Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Begebenheiten jedes Tages, so wie sie erfolgten,
und der angerichtete Schaden, so wie er war, an-
gegeben. Ohne sich um die genaue Erzählung der
wirklich vorkommenden Umstände zu bekümmern,
mahlt der vortrefliche Kleist eine große Ueber-
schwemmung also:

Schnell glitten Berge von Schnee die drohen-
den Klippen herunter,
Die Quellen empfingen sie, blähten sich auf; die
geborstenen Ströme,
Voll schwimmender Jnseln, die sich mit hohlem
Getöse zerschellten,
Durchrissen wühlend den Damm; verschlangen
gefräßig ihr Ufer:
Thal, Wald und Wiese ward Meer. Kaum
sahn die wankenden Wipfel
Zerstreuter Ulmen hervor. Gefleckte Täucher
und Enten
Verschwanden, schossen herauf, und irrten unter
den Zweigen,
Wo sonst vor Schmerzen der Lieb' im Laube die
Nachtigall seufzte.
Der Hirsch von Wellen verfolgt, strich über un-
wirthbare Felsen,
Die traurig die Fluth übersahn. Ergriffne Bä-
ren durchstürzten
Das anfangs seichte Gewässer voll Wuth: sie
schüttelten brummend
Die

Begebenheiten jedes Tages, ſo wie ſie erfolgten,
und der angerichtete Schaden, ſo wie er war, an-
gegeben. Ohne ſich um die genaue Erzaͤhlung der
wirklich vorkommenden Umſtaͤnde zu bekuͤmmern,
mahlt der vortrefliche Kleiſt eine große Ueber-
ſchwemmung alſo:

Schnell glitten Berge von Schnee die drohen-
den Klippen herunter,
Die Quellen empfingen ſie, blaͤhten ſich auf; die
geborſtenen Stroͤme,
Voll ſchwimmender Jnſeln, die ſich mit hohlem
Getoͤſe zerſchellten,
Durchriſſen wuͤhlend den Damm; verſchlangen
gefraͤßig ihr Ufer:
Thal, Wald und Wieſe ward Meer. Kaum
ſahn die wankenden Wipfel
Zerſtreuter Ulmen hervor. Gefleckte Taͤucher
und Enten
Verſchwanden, ſchoſſen herauf, und irrten unter
den Zweigen,
Wo ſonſt vor Schmerzen der Lieb' im Laube die
Nachtigall ſeufzte.
Der Hirſch von Wellen verfolgt, ſtrich uͤber un-
wirthbare Felſen,
Die traurig die Fluth uͤberſahn. Ergriffne Baͤ-
ren durchſtuͤrzten
Das anfangs ſeichte Gewaͤſſer voll Wuth: ſie
ſchuͤttelten brummend
Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0148" n="124"/>
Begebenheiten jedes Tages, &#x017F;o wie &#x017F;ie erfolgten,<lb/>
und der angerichtete Schaden, &#x017F;o wie er war, an-<lb/>
gegeben. Ohne &#x017F;ich um die genaue Erza&#x0364;hlung der<lb/>
wirklich vorkommenden Um&#x017F;ta&#x0364;nde zu beku&#x0364;mmern,<lb/>
mahlt der vortrefliche Klei&#x017F;t eine große Ueber-<lb/>
&#x017F;chwemmung al&#x017F;o:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>Schnell glitten Berge von Schnee die drohen-<lb/><hi rendition="#et">den Klippen herunter,</hi><lb/>
Die Quellen empfingen &#x017F;ie, bla&#x0364;hten &#x017F;ich auf; die<lb/><hi rendition="#et">gebor&#x017F;tenen Stro&#x0364;me,</hi><lb/>
Voll &#x017F;chwimmender Jn&#x017F;eln, die &#x017F;ich mit hohlem<lb/><hi rendition="#et">Geto&#x0364;&#x017F;e zer&#x017F;chellten,</hi><lb/>
Durchri&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;hlend den Damm; ver&#x017F;chlangen<lb/><hi rendition="#et">gefra&#x0364;ßig ihr Ufer:</hi><lb/>
Thal, Wald und Wie&#x017F;e ward Meer. Kaum<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ahn die wankenden Wipfel</hi><lb/>
Zer&#x017F;treuter Ulmen hervor. Gefleckte Ta&#x0364;ucher<lb/><hi rendition="#et">und Enten</hi><lb/>
Ver&#x017F;chwanden, &#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en herauf, und irrten unter<lb/><hi rendition="#et">den Zweigen,</hi><lb/>
Wo &#x017F;on&#x017F;t vor Schmerzen der Lieb' im Laube die<lb/><hi rendition="#et">Nachtigall &#x017F;eufzte.</hi><lb/>
Der Hir&#x017F;ch von Wellen verfolgt, &#x017F;trich u&#x0364;ber un-<lb/><hi rendition="#et">wirthbare Fel&#x017F;en,</hi><lb/>
Die traurig die Fluth u&#x0364;ber&#x017F;ahn. Ergriffne Ba&#x0364;-<lb/><hi rendition="#et">ren durch&#x017F;tu&#x0364;rzten</hi><lb/>
Das anfangs &#x017F;eichte Gewa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er voll Wuth: &#x017F;ie<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chu&#x0364;ttelten brummend</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/></quote>
          </cit>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0148] Begebenheiten jedes Tages, ſo wie ſie erfolgten, und der angerichtete Schaden, ſo wie er war, an- gegeben. Ohne ſich um die genaue Erzaͤhlung der wirklich vorkommenden Umſtaͤnde zu bekuͤmmern, mahlt der vortrefliche Kleiſt eine große Ueber- ſchwemmung alſo: Schnell glitten Berge von Schnee die drohen- den Klippen herunter, Die Quellen empfingen ſie, blaͤhten ſich auf; die geborſtenen Stroͤme, Voll ſchwimmender Jnſeln, die ſich mit hohlem Getoͤſe zerſchellten, Durchriſſen wuͤhlend den Damm; verſchlangen gefraͤßig ihr Ufer: Thal, Wald und Wieſe ward Meer. Kaum ſahn die wankenden Wipfel Zerſtreuter Ulmen hervor. Gefleckte Taͤucher und Enten Verſchwanden, ſchoſſen herauf, und irrten unter den Zweigen, Wo ſonſt vor Schmerzen der Lieb' im Laube die Nachtigall ſeufzte. Der Hirſch von Wellen verfolgt, ſtrich uͤber un- wirthbare Felſen, Die traurig die Fluth uͤberſahn. Ergriffne Baͤ- ren durchſtuͤrzten Das anfangs ſeichte Gewaͤſſer voll Wuth: ſie ſchuͤttelten brummend Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/148
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/148>, abgerufen am 23.04.2024.