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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Ideen zu einer Kriminalpsychologie. Halle, 1792.

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erfüllen will, nicht dann erst zu beobachten
anfangen, wenn der zu beobachtende im Ge-
fängnisse wohnt; sondern das Studium des
Characters aller derer, die zu seinem Ge-
richtshof gehören, wird eins der wichtigsten
Geschäffte seines Berufs seyn. -- Sagen Sie
nicht, mein Freund, dies Geschäfft sey un-
ausführbar, und werde jedermann von dem
Richter entfernen; nur der Blick des lauern-
den Spähers
entfernt; aber der wohlmeynende
Blick des väterlichen Beobachters bringt nä-
her. -- Und -- wie viel anderweitige Vor-
theile würden daraus entspringen, wenn der
Richter der gemeinschaftliche Bekannte aller
seiner Gerichtsunterthanen wäre! Wie man-
chem könnte er zum Besten rathen, wie man-
cher Streitigkeit vorbeugen, wie manches
Verbrechen im ersten Entstehen ersticken!
Und ein verhütetes Verbrechen, eine beyge-
legte Streitigkeit, ein guter Rath, gäbe doch
wol dem Herzen mehr Freude, als eine

Sum-
B 2

erfüllen will, nicht dann erſt zu beobachten
anfangen, wenn der zu beobachtende im Ge-
fängniſſe wohnt; ſondern das Studium des
Characters aller derer, die zu ſeinem Ge-
richtshof gehören, wird eins der wichtigſten
Geſchäffte ſeines Berufs ſeyn. — Sagen Sie
nicht, mein Freund, dies Geſchäfft ſey un-
ausführbar, und werde jedermann von dem
Richter entfernen; nur der Blick des lauern-
den Spähers
entfernt; aber der wohlmeynende
Blick des väterlichen Beobachters bringt nä-
her. — Und — wie viel anderweitige Vor-
theile würden daraus entſpringen, wenn der
Richter der gemeinſchaftliche Bekannte aller
ſeiner Gerichtsunterthanen wäre! Wie man-
chem könnte er zum Beſten rathen, wie man-
cher Streitigkeit vorbeugen, wie manches
Verbrechen im erſten Entſtehen erſticken!
Und ein verhütetes Verbrechen, eine beyge-
legte Streitigkeit, ein guter Rath, gäbe doch
wol dem Herzen mehr Freude, als eine

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[19/0021] erfüllen will, nicht dann erſt zu beobachten anfangen, wenn der zu beobachtende im Ge- fängniſſe wohnt; ſondern das Studium des Characters aller derer, die zu ſeinem Ge- richtshof gehören, wird eins der wichtigſten Geſchäffte ſeines Berufs ſeyn. — Sagen Sie nicht, mein Freund, dies Geſchäfft ſey un- ausführbar, und werde jedermann von dem Richter entfernen; nur der Blick des lauern- den Spähers entfernt; aber der wohlmeynende Blick des väterlichen Beobachters bringt nä- her. — Und — wie viel anderweitige Vor- theile würden daraus entſpringen, wenn der Richter der gemeinſchaftliche Bekannte aller ſeiner Gerichtsunterthanen wäre! Wie man- chem könnte er zum Beſten rathen, wie man- cher Streitigkeit vorbeugen, wie manches Verbrechen im erſten Entſtehen erſticken! Und ein verhütetes Verbrechen, eine beyge- legte Streitigkeit, ein guter Rath, gäbe doch wol dem Herzen mehr Freude, als eine Sum- B 2

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Ideen zu einer Kriminalpsychologie. Halle, 1792, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_crimipsyche_1792/21>, abgerufen am 28.03.2024.