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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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Dem rohen Verstande fehlt die Fähigkeit die
innern und feinern Verhältnisse der Dinge zu be-
urtheilen; die Sinnlichkeit, die nur für das Aeuße-
re Empfänglichkeit hat, ist die Führerin, der er
folgt, und giebt ihm die Richtschnur an, nach
welcher er alles beurtheilt. Daher entspringen
die falschen Begriffe von Ehre, die sie vorzüglich
nur in thierische Vollkommenheiten setzen: daher
der Mangel seiner Empfindungen und moralischer
Gefühle.

Die Verachtung des weiblichen Geschlechts
unter mehrern rohen Nationen, ist bekannt.
Stärke des Körpers ist die Haupttugend in der
Meynung des Wilden; daher er glaubt, das
Geschlecht nicht achten zu dürfen, welches dersel-
ben nicht fähig zu seyn scheint. -- Die Sibi-
rischen Wilden handeln mit Weibern, wie mit
Thieren, und der Mann verborgt, gegen die
Entrichtung der Gebühr, seine Frau so gut, als
seinen Hund oder Schlitten. -- Die unglück-
lichen Geschöpfe müssen alle Lasten des gesellschaft-
lichen Lebens tragen, ohne die Bequemlichkeiten
und Annehmlichkeiten desselben genießen zu dürfen;
so gar ist es ihnen in Peru und einigen andern
Gegenden nicht einmal erlaubt, das Vergnügen
des Putzes zu genießen. Besonders bedauerns-
würdig, sagt Robertson*), ist ihr Zustand in

Ame-
*) Geschichte v. Amerika, 1. Th. 368. S.
K 5

Dem rohen Verſtande fehlt die Faͤhigkeit die
innern und feinern Verhaͤltniſſe der Dinge zu be-
urtheilen; die Sinnlichkeit, die nur fuͤr das Aeuße-
re Empfaͤnglichkeit hat, iſt die Fuͤhrerin, der er
folgt, und giebt ihm die Richtſchnur an, nach
welcher er alles beurtheilt. Daher entſpringen
die falſchen Begriffe von Ehre, die ſie vorzuͤglich
nur in thieriſche Vollkommenheiten ſetzen: daher
der Mangel ſeiner Empfindungen und moraliſcher
Gefuͤhle.

Die Verachtung des weiblichen Geſchlechts
unter mehrern rohen Nationen, iſt bekannt.
Staͤrke des Koͤrpers iſt die Haupttugend in der
Meynung des Wilden; daher er glaubt, das
Geſchlecht nicht achten zu duͤrfen, welches derſel-
ben nicht faͤhig zu ſeyn ſcheint. — Die Sibi-
riſchen Wilden handeln mit Weibern, wie mit
Thieren, und der Mann verborgt, gegen die
Entrichtung der Gebuͤhr, ſeine Frau ſo gut, als
ſeinen Hund oder Schlitten. — Die ungluͤck-
lichen Geſchoͤpfe muͤſſen alle Laſten des geſellſchaft-
lichen Lebens tragen, ohne die Bequemlichkeiten
und Annehmlichkeiten deſſelben genießen zu duͤrfen;
ſo gar iſt es ihnen in Peru und einigen andern
Gegenden nicht einmal erlaubt, das Vergnuͤgen
des Putzes zu genießen. Beſonders bedauerns-
wuͤrdig, ſagt Robertſon*), iſt ihr Zuſtand in

Ame-
*) Geſchichte v. Amerika, 1. Th. 368. S.
K 5
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[153/0177] Dem rohen Verſtande fehlt die Faͤhigkeit die innern und feinern Verhaͤltniſſe der Dinge zu be- urtheilen; die Sinnlichkeit, die nur fuͤr das Aeuße- re Empfaͤnglichkeit hat, iſt die Fuͤhrerin, der er folgt, und giebt ihm die Richtſchnur an, nach welcher er alles beurtheilt. Daher entſpringen die falſchen Begriffe von Ehre, die ſie vorzuͤglich nur in thieriſche Vollkommenheiten ſetzen: daher der Mangel ſeiner Empfindungen und moraliſcher Gefuͤhle. Die Verachtung des weiblichen Geſchlechts unter mehrern rohen Nationen, iſt bekannt. Staͤrke des Koͤrpers iſt die Haupttugend in der Meynung des Wilden; daher er glaubt, das Geſchlecht nicht achten zu duͤrfen, welches derſel- ben nicht faͤhig zu ſeyn ſcheint. — Die Sibi- riſchen Wilden handeln mit Weibern, wie mit Thieren, und der Mann verborgt, gegen die Entrichtung der Gebuͤhr, ſeine Frau ſo gut, als ſeinen Hund oder Schlitten. — Die ungluͤck- lichen Geſchoͤpfe muͤſſen alle Laſten des geſellſchaft- lichen Lebens tragen, ohne die Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten deſſelben genießen zu duͤrfen; ſo gar iſt es ihnen in Peru und einigen andern Gegenden nicht einmal erlaubt, das Vergnuͤgen des Putzes zu genießen. Beſonders bedauerns- wuͤrdig, ſagt Robertſon *), iſt ihr Zuſtand in Ame- *) Geſchichte v. Amerika, 1. Th. 368. S. K 5

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/177>, abgerufen am 25.04.2024.