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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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dasjenige, was oben über das Bedürfniß eines Ge-
setzbuchs gesagt wurde, ist die Geschichte des Römi-
schen Rechts sehr lehrreich. So lange das Recht in
lebendigem Fortschreiten war, wurde kein Gesetzbuch
nöthig gesunden, selbst da nicht, als die Umstände
dafür am günstigsten waren. Nämlich zur Zeit der
classischen Juristen hätte es keine Schwierigkeit ge-
macht, ein treffliches Gesetzbuch zu verfassen. Auch
waren die drey berühmtesten Juristen, Papinian,
Ulpian
und Paulus praefecti praetorio; diesen
fehlte es sicher weder an Interesse für das Recht,
noch an Macht, ein Gesetzbuch zu veranlassen, wenn
sie es gut oder nöthig fanden: dennoch sehen wir
keine Spur von einem solchen Versuche. Aber als
früher Cäsar im Gefühl seiner Kraft und der
Schlechtigkeit des Zeitalters nur seinen Willen in
Rom gelten lassen wollte, soll er auch auf ein Ge-
setzbuch in unserm Sinne bedacht gewesen seyn *).
Und als im sechsten Jahrhundert alles geistige Leben
erstorben war, suchte man Trümmer aus besseren
Zeiten zusammen, um dem Bedürfaiß des Augen-
blicks abzuhelfen. So entstanden in einem kurzen
Zeitraum verschiedene Römische Gesetzbücher: das
Edict des Theoderich, das Westgothische Brevia-

*) Sueton. Caesar. C. 44. Jus civile ad certum modum redi-
gere, atque ex immensa diffusaque legum copia, optima quaeque
et necessaria in paucissimos conferre libros.

dasjenige, was oben über das Bedürfniß eines Ge-
ſetzbuchs geſagt wurde, iſt die Geſchichte des Römi-
ſchen Rechts ſehr lehrreich. So lange das Recht in
lebendigem Fortſchreiten war, wurde kein Geſetzbuch
nöthig geſunden, ſelbſt da nicht, als die Umſtände
dafür am günſtigſten waren. Nämlich zur Zeit der
claſſiſchen Juriſten hätte es keine Schwierigkeit ge-
macht, ein treffliches Geſetzbuch zu verfaſſen. Auch
waren die drey berühmteſten Juriſten, Papinian,
Ulpian
und Paulus praefecti praetorio; dieſen
fehlte es ſicher weder an Intereſſe für das Recht,
noch an Macht, ein Geſetzbuch zu veranlaſſen, wenn
ſie es gut oder nöthig fanden: dennoch ſehen wir
keine Spur von einem ſolchen Verſuche. Aber als
früher Cäſar im Gefühl ſeiner Kraft und der
Schlechtigkeit des Zeitalters nur ſeinen Willen in
Rom gelten laſſen wollte, ſoll er auch auf ein Ge-
ſetzbuch in unſerm Sinne bedacht geweſen ſeyn *).
Und als im ſechſten Jahrhundert alles geiſtige Leben
erſtorben war, ſuchte man Trümmer aus beſſeren
Zeiten zuſammen, um dem Bedürfaiß des Augen-
blicks abzuhelfen. So entſtanden in einem kurzen
Zeitraum verſchiedene Römiſche Geſetzbücher: das
Edict des Theoderich, das Weſtgothiſche Brevia-

*) Sueton. Caesar. C. 44. Jus civile ad certum modum redi-
gere, atque ex immensa diffusaque legum copia, optima quaeque
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[34/0044] dasjenige, was oben über das Bedürfniß eines Ge- ſetzbuchs geſagt wurde, iſt die Geſchichte des Römi- ſchen Rechts ſehr lehrreich. So lange das Recht in lebendigem Fortſchreiten war, wurde kein Geſetzbuch nöthig geſunden, ſelbſt da nicht, als die Umſtände dafür am günſtigſten waren. Nämlich zur Zeit der claſſiſchen Juriſten hätte es keine Schwierigkeit ge- macht, ein treffliches Geſetzbuch zu verfaſſen. Auch waren die drey berühmteſten Juriſten, Papinian, Ulpian und Paulus praefecti praetorio; dieſen fehlte es ſicher weder an Intereſſe für das Recht, noch an Macht, ein Geſetzbuch zu veranlaſſen, wenn ſie es gut oder nöthig fanden: dennoch ſehen wir keine Spur von einem ſolchen Verſuche. Aber als früher Cäſar im Gefühl ſeiner Kraft und der Schlechtigkeit des Zeitalters nur ſeinen Willen in Rom gelten laſſen wollte, ſoll er auch auf ein Ge- ſetzbuch in unſerm Sinne bedacht geweſen ſeyn *). Und als im ſechſten Jahrhundert alles geiſtige Leben erſtorben war, ſuchte man Trümmer aus beſſeren Zeiten zuſammen, um dem Bedürfaiß des Augen- blicks abzuhelfen. So entſtanden in einem kurzen Zeitraum verſchiedene Römiſche Geſetzbücher: das Edict des Theoderich, das Weſtgothiſche Brevia- *) Sueton. Caesar. C. 44. Jus civile ad certum modum redi- gere, atque ex immensa diffusaque legum copia, optima quaeque et necessaria in paucissimos conferre libros.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/44>, abgerufen am 20.04.2024.