Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.
kann man sich zuversichtlich auf das Bewußtseyn aller
Derjenigen berufen, welchen Rechtsgeschäfte nicht aus der
Theorie, sondern nur aus Erfahrung bekannt sind. Es
würde schwer seyn, einem Solchen begreiflich zu machen,
daß die Schuld aus einem Darlehen, oder einem irrig ge-
zahlten Indebitum, eine ganz andere Natur habe, als die
aus einem Kauf oder Miethcontract; er müßte nothwen-
dig Vorlesungen über Römisches Recht gehört haben, um
es verstehen zu können. -- Dieses wird noch gewisser
durch die Vergleichung mit demjenigen heutigen Rechtsge-
schäft, welches völlig die Natur eines Römischen stricti
juris
Contracts hat, dem Wechselgeschäft nämlich; hier
weiß Jeder, daß die so contrahirte Schuld eine ganz an-
dere Natur und Wirkung hat, als die oben erwähnten
Verträge, welchen er dagegen eine unter sich durchaus
gleichartige Wirkung zuschreiben wird. -- Es kommt noch
der wichtige Umstand hinzu, daß die erste Bedingung wirk-
lich fortdauernder Rechtsregeln die Kenntniß derselben ist;
nun lag aber der Unterschied der stricti juris und bonae
fidei actiones
bisher größtentheils im Dunkeln, und es ist
erst durch die sehr neue und zufällige Entdeckung der In-
stitutionen des Gajus möglich geworden, klar in dieser
Sache zu sehen.

Eine unwidersprechliche Bestätigung jener Veränderung
liegt ferner in einem unsrer Reichsgesetze. Der bestimm-
teste praktische Unterschied jener beiden Arten der Klagen,
der auch jetzt noch als fortdauernd sehr wohl denkbar

§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.
kann man ſich zuverſichtlich auf das Bewußtſeyn aller
Derjenigen berufen, welchen Rechtsgeſchäfte nicht aus der
Theorie, ſondern nur aus Erfahrung bekannt ſind. Es
würde ſchwer ſeyn, einem Solchen begreiflich zu machen,
daß die Schuld aus einem Darlehen, oder einem irrig ge-
zahlten Indebitum, eine ganz andere Natur habe, als die
aus einem Kauf oder Miethcontract; er müßte nothwen-
dig Vorleſungen über Römiſches Recht gehört haben, um
es verſtehen zu können. — Dieſes wird noch gewiſſer
durch die Vergleichung mit demjenigen heutigen Rechtsge-
ſchäft, welches völlig die Natur eines Römiſchen stricti
juris
Contracts hat, dem Wechſelgeſchäft nämlich; hier
weiß Jeder, daß die ſo contrahirte Schuld eine ganz an-
dere Natur und Wirkung hat, als die oben erwähnten
Verträge, welchen er dagegen eine unter ſich durchaus
gleichartige Wirkung zuſchreiben wird. — Es kommt noch
der wichtige Umſtand hinzu, daß die erſte Bedingung wirk-
lich fortdauernder Rechtsregeln die Kenntniß derſelben iſt;
nun lag aber der Unterſchied der stricti juris und bonae
fidei actiones
bisher größtentheils im Dunkeln, und es iſt
erſt durch die ſehr neue und zufällige Entdeckung der In-
ſtitutionen des Gajus möglich geworden, klar in dieſer
Sache zu ſehen.

Eine unwiderſprechliche Beſtätigung jener Veränderung
liegt ferner in einem unſrer Reichsgeſetze. Der beſtimm-
teſte praktiſche Unterſchied jener beiden Arten der Klagen,
der auch jetzt noch als fortdauernd ſehr wohl denkbar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0153" n="139"/><fw place="top" type="header">§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.</fw><lb/>
kann man &#x017F;ich zuver&#x017F;ichtlich auf das Bewußt&#x017F;eyn aller<lb/>
Derjenigen berufen, welchen Rechtsge&#x017F;chäfte nicht aus der<lb/>
Theorie, &#x017F;ondern nur aus Erfahrung bekannt &#x017F;ind. Es<lb/>
würde &#x017F;chwer &#x017F;eyn, einem Solchen begreiflich zu machen,<lb/>
daß die Schuld aus einem Darlehen, oder einem irrig ge-<lb/>
zahlten Indebitum, eine ganz andere Natur habe, als die<lb/>
aus einem Kauf oder Miethcontract; er müßte nothwen-<lb/>
dig Vorle&#x017F;ungen über Römi&#x017F;ches Recht gehört haben, um<lb/>
es ver&#x017F;tehen zu können. &#x2014; Die&#x017F;es wird noch gewi&#x017F;&#x017F;er<lb/>
durch die Vergleichung mit demjenigen heutigen Rechtsge-<lb/>
&#x017F;chäft, welches völlig die Natur eines Römi&#x017F;chen <hi rendition="#aq">stricti<lb/>
juris</hi> Contracts hat, dem Wech&#x017F;elge&#x017F;chäft nämlich; hier<lb/>
weiß Jeder, daß die &#x017F;o contrahirte Schuld eine ganz an-<lb/>
dere Natur und Wirkung hat, als die oben erwähnten<lb/>
Verträge, welchen er dagegen eine unter &#x017F;ich durchaus<lb/>
gleichartige Wirkung zu&#x017F;chreiben wird. &#x2014; Es kommt noch<lb/>
der wichtige Um&#x017F;tand hinzu, daß die er&#x017F;te Bedingung wirk-<lb/>
lich fortdauernder Rechtsregeln die Kenntniß der&#x017F;elben i&#x017F;t;<lb/>
nun lag aber der Unter&#x017F;chied der <hi rendition="#aq">stricti juris</hi> und <hi rendition="#aq">bonae<lb/>
fidei actiones</hi> bisher größtentheils im Dunkeln, und es i&#x017F;t<lb/>
er&#x017F;t durch die &#x017F;ehr neue und zufällige Entdeckung der In-<lb/>
&#x017F;titutionen des Gajus möglich geworden, klar in die&#x017F;er<lb/>
Sache zu &#x017F;ehen.</p><lb/>
            <p>Eine unwider&#x017F;prechliche Be&#x017F;tätigung jener Veränderung<lb/>
liegt ferner in einem un&#x017F;rer Reichsge&#x017F;etze. Der be&#x017F;timm-<lb/>
te&#x017F;te prakti&#x017F;che Unter&#x017F;chied jener beiden Arten der Klagen,<lb/>
der auch jetzt noch als fortdauernd &#x017F;ehr wohl denkbar<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0153] §. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung. kann man ſich zuverſichtlich auf das Bewußtſeyn aller Derjenigen berufen, welchen Rechtsgeſchäfte nicht aus der Theorie, ſondern nur aus Erfahrung bekannt ſind. Es würde ſchwer ſeyn, einem Solchen begreiflich zu machen, daß die Schuld aus einem Darlehen, oder einem irrig ge- zahlten Indebitum, eine ganz andere Natur habe, als die aus einem Kauf oder Miethcontract; er müßte nothwen- dig Vorleſungen über Römiſches Recht gehört haben, um es verſtehen zu können. — Dieſes wird noch gewiſſer durch die Vergleichung mit demjenigen heutigen Rechtsge- ſchäft, welches völlig die Natur eines Römiſchen stricti juris Contracts hat, dem Wechſelgeſchäft nämlich; hier weiß Jeder, daß die ſo contrahirte Schuld eine ganz an- dere Natur und Wirkung hat, als die oben erwähnten Verträge, welchen er dagegen eine unter ſich durchaus gleichartige Wirkung zuſchreiben wird. — Es kommt noch der wichtige Umſtand hinzu, daß die erſte Bedingung wirk- lich fortdauernder Rechtsregeln die Kenntniß derſelben iſt; nun lag aber der Unterſchied der stricti juris und bonae fidei actiones bisher größtentheils im Dunkeln, und es iſt erſt durch die ſehr neue und zufällige Entdeckung der In- ſtitutionen des Gajus möglich geworden, klar in dieſer Sache zu ſehen. Eine unwiderſprechliche Beſtätigung jener Veränderung liegt ferner in einem unſrer Reichsgeſetze. Der beſtimm- teſte praktiſche Unterſchied jener beiden Arten der Klagen, der auch jetzt noch als fortdauernd ſehr wohl denkbar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/153
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/153>, abgerufen am 25.04.2024.