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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

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§. 237. Klagverjährung. Einleitung.
auf Geldschulden, weil hier die regelmäßige Tilgung in
einer spurlos vorübergehenden Handlung besteht, deren
Beweis oft durch den Verlust der Quittung unmöglich wird.
Schon aus dieser eingeschränkten Wahrheit der erwähnten
Präsumtion ist es einleuchtend, daß sie nicht wie andere,
gewöhnliche Präsumtionen behandelt werden darf, so daß
etwa der Kläger einen Gegenbeweis, z. B. durch Eides-
delation, unternehmen dürfte. Das Wesentliche und Wohl-
thätige der Klagverjährung besteht vielmehr gerade darin,
daß es fast immer ungewiß bleiben wird, ob die Schuld
bereits getilgt ist, also blos der fehlende Beweis ergänzt
wird, oder ob gegenwärtig die Klagverjährung eine selbst-
ständige Veränderung bewirkt. -- Eine ähnliche Präsum-
tion kann auch bey der Ersitzung behauptet werden, indem
es unwahrscheinlich ist, daß ein anderer Eigenthümer, wenn
ein solcher vorhanden wäre, seine Vindication lange Zeit
versäumt haben würde. Auch hier wird es oft ungewiß
bleiben, ob die Ersitzung Eigenthum aus einer Hand in
die andere gebracht, oder nur den fehlenden Beweis des
schon vorhandenen Eigenthums ersetzt hat. Diese Ansicht
findet vorzugsweise Anwendung bey der dreyßigjährigen
Ersitzung in Ermanglung des Titels, da nämlich der Ti-
tel oft wirklich vorhanden ist, und nur zufällig nicht be-
wiesen werden kann.

Drittens wird die Strafe der Nachlässigkeit als Grund
der Klagverjährung angegeben, und auch in unsren Rechts-

§. 237. Klagverjährung. Einleitung.
auf Geldſchulden, weil hier die regelmäßige Tilgung in
einer ſpurlos vorübergehenden Handlung beſteht, deren
Beweis oft durch den Verluſt der Quittung unmöglich wird.
Schon aus dieſer eingeſchränkten Wahrheit der erwähnten
Präſumtion iſt es einleuchtend, daß ſie nicht wie andere,
gewöhnliche Präſumtionen behandelt werden darf, ſo daß
etwa der Kläger einen Gegenbeweis, z. B. durch Eides-
delation, unternehmen dürfte. Das Weſentliche und Wohl-
thätige der Klagverjährung beſteht vielmehr gerade darin,
daß es faſt immer ungewiß bleiben wird, ob die Schuld
bereits getilgt iſt, alſo blos der fehlende Beweis ergänzt
wird, oder ob gegenwärtig die Klagverjährung eine ſelbſt-
ſtändige Veränderung bewirkt. — Eine ähnliche Präſum-
tion kann auch bey der Erſitzung behauptet werden, indem
es unwahrſcheinlich iſt, daß ein anderer Eigenthümer, wenn
ein ſolcher vorhanden wäre, ſeine Vindication lange Zeit
verſäumt haben würde. Auch hier wird es oft ungewiß
bleiben, ob die Erſitzung Eigenthum aus einer Hand in
die andere gebracht, oder nur den fehlenden Beweis des
ſchon vorhandenen Eigenthums erſetzt hat. Dieſe Anſicht
findet vorzugsweiſe Anwendung bey der dreyßigjährigen
Erſitzung in Ermanglung des Titels, da nämlich der Ti-
tel oft wirklich vorhanden iſt, und nur zufällig nicht be-
wieſen werden kann.

Drittens wird die Strafe der Nachläſſigkeit als Grund
der Klagverjährung angegeben, und auch in unſren Rechts-

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[269/0283] §. 237. Klagverjährung. Einleitung. auf Geldſchulden, weil hier die regelmäßige Tilgung in einer ſpurlos vorübergehenden Handlung beſteht, deren Beweis oft durch den Verluſt der Quittung unmöglich wird. Schon aus dieſer eingeſchränkten Wahrheit der erwähnten Präſumtion iſt es einleuchtend, daß ſie nicht wie andere, gewöhnliche Präſumtionen behandelt werden darf, ſo daß etwa der Kläger einen Gegenbeweis, z. B. durch Eides- delation, unternehmen dürfte. Das Weſentliche und Wohl- thätige der Klagverjährung beſteht vielmehr gerade darin, daß es faſt immer ungewiß bleiben wird, ob die Schuld bereits getilgt iſt, alſo blos der fehlende Beweis ergänzt wird, oder ob gegenwärtig die Klagverjährung eine ſelbſt- ſtändige Veränderung bewirkt. — Eine ähnliche Präſum- tion kann auch bey der Erſitzung behauptet werden, indem es unwahrſcheinlich iſt, daß ein anderer Eigenthümer, wenn ein ſolcher vorhanden wäre, ſeine Vindication lange Zeit verſäumt haben würde. Auch hier wird es oft ungewiß bleiben, ob die Erſitzung Eigenthum aus einer Hand in die andere gebracht, oder nur den fehlenden Beweis des ſchon vorhandenen Eigenthums erſetzt hat. Dieſe Anſicht findet vorzugsweiſe Anwendung bey der dreyßigjährigen Erſitzung in Ermanglung des Titels, da nämlich der Ti- tel oft wirklich vorhanden iſt, und nur zufällig nicht be- wieſen werden kann. Drittens wird die Strafe der Nachläſſigkeit als Grund der Klagverjährung angegeben, und auch in unſren Rechts-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/283>, abgerufen am 25.04.2024.