leitet denselben in Laby-
rinthe von Vorstellungen, wo sich keine Ordnung,
kein Zusammenhang findet, und sein Auge ist zu
schwach, um den Faden zu sehen, der ihn aus
denselben den Weg zeigen könnte. Traurige Vor-
stellungen sind ihm ein Vorwurf des Lachens und

Nichts-

verzehrte. — So kann der Menſch, der Schoͤ-
pfung Meiſterſtuͤck — ihr Scheuſal werden.
Und doch verſetzen ſich wohl gar die Menſchen
ſelbſt in einen ſolchen Zuſtand! — Denn wo-
durch unterſcheidet ſich der Trunkne von dem
Wahnſinnigen, als dadurch, daß er die freywilli-
ge Urſache ſeines Wahnſinns iſt, und kuͤrzere
Zeit in dieſem Zuſtande ſich befindet. Sonſt aber
ſind die Aeußerungen deſſelben denen der andern
Wahnſinnigen gleich. Er wuͤthet und tobt, und
die erhitzte und verwirrte Phantaſie gaukelt ihm
falſche Empfindungen vor. So erzaͤhlt Herr
Tiedemann in ſeinen Unterſuchungen uͤber den
Menſchen
von einem Trunkenen, welcher bey
Nacht uͤber eine vom Mondenſchein erhellte Stra-
ße ging, dieſelbe fuͤr einen Fluß hielt, ſich aus-
kleidete, und ſich niederlegte, um ſich zu baden;
bis ihn endlich die Kaͤlte und Haͤrte der Steine
von ihrer nicht fluͤßigen Natur uͤberzeugte.

So wie den Wahnſinnigen ſeine Sinne be-
truͤgen, ſo betruͤgt den Wahnwitzigen ſein Ver-
ſtand. Die Verruͤcktheit leitet denſelben in Laby-
rinthe von Vorſtellungen, wo ſich keine Ordnung,
kein Zuſammenhang findet, und ſein Auge iſt zu
ſchwach, um den Faden zu ſehen, der ihn aus
denſelben den Weg zeigen koͤnnte. Traurige Vor-
ſtellungen ſind ihm ein Vorwurf des Lachens und

Nichts-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0198" n="174"/>
verzehrte. &#x2014; So kann der Men&#x017F;ch, der Scho&#x0364;-<lb/>
pfung Mei&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;ck &#x2014; ihr Scheu&#x017F;al werden.<lb/>
Und doch ver&#x017F;etzen &#x017F;ich wohl gar die Men&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t in einen &#x017F;olchen Zu&#x017F;tand! &#x2014; Denn wo-<lb/>
durch unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich der <hi rendition="#b">Trunkne</hi> von dem<lb/>
Wahn&#x017F;innigen, als dadurch, daß er die freywilli-<lb/>
ge Ur&#x017F;ache &#x017F;eines Wahn&#x017F;inns i&#x017F;t, und ku&#x0364;rzere<lb/>
Zeit in die&#x017F;em Zu&#x017F;tande &#x017F;ich befindet. Son&#x017F;t aber<lb/>
&#x017F;ind die Aeußerungen de&#x017F;&#x017F;elben denen der andern<lb/>
Wahn&#x017F;innigen gleich. Er wu&#x0364;thet und tobt, und<lb/>
die erhitzte und verwirrte Phanta&#x017F;ie gaukelt ihm<lb/>
fal&#x017F;che Empfindungen vor. So erza&#x0364;hlt Herr<lb/><hi rendition="#b">Tiedemann</hi> in &#x017F;einen <hi rendition="#b">Unter&#x017F;uchungen u&#x0364;ber den<lb/>
Men&#x017F;chen</hi> von einem Trunkenen, welcher bey<lb/>
Nacht u&#x0364;ber eine vom Monden&#x017F;chein erhellte Stra-<lb/>
ße ging, die&#x017F;elbe fu&#x0364;r einen Fluß hielt, &#x017F;ich aus-<lb/>
kleidete, und &#x017F;ich niederlegte, um &#x017F;ich zu baden;<lb/>
bis ihn endlich die Ka&#x0364;lte und Ha&#x0364;rte der Steine<lb/>
von ihrer nicht flu&#x0364;ßigen Natur u&#x0364;berzeugte.</p><lb/>
          <p>So wie den <hi rendition="#b">Wahn&#x017F;innigen</hi> &#x017F;eine Sinne be-<lb/>
tru&#x0364;gen, &#x017F;o betru&#x0364;gt den <hi rendition="#b">Wahnwitzigen</hi> &#x017F;ein Ver-<lb/>
&#x017F;tand. Die Verru&#x0364;cktheit leitet den&#x017F;elben in Laby-<lb/>
rinthe von Vor&#x017F;tellungen, wo &#x017F;ich keine Ordnung,<lb/>
kein Zu&#x017F;ammenhang findet, und &#x017F;ein Auge i&#x017F;t zu<lb/>
&#x017F;chwach, um den Faden zu &#x017F;ehen, der ihn aus<lb/>
den&#x017F;elben den Weg zeigen ko&#x0364;nnte. Traurige Vor-<lb/>
&#x017F;tellungen &#x017F;ind ihm ein Vorwurf des Lachens und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Nichts-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0198] verzehrte. — So kann der Menſch, der Schoͤ- pfung Meiſterſtuͤck — ihr Scheuſal werden. Und doch verſetzen ſich wohl gar die Menſchen ſelbſt in einen ſolchen Zuſtand! — Denn wo- durch unterſcheidet ſich der Trunkne von dem Wahnſinnigen, als dadurch, daß er die freywilli- ge Urſache ſeines Wahnſinns iſt, und kuͤrzere Zeit in dieſem Zuſtande ſich befindet. Sonſt aber ſind die Aeußerungen deſſelben denen der andern Wahnſinnigen gleich. Er wuͤthet und tobt, und die erhitzte und verwirrte Phantaſie gaukelt ihm falſche Empfindungen vor. So erzaͤhlt Herr Tiedemann in ſeinen Unterſuchungen uͤber den Menſchen von einem Trunkenen, welcher bey Nacht uͤber eine vom Mondenſchein erhellte Stra- ße ging, dieſelbe fuͤr einen Fluß hielt, ſich aus- kleidete, und ſich niederlegte, um ſich zu baden; bis ihn endlich die Kaͤlte und Haͤrte der Steine von ihrer nicht fluͤßigen Natur uͤberzeugte. So wie den Wahnſinnigen ſeine Sinne be- truͤgen, ſo betruͤgt den Wahnwitzigen ſein Ver- ſtand. Die Verruͤcktheit leitet denſelben in Laby- rinthe von Vorſtellungen, wo ſich keine Ordnung, kein Zuſammenhang findet, und ſein Auge iſt zu ſchwach, um den Faden zu ſehen, der ihn aus denſelben den Weg zeigen koͤnnte. Traurige Vor- ſtellungen ſind ihm ein Vorwurf des Lachens und Nichts-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/198
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/198>, abgerufen am 20.04.2024.