deckte sie ganz leise mit meiner Hand. Jndeß kehrte er wieder zu seiner Erzählung, und indem er sich immer nach seiner Dose umsah, sagte er lauter, als das Uebrige: "Und so also," dann nach einer Pause, die ohngefähr so groß war, daß er in derselben eine Prise hätte nehmen können: "Ja, was wollte ich denn sagen: -- hat denn niemand meine Dose gesehen?" -- Sein Freund ersuchte ihn seine Geschichte zu en- digen. Er fuhr fort: "Und so also -- Wo mag denn meine Dose seyn?" -- Dann kehrte er sich zu mir: "Haben Sie doch die Güte, mir zu sagen, ob Sie meine Dose nicht gesehen haben?" -- Ja, mein Herr, sagte ich; ich nahm sie, um zu sehen, wie lange Sie ohne dieselbe leben könnten. Er nahm dar- auf den Faden seiner Erzählung wieder auf, und ich bemerkte, daß er nunmehr mit viel mehr Fer- tigkeit und Geläufigkeit sprach, als zuvor.
Jch erinnere mich, sagt Addison im Zu- schauer, da ich noch ein junger Mensch war, und Westmünster-Hall besuchte, daß ein gewisser Advocat niemals anders, als mit einem Bind- faden in der Hand vor Gerichte erschien; den er, so lange als sein Vortrag dauerte, um den Dau- men oder einen andern Finger herumwickelte. Die witzigen Köpfe seiner Zeit nannten das den Faden
seiner
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deckte ſie ganz leiſe mit meiner Hand. Jndeß kehrte er wieder zu ſeiner Erzaͤhlung, und indem er ſich immer nach ſeiner Doſe umſah, ſagte er lauter, als das Uebrige: „Und ſo alſo,„ dann nach einer Pauſe, die ohngefaͤhr ſo groß war, daß er in derſelben eine Priſe haͤtte nehmen koͤnnen: „Ja, was wollte ich denn ſagen: — hat denn niemand meine Doſe geſehen?„ — Sein Freund erſuchte ihn ſeine Geſchichte zu en- digen. Er fuhr fort: „Und ſo alſo — Wo mag denn meine Doſe ſeyn?„ — Dann kehrte er ſich zu mir: „Haben Sie doch die Guͤte, mir zu ſagen, ob Sie meine Doſe nicht geſehen haben?„ — Ja, mein Herr, ſagte ich; ich nahm ſie, um zu ſehen, wie lange Sie ohne dieſelbe leben koͤnnten. Er nahm dar- auf den Faden ſeiner Erzaͤhlung wieder auf, und ich bemerkte, daß er nunmehr mit viel mehr Fer- tigkeit und Gelaͤufigkeit ſprach, als zuvor.
Jch erinnere mich, ſagt Addiſon im Zu- ſchauer, da ich noch ein junger Menſch war, und Weſtmuͤnſter-Hall beſuchte, daß ein gewiſſer Advocat niemals anders, als mit einem Bind- faden in der Hand vor Gerichte erſchien; den er, ſo lange als ſein Vortrag dauerte, um den Dau- men oder einen andern Finger herumwickelte. Die witzigen Koͤpfe ſeiner Zeit nannten das den Faden
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deckte ſie ganz leiſe mit meiner Hand. Jndeß
kehrte er wieder zu ſeiner Erzaͤhlung, und indem
er ſich immer nach ſeiner Doſe umſah, ſagte er
lauter, als das Uebrige: „Und ſo alſo,„ dann
nach einer Pauſe, die ohngefaͤhr ſo groß war, daß
er in derſelben eine Priſe haͤtte nehmen koͤnnen:
„Ja, was wollte ich denn ſagen: — hat
denn niemand meine Doſe geſehen?„ —
Sein Freund erſuchte ihn ſeine Geſchichte zu en-
digen. Er fuhr fort: „Und ſo alſo — Wo
mag denn meine Doſe ſeyn?„ — Dann
kehrte er ſich zu mir: „Haben Sie doch die
Guͤte, mir zu ſagen, ob Sie meine Doſe
nicht geſehen haben?„ — Ja, mein Herr,
ſagte ich; ich nahm ſie, um zu ſehen, wie lange
Sie ohne dieſelbe leben koͤnnten. Er nahm dar-
auf den Faden ſeiner Erzaͤhlung wieder auf, und
ich bemerkte, daß er nunmehr mit viel mehr Fer-
tigkeit und Gelaͤufigkeit ſprach, als zuvor.
Jch erinnere mich, ſagt Addiſon im Zu-
ſchauer, da ich noch ein junger Menſch war, und
Weſtmuͤnſter-Hall beſuchte, daß ein gewiſſer
Advocat niemals anders, als mit einem Bind-
faden in der Hand vor Gerichte erſchien; den er,
ſo lange als ſein Vortrag dauerte, um den Dau-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/159>, abgerufen am 25.04.2024.
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