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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.
einer Erbschaft gehörenden Klagen eigentlich (als directae)
nur dem heres gegeben, vermittelst einer Fiction er-
hielt sie sowohl der Bonorum possessor, als der Fidei-
commissar; in dieser erweiterten Anwendung aber nennt
sie Gajus utiles, Ulpian fictitiae (f). Von diesen beiden
Namen drückt der eine (fictitia) die dabey angewendete
Prozeßform unmittelbar aus, der andere (utilis), bezeich-
net mehr das innere Wesen der Sache, nämlich die durch
das praktische Bedürfniß (utilitas) herbeygeführte Erwei-
terung eines Rechtsinstituts (g).

Der Unterschied dieser beiden Arten der Klagen lag
gar nicht in der Wirkung, die für beide gleich war, son-
dern nur in der Fassung der Formel, oder eigentlich nur
desjenigen Theils der Formel, welcher Intentio hieß. Die
ganze Eintheilung konnte also nur vorkommen bey denje-
nigen Prozessen, worin ein Judex gegeben wurde (§ 213),
und nachdem alle Prozesse extraordinaria judicia gewor-
den waren, hatte sie ihre ursprüngliche Bedeutung verlo-
ren, so daß jezt jedes unmittelbare Interesse derselben ver-
schwunden war (h). Es erklärt sich aus dieser wesent-
lichen Veränderung, verbunden mit der eben versuchten
genaueren Herleitung der Ausdrücke, warum im Justinia-

(f) Gajus II. § 253 (eben so
§ 4 J. de fid. her. 2. 23), Ul-
pian
. XXVIII.
§ 12. Allerdings
spricht der erste blos von utiles
actiones
bey dem Fideicommiß,
der zweyte blos von fictitiae bey
der bonorum possessio, und
man könnte die Gleichartigkeit bei-
der Klagen, die ich hier annehme,
etwa noch bezweifeln.
(g) S. o. Band 1 § 15. S. 56
über die Bedeutung von utilitas.
(h) L. 47 § 1 de neg. gestis.
(3. 5), ohne Zweifel interpolirt.

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
einer Erbſchaft gehörenden Klagen eigentlich (als directae)
nur dem heres gegeben, vermittelſt einer Fiction er-
hielt ſie ſowohl der Bonorum possessor, als der Fidei-
commiſſar; in dieſer erweiterten Anwendung aber nennt
ſie Gajus utiles, Ulpian fictitiae (f). Von dieſen beiden
Namen drückt der eine (fictitia) die dabey angewendete
Prozeßform unmittelbar aus, der andere (utilis), bezeich-
net mehr das innere Weſen der Sache, nämlich die durch
das praktiſche Bedürfniß (utilitas) herbeygeführte Erwei-
terung eines Rechtsinſtituts (g).

Der Unterſchied dieſer beiden Arten der Klagen lag
gar nicht in der Wirkung, die für beide gleich war, ſon-
dern nur in der Faſſung der Formel, oder eigentlich nur
desjenigen Theils der Formel, welcher Intentio hieß. Die
ganze Eintheilung konnte alſo nur vorkommen bey denje-
nigen Prozeſſen, worin ein Judex gegeben wurde (§ 213),
und nachdem alle Prozeſſe extraordinaria judicia gewor-
den waren, hatte ſie ihre urſprüngliche Bedeutung verlo-
ren, ſo daß jezt jedes unmittelbare Intereſſe derſelben ver-
ſchwunden war (h). Es erklärt ſich aus dieſer weſent-
lichen Veränderung, verbunden mit der eben verſuchten
genaueren Herleitung der Ausdrücke, warum im Juſtinia-

(f) Gajus II. § 253 (eben ſo
§ 4 J. de fid. her. 2. 23), Ul-
pian
. XXVIII.
§ 12. Allerdings
ſpricht der erſte blos von utiles
actiones
bey dem Fideicommiß,
der zweyte blos von fictitiae bey
der bonorum possessio, und
man könnte die Gleichartigkeit bei-
der Klagen, die ich hier annehme,
etwa noch bezweifeln.
(g) S. o. Band 1 § 15. S. 56
über die Bedeutung von utilitas.
(h) L. 47 § 1 de neg. gestis.
(3. 5), ohne Zweifel interpolirt.
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[72/0086] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. einer Erbſchaft gehörenden Klagen eigentlich (als directae) nur dem heres gegeben, vermittelſt einer Fiction er- hielt ſie ſowohl der Bonorum possessor, als der Fidei- commiſſar; in dieſer erweiterten Anwendung aber nennt ſie Gajus utiles, Ulpian fictitiae (f). Von dieſen beiden Namen drückt der eine (fictitia) die dabey angewendete Prozeßform unmittelbar aus, der andere (utilis), bezeich- net mehr das innere Weſen der Sache, nämlich die durch das praktiſche Bedürfniß (utilitas) herbeygeführte Erwei- terung eines Rechtsinſtituts (g). Der Unterſchied dieſer beiden Arten der Klagen lag gar nicht in der Wirkung, die für beide gleich war, ſon- dern nur in der Faſſung der Formel, oder eigentlich nur desjenigen Theils der Formel, welcher Intentio hieß. Die ganze Eintheilung konnte alſo nur vorkommen bey denje- nigen Prozeſſen, worin ein Judex gegeben wurde (§ 213), und nachdem alle Prozeſſe extraordinaria judicia gewor- den waren, hatte ſie ihre urſprüngliche Bedeutung verlo- ren, ſo daß jezt jedes unmittelbare Intereſſe derſelben ver- ſchwunden war (h). Es erklärt ſich aus dieſer weſent- lichen Veränderung, verbunden mit der eben verſuchten genaueren Herleitung der Ausdrücke, warum im Juſtinia- (f) Gajus II. § 253 (eben ſo § 4 J. de fid. her. 2. 23), Ul- pian. XXVIII. § 12. Allerdings ſpricht der erſte blos von utiles actiones bey dem Fideicommiß, der zweyte blos von fictitiae bey der bonorum possessio, und man könnte die Gleichartigkeit bei- der Klagen, die ich hier annehme, etwa noch bezweifeln. (g) S. o. Band 1 § 15. S. 56 über die Bedeutung von utilitas. (h) L. 47 § 1 de neg. gestis. (3. 5), ohne Zweifel interpolirt.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/86>, abgerufen am 25.04.2024.