Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Amerika, und ihre Unterdrückung so vollständig,
daß Sclaverey ein gelinder Name ist, der zur
Abschilderung ihres Elends bey weitem nicht hin-
reicht. Unter den meisten amerikanischen Stäm-
men ist ein Weib ein Lastthier, dem jede noch so
schwere und harte Arbeit aufgebürdet wird. Wenn
die Männer den Tag mit Müssiggehen oder mit
Zeitvertreiben verschlendern, sind die Weiber zu
unablässiger Arbeit verdammt. Jhre Arbeiten
werden ihnen ohne Barmherzigkeit aufgelegt, und
ihre Dienste ohne Wohlgefallen und ohne Dank
angenommen. Jeder Umstand erinnert die Wei-
ber an diese kränkende Unterdrückung. Sie müs-
sen sich ihren Herren mit Ehrfurcht nähern, die-
selben als höhere Wesen ehren, und dürfen nicht
einmal in ihrer Gegenwart essen. Jn Amerika
giebt es Gegenden, wo diese Herrschaft so stren-
ge, so entsetzlich ist, und so schmerzlich empfun-
den wird, daß manche Weiber in einer wilden
Aufwallung mütterlicher Zärtlichkeit ihre Töchter
in ihrer Kindheit umgebracht haben, blos um sie
vor der unerträglichen Sclaverey, die auf sie
wartete, zu sichern.

So wie sie den Werth des Menschen nur in
das setzen, was seinen thierischen Theil angeht,
so berechnen sie auch die Anerkennung desselben
von andern nur nach dem, was in die Sinne
fällt. Bey den Siamesen ist es ein Zeichen der

Hoheit,

Amerika, und ihre Unterdruͤckung ſo vollſtaͤndig,
daß Sclaverey ein gelinder Name iſt, der zur
Abſchilderung ihres Elends bey weitem nicht hin-
reicht. Unter den meiſten amerikaniſchen Staͤm-
men iſt ein Weib ein Laſtthier, dem jede noch ſo
ſchwere und harte Arbeit aufgebuͤrdet wird. Wenn
die Maͤnner den Tag mit Muͤſſiggehen oder mit
Zeitvertreiben verſchlendern, ſind die Weiber zu
unablaͤſſiger Arbeit verdammt. Jhre Arbeiten
werden ihnen ohne Barmherzigkeit aufgelegt, und
ihre Dienſte ohne Wohlgefallen und ohne Dank
angenommen. Jeder Umſtand erinnert die Wei-
ber an dieſe kraͤnkende Unterdruͤckung. Sie muͤſ-
ſen ſich ihren Herren mit Ehrfurcht naͤhern, die-
ſelben als hoͤhere Weſen ehren, und duͤrfen nicht
einmal in ihrer Gegenwart eſſen. Jn Amerika
giebt es Gegenden, wo dieſe Herrſchaft ſo ſtren-
ge, ſo entſetzlich iſt, und ſo ſchmerzlich empfun-
den wird, daß manche Weiber in einer wilden
Aufwallung muͤtterlicher Zaͤrtlichkeit ihre Toͤchter
in ihrer Kindheit umgebracht haben, blos um ſie
vor der unertraͤglichen Sclaverey, die auf ſie
wartete, zu ſichern.

So wie ſie den Werth des Menſchen nur in
das ſetzen, was ſeinen thieriſchen Theil angeht,
ſo berechnen ſie auch die Anerkennung deſſelben
von andern nur nach dem, was in die Sinne
faͤllt. Bey den Siameſen iſt es ein Zeichen der

Hoheit,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0178" n="154"/>
Amerika, und ihre Unterdru&#x0364;ckung &#x017F;o voll&#x017F;ta&#x0364;ndig,<lb/>
daß <hi rendition="#b">Sclaverey</hi> ein gelinder Name i&#x017F;t, der zur<lb/>
Ab&#x017F;childerung ihres Elends bey weitem nicht hin-<lb/>
reicht. Unter den mei&#x017F;ten amerikani&#x017F;chen Sta&#x0364;m-<lb/>
men i&#x017F;t ein Weib ein La&#x017F;tthier, dem jede noch &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chwere und harte Arbeit aufgebu&#x0364;rdet wird. Wenn<lb/>
die Ma&#x0364;nner den Tag mit Mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;iggehen oder mit<lb/>
Zeitvertreiben ver&#x017F;chlendern, &#x017F;ind die Weiber zu<lb/>
unabla&#x0364;&#x017F;&#x017F;iger Arbeit verdammt. Jhre Arbeiten<lb/>
werden ihnen ohne Barmherzigkeit aufgelegt, und<lb/>
ihre Dien&#x017F;te ohne Wohlgefallen und ohne Dank<lb/>
angenommen. Jeder Um&#x017F;tand erinnert die Wei-<lb/>
ber an die&#x017F;e kra&#x0364;nkende Unterdru&#x0364;ckung. Sie mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ich ihren Herren mit Ehrfurcht na&#x0364;hern, die-<lb/>
&#x017F;elben als ho&#x0364;here We&#x017F;en ehren, und du&#x0364;rfen nicht<lb/>
einmal in ihrer Gegenwart e&#x017F;&#x017F;en. Jn Amerika<lb/>
giebt es Gegenden, wo die&#x017F;e Herr&#x017F;chaft &#x017F;o &#x017F;tren-<lb/>
ge, &#x017F;o ent&#x017F;etzlich i&#x017F;t, und &#x017F;o &#x017F;chmerzlich empfun-<lb/>
den wird, daß manche Weiber in einer wilden<lb/>
Aufwallung mu&#x0364;tterlicher Za&#x0364;rtlichkeit ihre To&#x0364;chter<lb/>
in ihrer Kindheit umgebracht haben, blos um &#x017F;ie<lb/>
vor der unertra&#x0364;glichen Sclaverey, die auf &#x017F;ie<lb/>
wartete, zu &#x017F;ichern.</p><lb/>
          <p>So wie &#x017F;ie den Werth des Men&#x017F;chen nur in<lb/>
das &#x017F;etzen, was &#x017F;einen thieri&#x017F;chen Theil angeht,<lb/>
&#x017F;o berechnen &#x017F;ie auch die Anerkennung de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
von andern nur nach dem, was in die Sinne<lb/>
fa&#x0364;llt. Bey den Siame&#x017F;en i&#x017F;t es ein Zeichen der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Hoheit,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0178] Amerika, und ihre Unterdruͤckung ſo vollſtaͤndig, daß Sclaverey ein gelinder Name iſt, der zur Abſchilderung ihres Elends bey weitem nicht hin- reicht. Unter den meiſten amerikaniſchen Staͤm- men iſt ein Weib ein Laſtthier, dem jede noch ſo ſchwere und harte Arbeit aufgebuͤrdet wird. Wenn die Maͤnner den Tag mit Muͤſſiggehen oder mit Zeitvertreiben verſchlendern, ſind die Weiber zu unablaͤſſiger Arbeit verdammt. Jhre Arbeiten werden ihnen ohne Barmherzigkeit aufgelegt, und ihre Dienſte ohne Wohlgefallen und ohne Dank angenommen. Jeder Umſtand erinnert die Wei- ber an dieſe kraͤnkende Unterdruͤckung. Sie muͤſ- ſen ſich ihren Herren mit Ehrfurcht naͤhern, die- ſelben als hoͤhere Weſen ehren, und duͤrfen nicht einmal in ihrer Gegenwart eſſen. Jn Amerika giebt es Gegenden, wo dieſe Herrſchaft ſo ſtren- ge, ſo entſetzlich iſt, und ſo ſchmerzlich empfun- den wird, daß manche Weiber in einer wilden Aufwallung muͤtterlicher Zaͤrtlichkeit ihre Toͤchter in ihrer Kindheit umgebracht haben, blos um ſie vor der unertraͤglichen Sclaverey, die auf ſie wartete, zu ſichern. So wie ſie den Werth des Menſchen nur in das ſetzen, was ſeinen thieriſchen Theil angeht, ſo berechnen ſie auch die Anerkennung deſſelben von andern nur nach dem, was in die Sinne faͤllt. Bey den Siameſen iſt es ein Zeichen der Hoheit,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/178
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/178>, abgerufen am 23.04.2024.