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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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Weise zu erklären versucht hat, so scheint mir
dies nach meinem vorhin aufgestellten Satze ent-
weder sehr reizbare Sprachorgane, oder eine
Traumerscheinung, welche mit Gegenständen zu-
sammenhängt, bey denen die träumende Person
sehr leicht in Sprachthätigkeit versetzt zu werden
pflegt*), vorauszusetzen. Weder das eine noch
das andere ist allein zur Erklärung hinreichend;
denn die Erfahrung lehrt, daß es sowohl Men-
schen giebt, welche wachend viel schwatzen, und
im Schlafe doch stumm sind; als auch solche,
die zwar wachend nicht viel sprechen, im Schlafe
aber öfters gehört werden.

Auch nimmt man zuweilen bey den Schla-
fenden Geisteshandlungen wahr; sie disputiren,
dichten und denken, und sollen sogar auch mit
fremden Zungen reden können. So wenig nun
dies letztere möglich seyn kann, ohne daß die
Zunge wirklich zu der Sprache, welche sie spricht,
gebildet ist; so natürlich und gewiß ist das erste-
re: denn, sobald die Seele einmal in Thätigkeit
gesetzt ist, bleibt Verstand und Urtheilskraft nicht

müßig;
*) Z. B. Wenn jemand die Gewohnheit hat, im
Affekt der Verwunderung sehr zu schreyen und viel
zu plappern; so wird auch, wenn er sich im Traume
verwundert, dies erfolgen -- wer beym Meditiren
laut und angestrengt zu sprechen gewohnt ist, kann
auch, wenn er träumt, dies thun.
G 3

Weiſe zu erklaͤren verſucht hat, ſo ſcheint mir
dies nach meinem vorhin aufgeſtellten Satze ent-
weder ſehr reizbare Sprachorgane, oder eine
Traumerſcheinung, welche mit Gegenſtaͤnden zu-
ſammenhaͤngt, bey denen die traͤumende Perſon
ſehr leicht in Sprachthaͤtigkeit verſetzt zu werden
pflegt*), vorauszuſetzen. Weder das eine noch
das andere iſt allein zur Erklaͤrung hinreichend;
denn die Erfahrung lehrt, daß es ſowohl Men-
ſchen giebt, welche wachend viel ſchwatzen, und
im Schlafe doch ſtumm ſind; als auch ſolche,
die zwar wachend nicht viel ſprechen, im Schlafe
aber oͤfters gehoͤrt werden.

Auch nimmt man zuweilen bey den Schla-
fenden Geiſteshandlungen wahr; ſie diſputiren,
dichten und denken, und ſollen ſogar auch mit
fremden Zungen reden koͤnnen. So wenig nun
dies letztere moͤglich ſeyn kann, ohne daß die
Zunge wirklich zu der Sprache, welche ſie ſpricht,
gebildet iſt; ſo natuͤrlich und gewiß iſt das erſte-
re: denn, ſobald die Seele einmal in Thaͤtigkeit
geſetzt iſt, bleibt Verſtand und Urtheilskraft nicht

muͤßig;
*) Z. B. Wenn jemand die Gewohnheit hat, im
Affekt der Verwunderung ſehr zu ſchreyen und viel
zu plappern; ſo wird auch, wenn er ſich im Traume
verwundert, dies erfolgen — wer beym Meditiren
laut und angeſtrengt zu ſprechen gewohnt iſt, kann
auch, wenn er traͤumt, dies thun.
G 3
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[101/0125] Weiſe zu erklaͤren verſucht hat, ſo ſcheint mir dies nach meinem vorhin aufgeſtellten Satze ent- weder ſehr reizbare Sprachorgane, oder eine Traumerſcheinung, welche mit Gegenſtaͤnden zu- ſammenhaͤngt, bey denen die traͤumende Perſon ſehr leicht in Sprachthaͤtigkeit verſetzt zu werden pflegt *), vorauszuſetzen. Weder das eine noch das andere iſt allein zur Erklaͤrung hinreichend; denn die Erfahrung lehrt, daß es ſowohl Men- ſchen giebt, welche wachend viel ſchwatzen, und im Schlafe doch ſtumm ſind; als auch ſolche, die zwar wachend nicht viel ſprechen, im Schlafe aber oͤfters gehoͤrt werden. Auch nimmt man zuweilen bey den Schla- fenden Geiſteshandlungen wahr; ſie diſputiren, dichten und denken, und ſollen ſogar auch mit fremden Zungen reden koͤnnen. So wenig nun dies letztere moͤglich ſeyn kann, ohne daß die Zunge wirklich zu der Sprache, welche ſie ſpricht, gebildet iſt; ſo natuͤrlich und gewiß iſt das erſte- re: denn, ſobald die Seele einmal in Thaͤtigkeit geſetzt iſt, bleibt Verſtand und Urtheilskraft nicht muͤßig; *) Z. B. Wenn jemand die Gewohnheit hat, im Affekt der Verwunderung ſehr zu ſchreyen und viel zu plappern; ſo wird auch, wenn er ſich im Traume verwundert, dies erfolgen — wer beym Meditiren laut und angeſtrengt zu ſprechen gewohnt iſt, kann auch, wenn er traͤumt, dies thun. G 3

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/125>, abgerufen am 18.04.2024.