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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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Schorndorf war ehemals fest, und ist jetzt ein
Landstädtchen. Eben so Waiblingen, und mancher
andrer Ort an der Strasse. Canstadt liegt von wei-
tem sehr schön, in einem Thal am Neckar, der hier
sehr breit wird, durch einen Damm, den man in den
Strom gebaut hat. Aber man betrügt sich in der Er-
wartung. Die Stadt ist finster, eng, am schönsten
ist es vor der Stadt, aussen am Neckar, wo das Rau-
schen des Stroms in der stillen Nacht sehr angenehm
ist. Im Posthause ist ein Brunnen mit einigen Röh-
ren in der Wirthsstube, und dabei ein Fischkasten für
Aale, Hechte etc. Finden Sie das nicht sehr bequem?
Auch hier belebte der Herbst alles. Man hörte im-
mer das freudige Schiessen, Raketen stiegen in die
Höhe, und kleine Feuerwerke wurden am Wasser ange-
zündet.

Als ich nach Hause kam, blühete (im Oktober)
in unserm botanischen Garten Curcuma longa L.
eine Pflanze, die Linne'e schwerlich in der Blüte
gesehen hat. Die Blüte kam unten aus dem Sten-
gel, die Blumenblätter waren weis, sehr zärtlich,
eine Blüthe steckte in der andern, und sie verwelk-
ten bald.

Da haben Sie nun, meine Beste! die kleinen
Bemerkungen, die ich gesammelt habe. Wollte Gott,
daß Sie einmal in dieser schönen Jahrszeit zu mir kom-
men, und so mit mir durch Berg und Thal, durch
Feld und Wald, durch Städte und Dörfer reisen könn-
ten! Wie vergnügt würden wir seyn! Wie vieles wür-

de

Schorndorf war ehemals feſt, und iſt jetzt ein
Landſtaͤdtchen. Eben ſo Waiblingen, und mancher
andrer Ort an der Straſſe. Canſtadt liegt von wei-
tem ſehr ſchoͤn, in einem Thal am Neckar, der hier
ſehr breit wird, durch einen Damm, den man in den
Strom gebaut hat. Aber man betruͤgt ſich in der Er-
wartung. Die Stadt iſt finſter, eng, am ſchoͤnſten
iſt es vor der Stadt, auſſen am Neckar, wo das Rau-
ſchen des Stroms in der ſtillen Nacht ſehr angenehm
iſt. Im Poſthauſe iſt ein Brunnen mit einigen Roͤh-
ren in der Wirthsſtube, und dabei ein Fiſchkaſten fuͤr
Aale, Hechte ꝛc. Finden Sie das nicht ſehr bequem?
Auch hier belebte der Herbſt alles. Man hoͤrte im-
mer das freudige Schieſſen, Raketen ſtiegen in die
Hoͤhe, und kleine Feuerwerke wurden am Waſſer ange-
zuͤndet.

Als ich nach Hauſe kam, bluͤhete (im Oktober)
in unſerm botaniſchen Garten Curcuma longa L.
eine Pflanze, die Linne’e ſchwerlich in der Bluͤte
geſehen hat. Die Bluͤte kam unten aus dem Sten-
gel, die Blumenblaͤtter waren weis, ſehr zaͤrtlich,
eine Bluͤthe ſteckte in der andern, und ſie verwelk-
ten bald.

Da haben Sie nun, meine Beſte! die kleinen
Bemerkungen, die ich geſammelt habe. Wollte Gott,
daß Sie einmal in dieſer ſchoͤnen Jahrszeit zu mir kom-
men, und ſo mit mir durch Berg und Thal, durch
Feld und Wald, durch Staͤdte und Doͤrfer reiſen koͤnn-
ten! Wie vergnuͤgt wuͤrden wir ſeyn! Wie vieles wuͤr-

de
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[59/0097] Schorndorf war ehemals feſt, und iſt jetzt ein Landſtaͤdtchen. Eben ſo Waiblingen, und mancher andrer Ort an der Straſſe. Canſtadt liegt von wei- tem ſehr ſchoͤn, in einem Thal am Neckar, der hier ſehr breit wird, durch einen Damm, den man in den Strom gebaut hat. Aber man betruͤgt ſich in der Er- wartung. Die Stadt iſt finſter, eng, am ſchoͤnſten iſt es vor der Stadt, auſſen am Neckar, wo das Rau- ſchen des Stroms in der ſtillen Nacht ſehr angenehm iſt. Im Poſthauſe iſt ein Brunnen mit einigen Roͤh- ren in der Wirthsſtube, und dabei ein Fiſchkaſten fuͤr Aale, Hechte ꝛc. Finden Sie das nicht ſehr bequem? Auch hier belebte der Herbſt alles. Man hoͤrte im- mer das freudige Schieſſen, Raketen ſtiegen in die Hoͤhe, und kleine Feuerwerke wurden am Waſſer ange- zuͤndet. Als ich nach Hauſe kam, bluͤhete (im Oktober) in unſerm botaniſchen Garten Curcuma longa L. eine Pflanze, die Linne’e ſchwerlich in der Bluͤte geſehen hat. Die Bluͤte kam unten aus dem Sten- gel, die Blumenblaͤtter waren weis, ſehr zaͤrtlich, eine Bluͤthe ſteckte in der andern, und ſie verwelk- ten bald. Da haben Sie nun, meine Beſte! die kleinen Bemerkungen, die ich geſammelt habe. Wollte Gott, daß Sie einmal in dieſer ſchoͤnen Jahrszeit zu mir kom- men, und ſo mit mir durch Berg und Thal, durch Feld und Wald, durch Staͤdte und Doͤrfer reiſen koͤnn- ten! Wie vergnuͤgt wuͤrden wir ſeyn! Wie vieles wuͤr- de

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/97>, abgerufen am 18.04.2024.