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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.
seyn ihrer Schuld, und es giebt überhaupt nur sehr seltene
Fälle der Obligationen, worin der Schuldner zu allen
Zeiten ohne dieses Bewußtseyn geblieben seyn kann. Da-
hin würden z. B. folgende Fälle gehören: wenn der Erbe
durch Codicill zur Entrichtung eines Legats verpflichtet
wird, dieser Codicill aber durch Zufall dreyßig Jahre lang
verborgen bleibt; oder wenn ein Anderer meine Geschäfte
ohne Auftrag besorgt, und dabey Auslagen für mich macht,
von welchen ich nichts erfahre; oder wenn bey einem
empfangenen Indebitum der Irrthum erst nach Dreyßig
Jahren entdeckt wird. Nur in solchen höchst seltenen Fäl-
len würde überhaupt noch von einer Klagverjährung die
Rede seyn können.

Die Vertheidiger dieser extremen Meynung führen Drey
Gründe für dieselbe an: den allgemeinen Ausdruck der
Decretalen, den allgemeinen sittlichen Beweggrund, und
die natürliche Billigkeit. Die genauere Betrachtung dieser
drey Gründe wird zugleich dazu dienen, die dritte Mey-
nung gegen die Einwürfe zu vertheidigen, die ihr von den
Anhängern der ersten und zweyten gemacht werden.

1) Der Ausdruck der Decretalen lautet allerdings sehr
allgemein, und es heißt darin namentlich: nulla praescri-
ptio.
Allein in beiden Decretalen ist doch stets nur von
Besitzern fremder Sachen die Rede, so wie von der
conscientia rei alienae, welche Ausdrücke unmöglich von
nicht zahlenden Schuldnern gebraucht werden können. Auf
eben dieselbe Beschränkung führt auch schon der aus dem

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſeyn ihrer Schuld, und es giebt überhaupt nur ſehr ſeltene
Fälle der Obligationen, worin der Schuldner zu allen
Zeiten ohne dieſes Bewußtſeyn geblieben ſeyn kann. Da-
hin würden z. B. folgende Fälle gehören: wenn der Erbe
durch Codicill zur Entrichtung eines Legats verpflichtet
wird, dieſer Codicill aber durch Zufall dreyßig Jahre lang
verborgen bleibt; oder wenn ein Anderer meine Geſchäfte
ohne Auftrag beſorgt, und dabey Auslagen für mich macht,
von welchen ich nichts erfahre; oder wenn bey einem
empfangenen Indebitum der Irrthum erſt nach Dreyßig
Jahren entdeckt wird. Nur in ſolchen höchſt ſeltenen Fäl-
len würde überhaupt noch von einer Klagverjährung die
Rede ſeyn können.

Die Vertheidiger dieſer extremen Meynung führen Drey
Gründe für dieſelbe an: den allgemeinen Ausdruck der
Decretalen, den allgemeinen ſittlichen Beweggrund, und
die natürliche Billigkeit. Die genauere Betrachtung dieſer
drey Gründe wird zugleich dazu dienen, die dritte Mey-
nung gegen die Einwürfe zu vertheidigen, die ihr von den
Anhängern der erſten und zweyten gemacht werden.

1) Der Ausdruck der Decretalen lautet allerdings ſehr
allgemein, und es heißt darin namentlich: nulla praescri-
ptio.
Allein in beiden Decretalen iſt doch ſtets nur von
Beſitzern fremder Sachen die Rede, ſo wie von der
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[336/0350] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. ſeyn ihrer Schuld, und es giebt überhaupt nur ſehr ſeltene Fälle der Obligationen, worin der Schuldner zu allen Zeiten ohne dieſes Bewußtſeyn geblieben ſeyn kann. Da- hin würden z. B. folgende Fälle gehören: wenn der Erbe durch Codicill zur Entrichtung eines Legats verpflichtet wird, dieſer Codicill aber durch Zufall dreyßig Jahre lang verborgen bleibt; oder wenn ein Anderer meine Geſchäfte ohne Auftrag beſorgt, und dabey Auslagen für mich macht, von welchen ich nichts erfahre; oder wenn bey einem empfangenen Indebitum der Irrthum erſt nach Dreyßig Jahren entdeckt wird. Nur in ſolchen höchſt ſeltenen Fäl- len würde überhaupt noch von einer Klagverjährung die Rede ſeyn können. Die Vertheidiger dieſer extremen Meynung führen Drey Gründe für dieſelbe an: den allgemeinen Ausdruck der Decretalen, den allgemeinen ſittlichen Beweggrund, und die natürliche Billigkeit. Die genauere Betrachtung dieſer drey Gründe wird zugleich dazu dienen, die dritte Mey- nung gegen die Einwürfe zu vertheidigen, die ihr von den Anhängern der erſten und zweyten gemacht werden. 1) Der Ausdruck der Decretalen lautet allerdings ſehr allgemein, und es heißt darin namentlich: nulla praescri- ptio. Allein in beiden Decretalen iſt doch ſtets nur von Beſitzern fremder Sachen die Rede, ſo wie von der conscientia rei alienae, welche Ausdrücke unmöglich von nicht zahlenden Schuldnern gebraucht werden können. Auf eben dieſelbe Beſchränkung führt auch ſchon der aus dem

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/350>, abgerufen am 25.04.2024.