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Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 1,2. Nürnberg, 1675.

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[Spaltenumbruch] daß diese Kunst damals nicht erst ihren Anfang genommen; sondern schon auf dem Gipfel der Vollkommenheit müsse gestanden haben. Dieses will er noch mehr beglaubigen/ zu Arezzo, durch die vielfältige Aretin aufgegrabene schwarze und rothe schöne Geschirre/ auf welchen/ mit sonderbarer subtiler Kunst/ völlige Geschichten und Historien/ von rund- und mitler Erhebung/ zu sehen gewesen: welche nicht von Anfängern/ sondern von wol-geübten Meistern müssen gemacht worden seyn.

und Viterbo. Es bezeugen auch die zu Viterbo, bey Anfang der Regierung Papsts Alexandri VI. gefundene unterschiedliche Statuen/ daß die Bildhauerey lang vorher/ in selbiger Gegend/ müsse gantz vollkommen bekandt gewesen seyn. Dann ob man schon nicht weiß/ wann/ und zu welcher Zeit/ solche Bilderey-Stucke verfertiget worden/ so ist doch/ aus der alten Manier und Art/ selbiger Figuren/ Begräbniße/ Gebäude/ und eingegrabenen jezt ungewöhnlichen und unbekandten Toscani Schriften/ gründlich zu vermuten/ daß sie uralt/ und zu solchen Zeiten gemacht worden/ da diese Stadt in der bästen Blüte ihres Wolstandes gewesen. So hat man auch zu unsrer Vorfahren Zeiten/ Anno 1554/ als man/ die Stadt Arezzo zu befästigen/ vielfältig gegraben/ eine ehrne Bildnis des ungeheuren Bellerophons gefunden/ in dessen Klauen etliche Buchstaben eingehauen gewesen/ aus denen die Sprach-kündige so wol deren Uralter/ als auch den Namen des Künstlers und Werkmeisters ersehen mögen. Dieses Bild ist/ als eine sonderbare Antiquität und rar-künstliches Stuck/ in den Groß-Herzoglichen Palast/ auf den neuen Saal/ wo die Thaten Papsts Leonis X. abgebildet stehen/ gebracht und gesetzet worden. Man hat auch sonst noch viele dergleichen alte Stuck erörtert/ welche der Groß-Herzog Cosmus an sich gebracht/ und daselbst verwahret werden.

Weil aber das Alter dieser Künste-Erfindung/ sowol bey den Griechen/ Egyptern und Chaldeern/ als auch/ und etwan mehr/ dann bey den Italienern und Florentinern/ zweifelhafft ist/ werde ich/ meinem Bedunken nach/ mit meinem discurs der Warheit am nechsten tretten/ und wird mir hoffentlich ein jeder beyfallen/ der solches mit Gedult und gründlichem Nachsinnen erwäget/ wann ich sage/ daß/ Der Erz-Ursprung dieser Künste/ ist die Natur/ und der Verstand des Menschen/ als dessen wahrer Lehrmeister. der Erz-Ursprung dieser Künste/ die menschliche Natur selber/ auch deren erste Idea, modell und exemplar der erschaffene herrliche Bau dieser grossen Welt/ und der wahre Lehrmeister hierinn das übernatürliche Liecht des Verstandes gewesen/ welches/ aus sonderer Gnade/ die himmlische Allmacht den Menschen eingegossen und ertheilet. Und durch solches Liecht ist der Mensch/ als deren Oberherrscher/ über alle unvernünftige Thiere erhoben/ ja Gotte selber/ gewisser massen/ gleich gebildet und gestaltet worden. Wann die einfältige kleine Kinder/ wie die Erfahrung bezeuget/ [Spaltenumbruch] Beyspiel von kleinen einfältigen Kindern.die ganz grob und ungeschlacht/ unter dem Bauers-Volk/ in Wäldern und Einöden aufwachsen/ so weit kommen/ daß sie/ auf unterweilige Besichtigung etlicher schöner Bildnisen und Statuen/ durch Beyhülffe ihres eingeschaffenen Verstandes/ und natürlicher Neigung/ etwas zu zeichnen angefangen: Wieviel mehr ist glaublich/ daß die erste Menschen/ welche um soviel vollkommener am Verstand/ je näher sie noch ihrem ersten Göttlichen Ursprung gewesen/ daß sie/ sage ich/ durch Anleitung Diese Künste sind Nachfolgerinnen der Natur. der Natur und Verstandes/ aus den vielfältigen schönen Ideen und modellen des erst-aufgeführten Welt-Gebäudes/ diese löbliche Künste/ die nichts anders als eine Nachahmung und Folge der Natur sind/ abgesehen/ auch nach und nach verbässert/ und zu endlicher Vollkommenheit gebracht haben.

Ich will zwar nicht laugnen/ daß einer sey der erste gewesen/ der solche Künste erdacht/ weil jede Erfindungen sich auf einen Anfänger beziehen. ich will auch nicht streiten/ daß sofort/ nach dem ersten/ andere gewesen/ die zu Erfindung der Zeichen-Kunst/ der erhabenen Arbeit/ (Rilievo) Bildhauerey/ und des Mahlens oder Colorirens/ geholfen. Massen der Verstand eines einigen/ in diesen Künsten/ so hoch nicht steigen können/ daß nicht ein anderer sinnreicher Geist etwas hätte hinzuthun/ und solche zu mehrerer Vollkommenheit erheben mögen. Dieses allein sage Es ist schwer/ die erste Erfindere zu benennen. ich/ es sey schwer zu bejahen/ daß dieser oder jener der gewieße und unfehlbare Erfinder dieser Künste gewesen seye. Dann/ nachdem ihre Kunst-Stucke in die erste/andere/dritte/ und folglich hundertste und tausendste Hand gewandert/ sind durch Langwürigkeit der Zeiten/ ihre Namen/ zumal solche von keinen Scribenten aufgezeichnet worden/ erloschen/ und in Vergessenheit gerahten. Und obschon viele Schriftlinge eines und andern Anfängers in ihren Büchern gedencken/ wollen doch solche nichts anders sagen/ als daß dieser der erste sey/ dessen man sich noch erinnere/ nicht aber/ daß vor solchen kein anderer gewesen seye: Gleichwie die einstimmige Meinung/ Homerus ist auch nicht der erste Poet. Homerum den alten Kunst-Dichter/ für den ersten Poeten erhebet/ nicht daß vor ihm keiner gewesen (dann wie hätte er vonselbst zu solcher Vollkommenheit gelangen können/ wann er nicht zuvor von andern gelernet) sondern weil deren Gedächtnis/ samt ihren Schriften/ vergangen/ und allein sein Name und Gedichte/ als noch das erste/ übrig geblieben.

Die Zeichen-Kunst ist vor der Pittura und Scultura, und deren Mutter/ gewesen.Es ist aber gantz gewiß/ daß die Zeichen-Kunst vor der Mahlerey und Bildhauerey gewesen/ denen sie nachmals den Ursprung gegeben/ und hat sie diesen beyden so wenig/ als die Buchdruckerey der Schreib-Kunst den Vorzug zu cediren und abzutretten. Daß man aber solches nicht mit so alten Werken/ als wie in der Bildhauerey/ erweisen und vor Augen legen kan/ ist Ursach der Stoff oder

[Spaltenumbruch] daß diese Kunst damals nicht erst ihren Anfang genommen; sondern schon auf dem Gipfel der Vollkommenheit müsse gestanden haben. Dieses will er noch mehr beglaubigen/ zu Arezzo, durch die vielfältige Aretin aufgegrabene schwarze und rothe schöne Geschirre/ auf welchen/ mit sonderbarer subtiler Kunst/ völlige Geschichten und Historien/ von rund- und mitler Erhebung/ zu sehen gewesen: welche nicht von Anfängern/ sondern von wol-geübten Meistern müssen gemacht worden seyn.

und Viterbo. Es bezeugen auch die zu Viterbo, bey Anfang der Regierung Papsts Alexandri VI. gefundene unterschiedliche Statuen/ daß die Bildhauerey lang vorher/ in selbiger Gegend/ müsse gantz vollkommen bekandt gewesen seyn. Dann ob man schon nicht weiß/ wann/ und zu welcher Zeit/ solche Bilderey-Stucke verfertiget worden/ so ist doch/ aus der alten Manier und Art/ selbiger Figuren/ Begräbniße/ Gebäude/ und eingegrabenen jezt ungewöhnlichen und unbekandten Toscani Schriften/ gründlich zu vermuten/ daß sie uralt/ und zu solchen Zeiten gemacht worden/ da diese Stadt in der bästen Blüte ihres Wolstandes gewesen. So hat man auch zu unsrer Vorfahren Zeiten/ Anno 1554/ als man/ die Stadt Arezzo zu befästigen/ vielfältig gegraben/ eine ehrne Bildnis des ungeheuren Bellerophons gefunden/ in dessen Klauen etliche Buchstaben eingehauen gewesen/ aus denen die Sprach-kündige so wol deren Uralter/ als auch den Namen des Künstlers und Werkmeisters ersehen mögen. Dieses Bild ist/ als eine sonderbare Antiquität und rar-künstliches Stuck/ in den Groß-Herzoglichen Palast/ auf den neuen Saal/ wo die Thaten Papsts Leonis X. abgebildet stehen/ gebracht und gesetzet worden. Man hat auch sonst noch viele dergleichen alte Stuck erörtert/ welche der Groß-Herzog Cosmus an sich gebracht/ und daselbst verwahret werden.

Weil aber das Alter dieser Künste-Erfindung/ sowol bey den Griechen/ Egyptern und Chaldeern/ als auch/ und etwan mehr/ dann bey den Italienern und Florentinern/ zweifelhafft ist/ werde ich/ meinem Bedunken nach/ mit meinem discurs der Warheit am nechsten tretten/ und wird mir hoffentlich ein jeder beyfallen/ der solches mit Gedult und gründlichem Nachsinnen erwäget/ wann ich sage/ daß/ Der Erz-Ursprung dieser Künste/ ist die Natur/ und der Verstand des Menschen/ als dessen wahrer Lehrmeister. der Erz-Ursprung dieser Künste/ die menschliche Natur selber/ auch deren erste Idea, modell und exemplar der erschaffene herrliche Bau dieser grossen Welt/ und der wahre Lehrmeister hierinn das übernatürliche Liecht des Verstandes gewesen/ welches/ aus sonderer Gnade/ die himmlische Allmacht den Menschen eingegossen und ertheilet. Und durch solches Liecht ist der Mensch/ als deren Oberherrscher/ über alle unvernünftige Thiere erhoben/ ja Gotte selber/ gewisser massen/ gleich gebildet und gestaltet worden. Wann die einfältige kleine Kinder/ wie die Erfahrung bezeuget/ [Spaltenumbruch] Beyspiel von kleinen einfältigen Kindern.die ganz grob und ungeschlacht/ unter dem Bauers-Volk/ in Wäldern und Einöden aufwachsen/ so weit kommen/ daß sie/ auf unterweilige Besichtigung etlicher schöner Bildnisen und Statuen/ durch Beyhülffe ihres eingeschaffenen Verstandes/ und natürlicher Neigung/ etwas zu zeichnen angefangen: Wieviel mehr ist glaublich/ daß die erste Menschen/ welche um soviel vollkommener am Verstand/ je näher sie noch ihrem ersten Göttlichen Ursprung gewesen/ daß sie/ sage ich/ durch Anleitung Diese Künste sind Nachfolgerinnen der Natur. der Natur und Verstandes/ aus den vielfältigen schönen Ideen und modellen des erst-aufgeführten Welt-Gebäudes/ diese löbliche Künste/ die nichts anders als eine Nachahmung und Folge der Natur sind/ abgesehen/ auch nach und nach verbässert/ und zu endlicher Vollkommenheit gebracht haben.

Ich will zwar nicht laugnen/ daß einer sey der erste gewesen/ der solche Künste erdacht/ weil jede Erfindungen sich auf einen Anfänger beziehen. ich will auch nicht streiten/ daß sofort/ nach dem ersten/ andere gewesen/ die zu Erfindung der Zeichen-Kunst/ der erhabenen Arbeit/ (Rilievo) Bildhauerey/ und des Mahlens oder Colorirens/ geholfen. Massen der Verstand eines einigen/ in diesen Künsten/ so hoch nicht steigen können/ daß nicht ein anderer sinnreicher Geist etwas hätte hinzuthun/ und solche zu mehrerer Vollkommenheit erheben mögen. Dieses allein sage Es ist schwer/ die erste Erfindere zu benennen. ich/ es sey schwer zu bejahen/ daß dieser oder jener der gewieße und unfehlbare Erfinder dieser Künste gewesen seye. Dann/ nachdem ihre Kunst-Stucke in die erste/andere/dritte/ und folglich hundertste und tausendste Hand gewandert/ sind durch Langwürigkeit der Zeiten/ ihre Namen/ zumal solche von keinen Scribenten aufgezeichnet worden/ erloschen/ und in Vergessenheit gerahten. Und obschon viele Schriftlinge eines und andern Anfängers in ihren Büchern gedencken/ wollen doch solche nichts anders sagen/ als daß dieser der erste sey/ dessen man sich noch erinnere/ nicht aber/ daß vor solchen kein anderer gewesen seye: Gleichwie die einstimmige Meinung/ Homerus ist auch nicht der erste Poët. Homerum den alten Kunst-Dichter/ für den ersten Poëten erhebet/ nicht daß vor ihm keiner gewesen (dann wie hätte er vonselbst zu solcher Vollkommenheit gelangen können/ wann er nicht zuvor von andern gelernet) sondern weil deren Gedächtnis/ samt ihren Schriften/ vergangen/ und allein sein Name und Gedichte/ als noch das erste/ übrig geblieben.

Die Zeichen-Kunst ist vor der Pittura und Scultura, und deren Mutter/ gewesen.Es ist aber gantz gewiß/ daß die Zeichen-Kunst vor der Mahlerey und Bildhauerey gewesen/ denen sie nachmals den Ursprung gegeben/ und hat sie diesen beyden so wenig/ als die Buchdruckerey der Schreib-Kunst den Vorzug zu cediren und abzutretten. Daß man aber solches nicht mit so alten Werken/ als wie in der Bildhauerey/ erweisen und vor Augen legen kan/ ist Ursach der Stoff oder

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[[II, Vorrede, S. 4]/0008] daß diese Kunst damals nicht erst ihren Anfang genommen; sondern schon auf dem Gipfel der Vollkommenheit müsse gestanden haben. Dieses will er noch mehr beglaubigen/ durch die vielfältige Aretin aufgegrabene schwarze und rothe schöne Geschirre/ auf welchen/ mit sonderbarer subtiler Kunst/ völlige Geschichten und Historien/ von rund- und mitler Erhebung/ zu sehen gewesen: welche nicht von Anfängern/ sondern von wol-geübten Meistern müssen gemacht worden seyn. zu Arezzo, Es bezeugen auch die zu Viterbo, bey Anfang der Regierung Papsts Alexandri VI. gefundene unterschiedliche Statuen/ daß die Bildhauerey lang vorher/ in selbiger Gegend/ müsse gantz vollkommen bekandt gewesen seyn. 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Man hat auch sonst noch viele dergleichen alte Stuck erörtert/ welche der Groß-Herzog Cosmus an sich gebracht/ und daselbst verwahret werden. und Viterbo. Weil aber das Alter dieser Künste-Erfindung/ sowol bey den Griechen/ Egyptern und Chaldeern/ als auch/ und etwan mehr/ dann bey den Italienern und Florentinern/ zweifelhafft ist/ werde ich/ meinem Bedunken nach/ mit meinem discurs der Warheit am nechsten tretten/ und wird mir hoffentlich ein jeder beyfallen/ der solches mit Gedult und gründlichem Nachsinnen erwäget/ wann ich sage/ daß/ der Erz-Ursprung dieser Künste/ die menschliche Natur selber/ auch deren erste Idea, modell und exemplar der erschaffene herrliche Bau dieser grossen Welt/ und der wahre Lehrmeister hierinn das übernatürliche Liecht des Verstandes gewesen/ welches/ aus sonderer Gnade/ die himmlische Allmacht den Menschen eingegossen und ertheilet. Und durch solches Liecht ist der Mensch/ als deren Oberherrscher/ über alle unvernünftige Thiere erhoben/ ja Gotte selber/ gewisser massen/ gleich gebildet und gestaltet worden. Wann die einfältige kleine Kinder/ wie die Erfahrung bezeuget/ die ganz grob und ungeschlacht/ unter dem Bauers-Volk/ in Wäldern und Einöden aufwachsen/ so weit kommen/ daß sie/ auf unterweilige Besichtigung etlicher schöner Bildnisen und Statuen/ durch Beyhülffe ihres eingeschaffenen Verstandes/ und natürlicher Neigung/ etwas zu zeichnen angefangen: Wieviel mehr ist glaublich/ daß die erste Menschen/ welche um soviel vollkommener am Verstand/ je näher sie noch ihrem ersten Göttlichen Ursprung gewesen/ daß sie/ sage ich/ durch Anleitung der Natur und Verstandes/ aus den vielfältigen schönen Ideen und modellen des erst-aufgeführten Welt-Gebäudes/ diese löbliche Künste/ die nichts anders als eine Nachahmung und Folge der Natur sind/ abgesehen/ auch nach und nach verbässert/ und zu endlicher Vollkommenheit gebracht haben. Der Erz-Ursprung dieser Künste/ ist die Natur/ und der Verstand des Menschen/ als dessen wahrer Lehrmeister. Beyspiel von kleinen einfältigen Kindern. Diese Künste sind Nachfolgerinnen der Natur. Ich will zwar nicht laugnen/ daß einer sey der erste gewesen/ der solche Künste erdacht/ weil jede Erfindungen sich auf einen Anfänger beziehen. ich will auch nicht streiten/ daß sofort/ nach dem ersten/ andere gewesen/ die zu Erfindung der Zeichen-Kunst/ der erhabenen Arbeit/ (Rilievo) Bildhauerey/ und des Mahlens oder Colorirens/ geholfen. Massen der Verstand eines einigen/ in diesen Künsten/ so hoch nicht steigen können/ daß nicht ein anderer sinnreicher Geist etwas hätte hinzuthun/ und solche zu mehrerer Vollkommenheit erheben mögen. Dieses allein sage ich/ es sey schwer zu bejahen/ daß dieser oder jener der gewieße und unfehlbare Erfinder dieser Künste gewesen seye. Dann/ nachdem ihre Kunst-Stucke in die erste/andere/dritte/ und folglich hundertste und tausendste Hand gewandert/ sind durch Langwürigkeit der Zeiten/ ihre Namen/ zumal solche von keinen Scribenten aufgezeichnet worden/ erloschen/ und in Vergessenheit gerahten. 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Zitationshilfe: Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 1,2. Nürnberg, 1675, S. [II, Vorrede, S. 4]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sandrart_academie0102_1675/8>, abgerufen am 25.04.2024.