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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

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§. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortsetzung.)

Hieraus folgt, daß die wirkliche Leistung jene zer-
störende Kraft hat, wobey es ganz gleichgültig ist, ob diese
Leistung erfolgte vermittelst eines über die frühere Klage
gesprochenen rechtskräftigen Urtheils und der Exsecution,
oder aber freywillig; während des Prozesses, oder vor
demselben, aber mit Rücksicht auf ihn, also zur Abwendung
der Klage und des Urtheils.

Dagegen ist jene zerstörende Kraft nicht beyzulegen der
Anstellung der Klage, der Litiscontestation, ja selbst dem
rechtskräftigen Urtheil als solchem (a), so lange aus die-
sem Allen die wirkliche Leistung noch nicht erfolgt ist.

Die alten Juristen drücken diesen scharf bestimmten Ge-
gensatz in folgenden Worten aus:
perceptione, non litiscontestatione; perceptione, non

(a) Manche haben für das Ju-
dicat das Gegentheil behauptet,
weil ja nun der Kläger durch die
actio judicati das sichere Mittel
der Befriedigung habe, welches der
Befriedigung selbst gleich gelte.
Donellus § 8. Dieses ist nun
offenbar unrichtig, wenn die con-
currente Klage gegen einen Andern
als den zuerst Verurtheilten ange-
stellt wird, (z. B. wenn Zwey ge-
meinschaftlich betrogen haben, wes-
halb die doli actio gegen Jeden
in solidum geht), da der Verur-
theilte insolvent seyn kann. Aber
auch bey demselben Beklagten ist
kein Grund vorhanden, dem bloßen
Judicat jene Kraft zur Ausschlie-
ßung einer concurrenten Klage ein-
zuräumen, da es in der Macht des
Verurtheilten steht, das Judicat
freywillig zu erfüllen, in welchem
Fall die Leistung zerstörend wirkt.
Auch selbst wo die alte Prozeß-
consumtion eintrat, reichte doch
die exc. rei judicatae nicht wei-
ter, als schon vorher die exc. rei
in judicium deductae.
Es gilt
also hierin durchaus derselbe Grund,
aus welchem die Auflösung des
Pfandrechts vermittelst der Verur-
theilung des Schuldners verneint
wird. L. 13 § 4 de pign. act.
(13. 7.). "Nec per hoc videtur
satisfactum creditori, quod ha-
bet judicati actionem."
-- Thi-
baut
S. 156 vertheidigt auch die
hier aufgestellte Meynung, aber
mit einem nicht befriedigenden
Grund.
§. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

Hieraus folgt, daß die wirkliche Leiſtung jene zer-
ſtörende Kraft hat, wobey es ganz gleichgültig iſt, ob dieſe
Leiſtung erfolgte vermittelſt eines über die frühere Klage
geſprochenen rechtskräftigen Urtheils und der Exſecution,
oder aber freywillig; während des Prozeſſes, oder vor
demſelben, aber mit Rückſicht auf ihn, alſo zur Abwendung
der Klage und des Urtheils.

Dagegen iſt jene zerſtörende Kraft nicht beyzulegen der
Anſtellung der Klage, der Litisconteſtation, ja ſelbſt dem
rechtskräftigen Urtheil als ſolchem (a), ſo lange aus die-
ſem Allen die wirkliche Leiſtung noch nicht erfolgt iſt.

Die alten Juriſten drücken dieſen ſcharf beſtimmten Ge-
genſatz in folgenden Worten aus:
perceptione, non litiscontestatione; perceptione, non

(a) Manche haben für das Ju-
dicat das Gegentheil behauptet,
weil ja nun der Kläger durch die
actio judicati das ſichere Mittel
der Befriedigung habe, welches der
Befriedigung ſelbſt gleich gelte.
Donellus § 8. Dieſes iſt nun
offenbar unrichtig, wenn die con-
currente Klage gegen einen Andern
als den zuerſt Verurtheilten ange-
ſtellt wird, (z. B. wenn Zwey ge-
meinſchaftlich betrogen haben, wes-
halb die doli actio gegen Jeden
in solidum geht), da der Verur-
theilte inſolvent ſeyn kann. Aber
auch bey demſelben Beklagten iſt
kein Grund vorhanden, dem bloßen
Judicat jene Kraft zur Ausſchlie-
ßung einer concurrenten Klage ein-
zuräumen, da es in der Macht des
Verurtheilten ſteht, das Judicat
freywillig zu erfüllen, in welchem
Fall die Leiſtung zerſtörend wirkt.
Auch ſelbſt wo die alte Prozeß-
conſumtion eintrat, reichte doch
die exc. rei judicatae nicht wei-
ter, als ſchon vorher die exc. rei
in judicium deductae.
Es gilt
alſo hierin durchaus derſelbe Grund,
aus welchem die Auflöſung des
Pfandrechts vermittelſt der Verur-
theilung des Schuldners verneint
wird. L. 13 § 4 de pign. act.
(13. 7.). „Nec per hoc videtur
satisfactum creditori, quod ha-
bet judicati actionem.”
Thi-
baut
S. 156 vertheidigt auch die
hier aufgeſtellte Meynung, aber
mit einem nicht befriedigenden
Grund.
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[253/0267] §. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.) Hieraus folgt, daß die wirkliche Leiſtung jene zer- ſtörende Kraft hat, wobey es ganz gleichgültig iſt, ob dieſe Leiſtung erfolgte vermittelſt eines über die frühere Klage geſprochenen rechtskräftigen Urtheils und der Exſecution, oder aber freywillig; während des Prozeſſes, oder vor demſelben, aber mit Rückſicht auf ihn, alſo zur Abwendung der Klage und des Urtheils. Dagegen iſt jene zerſtörende Kraft nicht beyzulegen der Anſtellung der Klage, der Litisconteſtation, ja ſelbſt dem rechtskräftigen Urtheil als ſolchem (a), ſo lange aus die- ſem Allen die wirkliche Leiſtung noch nicht erfolgt iſt. Die alten Juriſten drücken dieſen ſcharf beſtimmten Ge- genſatz in folgenden Worten aus: perceptione, non litiscontestatione; perceptione, non (a) Manche haben für das Ju- dicat das Gegentheil behauptet, weil ja nun der Kläger durch die actio judicati das ſichere Mittel der Befriedigung habe, welches der Befriedigung ſelbſt gleich gelte. Donellus § 8. Dieſes iſt nun offenbar unrichtig, wenn die con- currente Klage gegen einen Andern als den zuerſt Verurtheilten ange- ſtellt wird, (z. B. wenn Zwey ge- meinſchaftlich betrogen haben, wes- halb die doli actio gegen Jeden in solidum geht), da der Verur- theilte inſolvent ſeyn kann. Aber auch bey demſelben Beklagten iſt kein Grund vorhanden, dem bloßen Judicat jene Kraft zur Ausſchlie- ßung einer concurrenten Klage ein- zuräumen, da es in der Macht des Verurtheilten ſteht, das Judicat freywillig zu erfüllen, in welchem Fall die Leiſtung zerſtörend wirkt. Auch ſelbſt wo die alte Prozeß- conſumtion eintrat, reichte doch die exc. rei judicatae nicht wei- ter, als ſchon vorher die exc. rei in judicium deductae. Es gilt alſo hierin durchaus derſelbe Grund, aus welchem die Auflöſung des Pfandrechts vermittelſt der Verur- theilung des Schuldners verneint wird. L. 13 § 4 de pign. act. (13. 7.). „Nec per hoc videtur satisfactum creditori, quod ha- bet judicati actionem.” — Thi- baut S. 156 vertheidigt auch die hier aufgeſtellte Meynung, aber mit einem nicht befriedigenden Grund.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/267>, abgerufen am 18.04.2024.