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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

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§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.
Recht die Romenclatur der Klagen völlig unentbehrlich;
denn diese ist für das System des praktischen Rechts un-
gefähr Das, was die Grammatik für die Sprache ist.
Ich kann mich auf die Erfahrung eines Jeden berufen,
der die gemeinrechtliche Praxis kennt, wie sehr die Beur-
theilung der Rechtsverhältnisse selbst durch jene Nomen-
clatur an Schärfe und Sicherheit gewinnt (r). -- Manche
neuere Schriftsteller haben Dieses recht gut eingesehen (s),
während Andere jene Behauptung der praktischen Gleich-
gültigkeit der Nomenclatur dahin umbilden, daß uns die
Mühe theoretischer Untersuchungen abgenommen, damit
aber auch die wahrhaft heilsame Frucht derselben für das
praktische Recht entzogen seyn sollte.

Um die praktische Gleichgültigkeit der Klagnamen zu
beweisen, führt man unnöthigerweise eine Stelle des cano-
nischen Rechts an, welche allerdings diese Regel aus-
spricht, aber in Ausdrücken, nach welchen man annehmen
kann, daß sich der Verfasser den eben erörterten Unter-
schied nicht klar gemacht habe, und welche daher zur Un-
terstützung der hier gerügten irrigen Ansicht beytragen
mußten (t). Ein Gleiches ist von einer Vorschrift des

(r) Vgl. B. 1 § 20 S. 92.
(s) Cocceji jus controv. II.
13 qu. 3 "Obj. 2. Quod actio-
num nomina frustra essent in-
venta. Resp. Imo manet eorum
usus ad rite discernenda ne-
gotia."
(t) C. 6. X. de jud. (2. 1.).
"Provideatis attentius, ne ita
subtiliter, sicut a multis fieri
solet, cujusmodi actio intente-
tur, inquiratis,
sed simpliciter
et pure factum ipsum et rei
veritatem ... investigare cure-
tis."
Hier geht die Warnung ge-
gen die theoretische Untersuchung,
wodurch der Richter sein Urtheil
auf festen Grund zu bauen suchen

§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.
Recht die Romenclatur der Klagen völlig unentbehrlich;
denn dieſe iſt für das Syſtem des praktiſchen Rechts un-
gefähr Das, was die Grammatik für die Sprache iſt.
Ich kann mich auf die Erfahrung eines Jeden berufen,
der die gemeinrechtliche Praxis kennt, wie ſehr die Beur-
theilung der Rechtsverhältniſſe ſelbſt durch jene Nomen-
clatur an Schärfe und Sicherheit gewinnt (r). — Manche
neuere Schriftſteller haben Dieſes recht gut eingeſehen (s),
während Andere jene Behauptung der praktiſchen Gleich-
gültigkeit der Nomenclatur dahin umbilden, daß uns die
Mühe theoretiſcher Unterſuchungen abgenommen, damit
aber auch die wahrhaft heilſame Frucht derſelben für das
praktiſche Recht entzogen ſeyn ſollte.

Um die praktiſche Gleichgültigkeit der Klagnamen zu
beweiſen, führt man unnöthigerweiſe eine Stelle des cano-
niſchen Rechts an, welche allerdings dieſe Regel aus-
ſpricht, aber in Ausdrücken, nach welchen man annehmen
kann, daß ſich der Verfaſſer den eben erörterten Unter-
ſchied nicht klar gemacht habe, und welche daher zur Un-
terſtützung der hier gerügten irrigen Anſicht beytragen
mußten (t). Ein Gleiches iſt von einer Vorſchrift des

(r) Vgl. B. 1 § 20 S. 92.
(s) Cocceji jus controv. II.
13 qu. 3 „Obj. 2. Quod actio-
num nomina frustra essent in-
venta. Resp. Imo manet eorum
usus ad rite discernenda ne-
gotia.”
(t) C. 6. X. de jud. (2. 1.).
„Provideatis attentius, ne ita
subtiliter, sicut a multis fieri
solet, cujusmodi actio intente-
tur, inquiratis,
sed simpliciter
et pure factum ipsum et rei
veritatem … investigare cure-
tis.”
Hier geht die Warnung ge-
gen die theoretiſche Unterſuchung,
wodurch der Richter ſein Urtheil
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[149/0163] §. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung. Recht die Romenclatur der Klagen völlig unentbehrlich; denn dieſe iſt für das Syſtem des praktiſchen Rechts un- gefähr Das, was die Grammatik für die Sprache iſt. Ich kann mich auf die Erfahrung eines Jeden berufen, der die gemeinrechtliche Praxis kennt, wie ſehr die Beur- theilung der Rechtsverhältniſſe ſelbſt durch jene Nomen- clatur an Schärfe und Sicherheit gewinnt (r). — Manche neuere Schriftſteller haben Dieſes recht gut eingeſehen (s), während Andere jene Behauptung der praktiſchen Gleich- gültigkeit der Nomenclatur dahin umbilden, daß uns die Mühe theoretiſcher Unterſuchungen abgenommen, damit aber auch die wahrhaft heilſame Frucht derſelben für das praktiſche Recht entzogen ſeyn ſollte. Um die praktiſche Gleichgültigkeit der Klagnamen zu beweiſen, führt man unnöthigerweiſe eine Stelle des cano- niſchen Rechts an, welche allerdings dieſe Regel aus- ſpricht, aber in Ausdrücken, nach welchen man annehmen kann, daß ſich der Verfaſſer den eben erörterten Unter- ſchied nicht klar gemacht habe, und welche daher zur Un- terſtützung der hier gerügten irrigen Anſicht beytragen mußten (t). Ein Gleiches iſt von einer Vorſchrift des (r) Vgl. B. 1 § 20 S. 92. (s) Cocceji jus controv. II. 13 qu. 3 „Obj. 2. Quod actio- num nomina frustra essent in- venta. Resp. Imo manet eorum usus ad rite discernenda ne- gotia.” (t) C. 6. X. de jud. (2. 1.). „Provideatis attentius, ne ita subtiliter, sicut a multis fieri solet, cujusmodi actio intente- tur, inquiratis, sed simpliciter et pure factum ipsum et rei veritatem … investigare cure- tis.” Hier geht die Warnung ge- gen die theoretiſche Unterſuchung, wodurch der Richter ſein Urtheil auf feſten Grund zu bauen ſuchen

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/163>, abgerufen am 23.04.2024.